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You are here: Home Ausgaben 75 | März/April 17 die poesie der fehlermeldungen

ausgabe #75. prosa. markus grundtner

die poesie der fehlermeldungen

 

In der Teambesprechung bilden wir alle einen Sesselkreis. Wie im Kindergarten. Nein, besser gesagt: Wie in einer Selbsthilfegruppe. Oder genauer gesagt: Wie bei den Anonymen Alkoholikern. Nein, ich muss mich korrigieren: In der Teambesprechung bilden wir einen Sesselkreis wie in der Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker im Kindergarten.

Der Teamleiter spricht: Er erklärt uns, wie wir sein müssen.

 

1. Sicherheitswarnung: Störung im Tintensystem

Ich will euch abholen. Hier und heute will ich euch mitnehmen. Was unserem Unternehmen fehlt, sind mitgenommene Mitarbeiter.

Meine Anweisung lautet klar: Euer Herz muss eine Druckerkartusche sein, die sich von selbst nachfüllt. Durchtränkt alles Kopierpapier mit eurem Herzinneren. Es wird mehr und mehr Papier nachgeliefert. Kein Ende in Sicht, so als wäre es das unendliche Weiße.

Ich wiederhole mich gerne, ich habe es schon oft gesagt: Ihr müsst in eurem Job aufgehen. Ihr müsst euch mit der Leere des Papiers harmonisieren.

Befreit euch von all dem, was euch belastet. Eure Finger müssen flink sein beim Tippen. Dort, wo alles halb gemacht wird, kommt am Ende weniger heraus als nichts.

Legt euer Leben zu den Akten, vielleicht könnt ihr es ja später noch brauchen.

Und das Wichtigste: Unterzieht euch am Ende des Tages einer Rechtschreibprüfung. Eure Mängel sollen alarmrot leuchten.

Wir machen eine Pause, um ein Fehlerprotokoll zu erstellen.

 

2. Unbestimmter Fehler – die Parameter sind falsch

Aber gewöhnt euch nicht zu sehr an die Pause. Eine Pause bedeutet, nach Belieben über die eigene Zeit verfügen zu können. Genau dabei sind die Gefahren groß und zahlreich.

Fallt nicht in das Zeitloch. Also dort hinein, wo ihr alles tun könnt und genau deshalb nichts fertigbringt. Es passiert schneller, als ihr denkt. Kaum verseht ihr euch, schon seid ihr Müßiggangster.

In den Pausen wird all die böse Energie frei, die sonst durch die Arbeit gebündelt ist. Die Arbeit verhindert, dass sich die Untätigen zu Horden zusammenrotten. Wer zu viele Optionen hat, greift zu etwas anderem als zu einem Brieföffner. Wer zu viele Optionen hat, nimmt ein Messer, schneidet sich die Frisur zu einem Irokesen und montiert Flammenwerfer auf seinem Dienstwagen. Schon brennt der Business Park. Eine Rauchpause zu viel und die Vorstadt explodiert. Eine kurze Erholungsphase ist nichts anderes als eine Vorschau auf das Chaos der Postapokalypse.

Daher bedarf nicht nur die Arbeitszeit selbst, sondern auch die Pause (und die Freizeit sowieso) einer gewissen polizeilichen Kontrolle.

Genießt also alle freiwilligen Angebote des Büros: Feiert eure Geburtstage gut abgeschottet im Gemeinschaftsraum. Benutzt den sicheren Sportkeller. Geht ins Schwimmbad unter der Glaskuppel auf dem Dach.

Ein Zwischenruf des zweiten Teamleiter-Assistenten: Wir brauchen mehr Fitnesscenter-Mentalität in diesem Land! Wir brauchen das „lean office“, wir brauchen das schlanke Büro!

Und danach auf zum „After-Work-Drink“ mit euren Kollegen! Aber bitte nur mit euren Kollegen. Bleibt unter euch. Eine Vermischung von Beruflichem und Privatem ist nicht erstrebenswert. Eine Vereinheitlichung und Überlappung dagegen sehr.

Spielt also gemeinsam Billard und Tischfußball. Macht jede Nacht zum „Teambuilding“-Event. Das Büro ist die ultimative Plattform für die Partnersuche. Ja, bittet den Personalchef, euch zu verheiraten. Euer Nachwuchs bekommt einen Laufstall unter eurem Schreibtisch.

Demnächst werden wir auch Spielplatzrutschen in das Büro integrieren. Die Rutschen sind nicht nur für die Kleinsten gedacht.

Willkommen in unserer betriebsinternen „Happiness“-Kultur!

Eine Randbemerkung des dritten Teamleiter-Assistenten: Alle soeben aufgezählten Freizeitangebote sind unverbindlich und begründen für die Zukunft keinen Rechtsanspruch auf gleiche oder ähnliche Leistungen. Ja, diese Leistungen stehen unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs.

Wir gehen zum nächsten Tagesordnungspunkt über und geben uns positives Feedback.

 

3. Kein Papier! Bitte Papier einlegen und OK drücken

Hier, nehmt diesen Umschlag und reicht ihn im Sesselkreis herum. Zur Auflockerung spielen wir Musik. Wer den Umschlag in der Hand hält, wenn die Musik stoppt, muss ihn öffnen. Um nicht zu viel zu verraten: Im Umschlag steckt entweder eine Kündigung oder eine Entlassung.

Oder ein anderes Spiel: Ich werfe einen Bleistift in die Luft. Auf wen die Spitze zeigt, nachdem der Stift auf dem Boden gelandet ist, der wird gestrichen.

Und noch ein Spiel: Jeder platziert eine Pinnwandnadel in einen seiner Schuhe. Wir machen einen Betriebsausflug. Wer als erster aufschreit, ist seine Stelle los. Wer nicht geschrien hat, muss unbezahlte Überstunden leisten.

Briefumschläge, Bleistifte, Pinnwandnadeln und Mitarbeiter: Das Sortiment an Büromaterial ist groß für allerlei Spiele dieser Art.

 Wir machen ein Update, damit die neue Arbeit beginnen kann.

 

4. Die Druckerpatrone fehlt, ist falsch eingesetzt oder für das Gerät nicht vorgesehen

Machen. So lautet die Devise. Macht etwas aus euch. Es reicht nicht, nur ein Mensch zu sein. Das ist erst der Anfang.

Die Korrektur und das Scheitern sind zwei grundverschiedene Dinge. Der Veränderung begegnen wir ergebnisoffen.

Wer sich anstrengt, die neue Freiheit zu organisieren, muss von so manch bremsendem Schutzmechanismus moderner Arbeit Abschied nehmen und sich auf zielführende Methoden alter Arbeit zurückbesinnen.

Aber keine Sorge, im digitalen Zeitalter ist das Bergwerk denkunmöglich geworden.

Die Automatisierung bringt eine neue Arbeit mit sich. Das Büro muss schon ein wenig wie die Fabrik werden, der Kopf muss wie die Hand sein. Wir gliedern komplexe Angestelltenarbeit in Miniatur-Schritte auf. Jeder Mini-Denkgriff wird einer individuellen Tastatur zugewiesen und kann so im Zuge permanenter Wiederholung zeitsparend und effizient von einem einzelnen Mitarbeiter massenhaft erledigt werden. Alles standardisiert, alles in seine Einzelteile zerlegt, um alles Verzichtbare wegzustreichen – in der Arbeitszeit, im Büroraum und im Menschen.

Wer sich auf den Weg in die Zerstückelung begibt, erkennt, dass auf eine Neuorganisation schon bald der nächste Umbau folgen muss.

Aber lasst euch nicht einreden, dass ihr ersetzbar seid. Die Roboterisierung wird nie einen Grad von 100 % erreichen. Schon deshalb nicht, weil wir uns verpflichten, innerhalb der Bürobelegschaft „Menschenquoten“ einzuhalten.

 

Eine Anmerkung durch den ersten Teamleiter-Assistenten: Sollten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern, ist der Arbeitgeber jederzeit berechtigt, die „Menschenquote“ einseitig anzupassen.

Aus heutiger Sicht können autonome Maschinen nur die Arbeitsplätze mit geringen Qualifizierungsanforderungen übernehmen. Also, werdet besser als die Maschine. Bildet euch weiter, um den Umbruch der Zukunft zu überstehen. Am besten mit Denksportaufgaben. Dazu gleich ein Rätsel: Worauf sitzt ihr euer Leben lang, aber was könnt ihr nicht mitnehmen, wenn ihr geht?

Jetzt habt ihr an euren Hintern gedacht, nicht wahr? Den könnt ihr mitnehmen, aber euren Drehsessel nicht. Er ist ein Betriebsmittel. Obwohl ihr ihn nicht mitnehmen könnt, ist er dennoch zu einem Teil von euch geworden. Daher rührt auch das Gefühl der Unvollständigkeit, das euch jeden Tag packt, sobald der Feierabend naht. Ein Teil von euch wird für immer im Büro bleiben. Hier, im Sesselkreis des Lebens. 

 

 

Markus Grundtner

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