ausgabe #75. kolumne. joachim hainzl, eva ursprung
wortmülldeponie
hitzestau am südrand
Jener Bereich an der Mur, in welchem bis
1938 die Südgrenze der Stadt Graz verlief, hat es historisch in sich. Auf der
einen Seite der heutige Eventveranstaltungsort „Seifenfabrik“, ein einst zur
Düngerproduktion aus getrockneten Fäkalien der GrazerInnen errichteter
Fabriksbau (ob es dabei auch zur Erzeugung heißer Luft kam, ist nicht
überliefert) und auf der anderen Muruferseite eine kulturelle Institution, die
sich ebenfalls auf Seifenflocken, wenn auch in schäumender Form, zu berufen
scheint – das Schaumbad. Das daran angrenzende Fernwärmekraftwerk und
die südlich davon gelegene Sturzgasse mit ihren Abfallsammel- und
-aufbereitungsanlagen bringen uns zur Frage, wie Müll und heiße Luft (im Sinne
durch Verbrennung hergestellter Wärme) zusammenhängen. Die Idee, Müll zu
abzufackeln, ist jedenfalls älter als man meinen würde.
Zu feucht zum Brennen
Bereits 1894 wurde in
Hamburg die erste Anlage zur Verbrennung von Müll in Betrieb genommen und schon
mit der bald darauf fertiggestellten größeren Berliner Anlage wollte man ab
1921 neben der Reduktion des Müllvolumens und der Ersparnis von Transportkosten
auch Energie gewinnen. Da der Müll aber zu feucht war, fiel das Ergebnis
ernüchternd aus. Ähnliches gilt für Graz, wo man ebenfalls zu dieser Zeit mit
der Müllverbrennung am selben Problem scheiterte. Da der bis dahin in
Kehrrichtgruben gesammelte Hausmüll zu feucht zum Verbrennen war, führte man in
Graz die Mülltonnen ein, um den Abfall trockener zu bekommen. Dennoch war die
Idee, Müll zu verbrennen erst einmal für einige Jahrzehnte gestorben (die erste
steirische Müllverbrennungsanlage war übrigens von 1969-79 in Kapfenberg in
Betrieb). Stattdessen eröffnete man 1961 in der Puchstraße ein Kohlekraftwerk,
das später zum gasbetriebenen Fernheizkraftwerk umgerüstet wurde. Nachdem in
den 1990er Jahren die Müllproduktion rapide anstieg und Deponieflächen zur
Mangelware wurden, kam in Graz um 1996 wieder die Idee einer
Müllverbrennungsanlage auf, die im Bereich der Sturzgasse/Puchstraße errichtet werden
sollte. Aufgrund der befürchteten Umweltbelastungen führten diese Pläne der
Energiegewinnung zu BürgerInnenprotesten. Dennoch wurde der Plan im August 1997
vom Land Steiermark genehmigt. Der Bau unterblieb jedoch, da anscheinend doch
nicht rentabel genug (das erinnert uns doch an ähnliche Diskussionen rund um
das bereits seit 2009 angedachte Grazer Murkraftwerk). Aufgrund der Probleme
mit der Fernwärmezulieferung aus dem Kohlekraftwerk Mellach inklusive Streit
zwischen der Stadt Graz und dem Verbund, wurde das Fernwärmekraftwerk in der
Puchstraße in den letzten Jahren trotz BürgerInnenprotesten (welche eine
Umweltverträglichkeitsprüfung forderten) ausgebaut. Dass die Idee einer
Müllverbrennungsanlage zur Produktion heißer Luft in der Puchstraße anscheinend
auch 2014 noch nicht im Müll gelandet war, beweist ein Artikel in der Kleinen
Zeitung mit dem Titel „Graz droht das Müll-Kraftwerk“.
((c) Alexandra Gschiel |
Die Moschee im industriellen Innovationspark
Apropos „heiße Luft“. Als solche erwiesen sich die großen Pläne des im Jahre 2000 gegründeten Konstrukts „Innovationspark Süd“ (zu 51 % im Besitz der Firma Immorent Süd und zu 49 % im Eigentum der Stadt Graz). Unter anderem im Bereich des leerstehenden ehemaligen Steyr-Daimler-Puch-Fabriksgeländes war auf 13 Hektar die Errichtung eines „Innovationsparks“ für internationale Unternehmen geplant. Bis zum Jahr 2015 sollten hier Arbeitsplätze für bis zu 4.000 Beschäftigte geschaffen werden. Wohl mitverursacht durch die letzte Wirtschaftskrise haben sich diese großspurigen Pläne weitestgehend in (heiße) Luft aufgelöst. Einen Teil des Industriegebietes ist man wenigstens insofern losgeworden, als dass man ihn zum (laut Flächenwidmungsplan eigentlich gar nicht genehmigungsfähigen) Bauplatz einer Moschee gemacht hat.
Aber es ist noch viel freier Platz hier am Südrand von Graz. Um die derzeit noch günstigen Grundstücke lukrativ verwerten zu können, wurde nun ein großräumiger Landschaftsumbau in Angriff genommen: Entlang der Dämme des geplanten Murkraftwerks sollen Luxuswohnungen im Grünen entstehen. Dazu wurden fürs Erste tausende Bäume gerodet. Das erzeugt erst recht Hitze, und diese schwappt über die ganze Stadt.
Besetzungen, Blockaden, Kundgebungen, Demonstrationen
Der Bau des Murkraftwerks erhitzt seit geraumer Zeit die Gemüter – alles nur heiße Luft?
Das Lesen des Umweltverträglichkeitsentscheides (UVE) beruhigt nur bedingt:
„Flächenbeanspruchungen von Freizeit- und Erholungsbereichen (Grünanger, Kraftwerksstandort) durch die Baustelle führen zu einem vorübergehenden Verlust von Zugangsmöglichkeiten zum Wasser sowie zur Ufervegetation und haben somit merkbar nachteilige Auswirkungen auf Freizeit, Erholung und Tourismus.“
Ich gehe also zur Baustelle und betrachte die kurzfristig nicht mehr zugängliche Ufervegetation – ist doch eh alles da! Große Plakatreihen mit Renderings üppigen Grüns an allen Wegen ersetzen für die nächsten Jahrzehnte perfekt die gefällten Bäume. An den Ufern wird sogar reales Gras gesät. Und die Natur lässt sich nicht unterkriegen: aus den Baumstümpfen treiben sporadisch Zweige. So grün war es hier noch nie.
Der Durchmesser eines Baumes wächst je nach Art, Alter und Standortsbedingungen zwischen 1 und 6 mm pro Jahr, ab einer Stärke von 20 cm müssen die Bäume im Bereich des Dammes aber wieder gefällt werden, da die Wurzeln das Mauerwerk beschädigen könnten.
Nun hängt die Fähigkeit, CO2 und Feinstaub zu binden, mit der Stärke des Stammes zusammen:
Eine normal gewachsene Buche mit 23 Meter Höhe und einem Durchmesser von etwa 30 Zentimetern speichert circa 550 Kilogramm Trockenmasse in ihren Blättern, Ästen und ihrem Stamm, plus etwa zehn Prozent in der Wurzelbiomasse. Diese Trockenmasse kann insgesamt etwa eine Tonne CO2 binden.
Um diese Tonne CO2 aufnehmen zu können, muss die Buche aber etwa 80 Jahre wachsen, wobei die Bäume in den ersten Jahren nach Pflanzung eher geringe Biomassevorräte anlegen. Erst mit zunehmendem Alter wird vermehrt CO2 gebunden.
Mit etwas Geduld hätten wir in 80 Jahren wieder eine ähnliche Qualität an Feinstaubfiltern wie schon dagewesen – wenn die Bäume nur so lange wachsen dürften.
Schöne neue MurWelt
Ich betrachte die Plakate an der Mur und wundere mich über die Abwesenheit von Dämmen. Hier ist alles in üppigem Grün, kein Mäuerchen stört die Idylle. Ich suche nach Antworten und finde das Dialogbüro der ESTAG. Auch da hängen mauerlose Pläne und Bilder. Der nette Herr dort versucht jedoch zu eruieren, wie es wo aussehen könnte wenn alles fertig ist: Im Bereich des Kraftwerkes werden 3,5 Meter Mauer aus dem Wasser herausragen, das ist nicht so viel, weil das Wasser ja weit unter dem derzeitigen Murradweg ist. Und der Radweg wird auch nicht entlang einer geraden Mauer führen, diese wird angenehm abgeschrägt sein. Wie stark ist diese Mauer denn? – Das weiß mein netter Dialogpartner leider nicht, er schreibt sich die Frage jedoch auf. Wird da überhaupt noch Platz für Bäume und Radweg bleiben? Manche Stellen führen ja sehr nah an Gebäuden vorbei. „Berechtigte Frage“, meint der freundliche Herr und notiert sie.
Die ersten Bäume entlang der Mur wurden im Februar und März dieses Jahres gerodet. Ab 15. März dürfen laut Gesetz Bäume gefällt und Wurzelstöcke entfernt werden. Ab 15. Oktober kann es wieder weitergehen: Wie viele Bäume werden dann wo entfernt?
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(c) Eva Ursprung |
Der Mann vom Dialogbüro schüttelt ratlos den Kopf. Seines Wissens werden im Oktober keine Bäume gefällt, außer vielleicht einige wenige im Bereich der Puntigamer Brücke. Aber wie ist es im November bis hin zum März? Und wie wirkt sich die Stauung der Mur auf den Wasserstand in der Innenstadt aus? „Kaum“, meint der Herr.
Das Projektgebiet erstreckt sich von der Stauwurzel auf Höhe der Acconci-Murinsel bis zum Ende der Unterwassereintiefung am südlichen Rand der Stadt Graz (Murfeld). Die Gesamtlänge des Projektgebietes beträgt demnach ca. 6 km, lese ich im UVE. Also keine Auswirkungen auf den Wasserstand in der Innenstadt?
Fakt ist, bis zur Hauptbrücke verwandelt sich die Mur in ein stehendes Gewässer. Raubt man einem Fluss 95 % seiner Fließgeschwindigkeit, bekommt man damit eine größere Verschlammung und eine ideale Brutstätte für Gelsen. Das Fehlen des fließenden Flusses wirkt sich auch auf die Luftzirkulation in der Stadt aus: die heiße Luft bleibt uns im Sommer länger erhalten.
Fakt ist auch, dass die Bäume für den Bau des Zentralen Speicherkanals bis zur Radetzkybrücke gerodet werden. Es würden jedoch „nur noch“ die ersten Baumreihen fallen, wurde gesagt, sowie einige Bäume „vereinzelt herausgenommen“, denen es durch den höheren Wasserstand zu nass wird. Im Dialogbüro wird darüber nicht mehr gesprochen.
Ich verabschiede mich freundlich, nicht ohne versichert zu bekommen, dass ich in spätestens einer Woche Antwort auf alle meine Fragen bekommen werde – man wird mich verständigen. Draußen fällt mir dann ein, dass der nette Herr sich von mir weder Namen noch Kontaktdaten notiert hat, aber da war das Dialogbüro schon wieder zugesperrt.
Langsam spaziere ich das Murufer entlang und betrachte die grünenden Baumriesen. Sie werden sich sicher den Verhältnissen anpassen, der Feuchtigkeit, der Hitze und den Moskitos – und ganz einfach zu Mangroven mutieren. Alles wird gut.
Und wir bekommen endlich Strom. 20.000 Haushalte in Graz werden mit der Wasserkraft versorgt, sagt man. Real produziert das Kraftwerk nur 70-80 Gigawattstunden (GWh) Strom pro Jahr (das nagelneue, aber stillgelegte Gaskraftwerk Mellach würde diese Menge in 60-80 Stunden produzieren), und wird laut unabhängigen Studien das ineffizienteste in ganz Österreich sein. Weniger als 10 % werden zudem für die Versorgung des österreichischen Strommarktes verwendet, 90 % werden in das Ausland exportiert.
Zu uns kommen dafür die Tourist*innenströme aus aller Welt. Auf Ruderbooten gondeln sie durch die Innenstadt-Mangroven, man besucht nicht mehr die traurigen Tropen sondern den wunderschönen Zentralen Speicherkanal (ZSK) im Zentrum von Graz. Am Rande entstehen bereits die ersten Favelas, das Murcamp baut abenteuerliche Baumhäuser dorthin, wo als nächstes gerodet wird. Der Widerstand verbindet unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen, von Aktivist*innen über Umweltschützer*innen bis hin zu den Heimgärtner*innen nördlich der Seifenfabrik.
Der Speicherkanal ist in diesem Ausmaß nur notwendig, weil der für das Murkraftwerk aufgestaute Fluss nicht mehr fließt. Mit 84 Millionen Euro Steuergeld erbaut, verursacht er jährlich eine 520.000 Euro-Budget-Belastung, 1 Million Euro Sanierungsrücklagen, mehr als 1 Million Euro Zinsen – und die Rodung von 1.000en Bäumen bis in die Stadt hinein, über die von offiziellen Stellen erst wieder gesprochen wird, wenn es sie nicht mehr gibt.
Joachim Hainzl, Eva Ursprung
http://www.umwelt.steiermark.at/cms/dokumente/-
11525047_9176022/a99ceb8c/UVE-Zusammenfassung.pdf
http://www.handelsblatt.com/technik/energie-umwelt/klima-orakel-wie-viele-baeume-sind-noetig-um-eine-tonne-co2-zu-binden/3201340.html
http://www.rettetdiemur.at/Fakten
http://www.kanalskandal.at