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ausgabe #76. bericht. joachim hainzl

na klar können WIR das schaffen!


Wenn ich mir so die Schlagzeilen der letzten beiden Jahre vor Augen führe und diese sich epidemisch ausbreitende, xenophobe exkludierende Politik mit sich schließenden Grenzen in den Köpfen und Herzen, dann geht es dabei immer wieder nicht um Menschen, sondern ums Geld. Man will uns eintrichtern, dass wir alle Gefahr laufen, bald am Hungertuch zu nagen. Denn die Flüchtlinge, pardon die „angeblichen“ Flüchtlinge (denn in echt seien das ja – noch so eine Wortkreation zur Abwertung von Menschen – nur „Wirtschaftsflüchtlinge“) überlaufen uns ja und essen uns arm. So ähnlich wohl wie die Heuschreckenschwärme am Landplagenbild an der Außenwand des Grazer Doms, die vor einigen Hundert Jahren die Steiermark heimsuchten. Womit wir schon einen Link zur Ideologie des Nationalsozialismus hätten.
Auch diese vertraut, wie jede rechte und populistische Propaganda, auf  die sozialneiderische Aufteilung in die Fleißigen und Anständigen (= Wir) und die „Sozialschmarotzer“ oder gar ärger noch, die „Parasiten“ (= die „Anderen“). Die Anderen, die uns angeblich nur etwas kosten bzw. auf unsere Kosten leben würden, das sind einmal Juden und Jüdinnen, ein anderes Mal Arbeitslose, Behinderte, Bettelnde, „Ausländer“, Flüchtlinge, „Gastarbeiter“, billige Arbeitskräfte aus südöstlichen EU-Ländern oder Griechen, die es sich faul in der Hängematte gemütlich machen. Darum, so liegt es anscheinend auf der Hand, kann es „unser“ Geld nur für „unsere“ Leute geben.


faksimile

Sozialneid: Aus einem Lehrbuch zur NS-Rassenideologie


Gefangen in eurozentristischen „Kulturkreis“-Konstrukten

Die Verführungskraft rassistischer Ideologien, die auf der gefährlichen Verbindung exklusiver nationaler und sozialer Politik aufbauen und nichts anderes als Entmenschlichung betreiben, versuche ich in meinen Schulworkshops mit dem Bild eines Volkes als Baum zu illustrieren. Gerade weil diese Idee auch von den Nazis immer wieder verwendet wurde, wird daraus die Absurdität und Brutalität dieses Gedankenguts so ersichtlich. Dazu gehört die Überbetonung der Ab-Stammung von einem Volk bzw. einer Nation, die Wir-Gruppenbildung durch eine angeblich einheitliche religiöse, volkstümliche und sprachliche Kultur (als gemeinsame Wurzeln dieses Stamm-Baums) oder die Betonung der Verpflichtung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft (jede Frucht am Baum darf nicht Energie/Geld von der Allgemeinheit beziehen ohne Gegenleistung). Ebenso lassen sich mit diesem Vergleich, der in Jahrhunderte alter Menschenverachtung wurzelt, auch verfolgte Gruppen in der NS-Zeit und aktuelle Feindbilder rechtsextremer und populistischer Ideologien klar herausarbeiten. Der parasitäre Mistelzweig (Sinnbild für Juden und Jüdinnen, „Zigeuner“ bzw. heute MigrantInnen und Flüchtlinge), der ebenfalls Energie ausnützende Wassertrieb („Asoziale“ bzw. heute „Punks“, „Sandler“ und Bettelnde), der verkrüppelte Ast („Behinderte“), der morsche Ast (Alte und Senile, nicht mehr Arbeitsfähige), die beiden gleichgeschlechtlichen Blüten (Homosexuelle, welche miteinander keinen Nachwuchs zeugen können), ein Apfel am Kirschbaum (andere Religionen, wie z.B. Zeugen Jehovas) bzw. eine blaue Kirsche am Kirschbaum (andere politische Überzeugen, wie z.B. KommunistInnen). All das wirkt auf den ersten Blick irgendwie verführerisch und bietet so einfache End-Lösungen an. Denn es habe eine kulturelle Auslese zu erfolgen, um das ganze Volk im Sinne eines gesunden Baumes angeblich zu retten, bzw. hätte das Gemeinwesen diese „Feinde“ eines gesunden Volkes auszumerzen (durch Ermordung, Euthanasie, Sterbehilfe, Zwangssterilisation, Zwangsarbeit, …), um Schaden für die ganze Gesellschaft zu verhindern. Zudem baut man auf eine geschürte Minderheit-im-eigenen-Land-Panik (im Sinne der heute wieder auftauchenden NS-Idee von der „Umvolkung“ durch MigrantInnen und deren Nachkommen). Kurz gesagt: Die Wir-Gruppe wird als national-völkisches Gemeinwesen mit gemeinsamer Ab-Stammung und kulturellen Wurzeln imaginisiert und – aktuell betrachtet – werden alle, die nicht von hier stammen bzw. „fremde Wurzeln“ haben, zu nicht integrierbaren Personen aus „anderen Kulturkreisen“ abgestempelt.


faksimile.

Zum Terminus der „Umvolkung“: Aus einem Lehrbuch zur NS-Rassenideologie


Die Kapitalisierung des Flüchtlingsschicksals als Zeichen fehlender Solidarität mit Menschen in Not

Ein Artikel in der Tageszeitung „Die Presse“ vom Oktober 2016 listet auf, welche Kosten „uns“ ÖsterreicherInnen die aktuell in Österreich befindlichen Flüchtlinge jährlich verursachen. „Mit dem Budgetentwurf für 2017 liegt nun erstmals eine exakte Kostenrechnung vor. Demnach wird die Bundesregierung im kommenden Jahr exakt 2,055 Milliarden Euro für Flüchtlinge, Asylwesen und Integration aufwenden. (…) Der Fiskalrat schreibt in einem Papier von 300 Millionen Euro, die die Mindestsicherung für die Flüchtlinge koste.“ (1) Also sagen wir, die Flüchtlinge in Österreich kosten dem Staat Österreich und seinen Steuern zahlenden BürgerInnen nunmehr pro Jahr rund 2,4 Milliarden Euro. So ein Betrag klingt wirklich nicht gerade wenig.
Schutz von Menschen gegenzurechnen ist für sich schon zynisch genug. Völlig haltlos wird ein solches Ansinnen jedoch, wenn im viertreichsten Land Europas damit begonnen wird, jene, die alles verloren haben, in Konflikten, von denen dieser Kontinent profitiert, als lästige BittstellerInnen zu enthumanisieren. Doch wenn diese entwürdigende Rechnung schon betrieben wird, dann wäre ernsthaft die Frage zu stellen: Müssen wir alle jetzt wirklich individuell so viel entbehren, ist unser Wohlstand in Gefahr oder geht unser Staat pleite, um diese Kosten zu schultern?
Ich habe mir daher einige Konsumbereiche und Ausgaben angesehen. Klar, das mag manchen als billige Kleinkrämerrechnungen erscheinen. Aber sind die Darstellungen der Kosten für Flüchtlinge so viel seriöser? Der Beitrag in der „Presse“ führt weiter aus, woraus sich die genannten Kosten, die die Fluchtbewegung angeblich verursacht, zusammensetzen. Da bekommt z.B. das Verteidigungsministeriums um 246 Millionen Euro mehr – also Geld, das nicht Flüchtlingen zu Gute kommt, sondern im Gegenteil der Abwehr von Flüchtenden dient.
Dann schauen wir uns mal an, wo sich in dieser kapitalistischen Konsumgesellschaft doch vielleicht noch ein wenig Geld einsparen ließe.

1) So könnten wir als Bevölkerung solidarisch einsparen …

… ohne dass wir Hunger und Durst leiden müssen, unsere Jobs verlieren oder plötzlich ohne schützendes Heim dastehen oder jetzt im Sommer doch noch auf den dringend notwendigen Urlaub verzichten müssen.

  • Angenommen, wir schminken uns weniger, verzichten ab und an auf die Rasur jedweder Körperbehaarung und akzeptieren, dass wir alle mal älter werden und sparen daher viel bei Anti-Aging-Produkten. Minus 20 % bei Kosmetikprodukten macht 320 Millionen Euro/Jahr. (2)
  • Interessanterweise scheinen im kapitalistischen System recht viele nicht dem Leistungsprinzip zu trauen, sondern setzen vielmehr darauf, durch Glücksspiele reich zu werden. Das gelingt auch – zwar nicht den Glücksspielenden, aber die wenigen großen Spielanbieter profitieren enorm. Und klar, der Staat verdient auch nicht schlecht an den Steuern. Aber würde bloß die Hälfte weniger für Glücksspiele in Österreich ausgegeben, so brächte das eine Ersparnis von 8,85 Milliarden Euro/Jahr. (3)
  • Wenn die ÖsterreicherInnen auch ein bissi weniger Alkohol konsumieren und rauchen würden, dann gäbe es hier ebenfalls viel Geld zu holen. So gibt es Berechnungen, dass die direkten und indirekten Folgen des Zigarettenkonsums dem Staat bzw. uns SteuerzahlerInnen rund 511 Millionen Euro/Jahr an Mehrkosten verursachen. Würde also nur jede/r zweite/r in Österreich zum Rauchen aufhören, dann könnten wir damit schon mal rund 10 % aller durch die aktuellen Fluchtbewegungen verursachten Kosten für den Staat gegenfinanzieren. (4)


Fassen wir daher kurz zusammen: durch ein wenig Reduktion von Kosmetik, Glücksspiel und weniger Konsum von legalen Drogen könnten pro Jahr über 9 Milliarden Euro eingespart werden. Das heißt, damit ließen sich – ohne einen zusätzlichen Euro an staatlichen Geldern – alleine schon durch die österreichische Bevölkerung grob geschätzt die jährlichen Kosten für mindestens dreimal so viele Flüchtlinge wie aktuell gegenfinanzieren.
Aber schauen wir uns noch ein wenig weiter um, wie der Staat zu mehr Geld kommen könnte.

2) Es könnten Unternehmen in Österreich einfach nur ihre gesetzlichen Pflichten erfüllen …

… und zum Beispiel ihren Abgabenrückstand bei der Finanz tilgen. Denn nach einem Bericht des Rechnungshofes betrug dieser Ende 2013 7,67 Mrd. Euro. (5) Statt sozial Schwächere gegeneinander auszuspielen, etwa über die Diskussion der Mindestsicherung, bräuchten einfach nur diese UnternehmerInnen sich an geltende Gesetze halten und endlich ihre Steuerschulden beim Staat bezahlen und man könnte die Kosten für die Mindestsicherung von Geflüchteten über Jahre hindurch finanzieren. Der grausliche Sozialschmarotzerdiskurs erscheint so plötzlich in einem ganz anderen Licht.

3) Man könnte aufhören, international agierenden Großkonzernen in Österreich unnötige Steuergeschenke zu machen …

… denn schon 2010 gab es in Österreich 3.125 registrierte Unternehmensgruppen mit insgesamt 13.910 Mitgliedern (davon 1.639 ausländische), welche innerhalb ihrer Konzernstrukturen Steuern einsparen konnten, indem Gewinne in einzelnen Teilen der Konzerne mit Verlusten in anderen Konzernteilen (auch solchen im Ausland) gegenverrechnet wurden. Diese sogenannte „Gruppenbesteuerung“ kostete nach offiziellen Angaben des Finanzministeriums im Jahr 2010 „450 Millionen Euro an Steuerausfällen“. (6) Das heißt: alleine mit dem jährlichem Steuerentgang durch die Steuerzuckerln für (internationale) Großunternehmen könnten in Österreich rund 20 % der aktuell berechneten direkten und indirekten Kosten durch Fluchtbewegungen gegenfinanziert werden.

4) Wir könnten uns selbst an die (Steuer-)Gesetze halten …

… wir, die wir uns doch immer so für „Werte“ einsetzen. Zum Schluss daher noch ein wenig zu „uns selbst“, den „Fleißigen und Anständigen“ des hiesigen „Kulturkreises“ und was uns unser Staat wert ist. Denn bei uns ist es ja eigentlich so, dass wir „unserem“ Staat gegenüber auch ehrlich sein sollten. Und dass hier bei uns in Österreich die recht lebendige Schattenwirtschaft mit Schwarzarbeit und Korruption auch illegal ist. Würden wir diese bekämpfen, dann könnten wir „uns“ auch recht locker etwas mehr Solidarität mit dem Rest der Welt leisten. So verliert der Staat Österreich bis zu 3,5 Milliarden Euro/Jahr alleine durch den Steuerentgang aus dem Pfusch. (7) Schon mit rund zwei Drittel dieses Geldes, das wir alle unserem Staat jährlich an Steuern vorenthalten, könnten wir 100 % der indirekten und direkten aktuellen Kosten für Flüchtlinge in Österreich gegenfinanzieren.

Gegen eine diskriminierende Politik des Sozialneids

Wie gesagt, all das mögen Kleinkrämerrechnungen sein. Aber sie zeigen eines: der aktuelle Diskurs über Migrations- und Fluchtbewegungen arbeitet – wie es rechtspopulistische bis rechtsextreme Ideologien seit eh und je getan haben – mit vereinfachten Feindbildern unter starkem Einsatz von Motiven des Sozialneides. Lösungen, die auf Solidarität, globaler Zusammenarbeit und auf Basis der allgemeinen Menschenrechte basieren, wären selbstverständlich möglich. Dafür bräuchte es aber auch ein wenig an Selbsterkenntnis. Dazu würde auch gehören, sich zu vergegenwärtigen, in welchem Ausmaß wir im Norden von der teilweise schon Jahrhunderte andauernden Ausbeutung der Ressourcen und Arbeitskräfte im Süden der Welt profitieren.
Realistischerweise fürchte ich hingegen, dass – wie schon in Graz – auch auf Ebene der österreichischen Bundesregierung jene uns in Zukunft regieren werden, welche stattdessen noch mehr auf eine Politik einfacher Stereotype vertrauen und lieber der Schließung von Grenzen, der Streichung von Entwicklungshilfegeldern, der Internierung von Schutzsuchenden in Lagern dies- und vor allem jenseits des Mittelmeers das Wort reden und Menschen gegeneinander ausspielen, anstatt mit dem ach so nötigen Sparen bei uns und unseresgleichen zu beginnen.                             

Joachim Hainzl


(1)  http://diepresse.com/home/innenpolitik/5100067/Fluechtlinge-kosten-zwei-Milliarden-Euro
(2)  Vgl. Kosmetik transparent der APA. http://www.tt.com/lebensart/lifestyle/13044164-91/%C3%B6sterreicher-lassen-sich-k%C3%B6rperpflege-16-milliarden-euro-kosten.csp
(3)  http://www.branchenradar.com/Artikel.aspx?id=50
(4)  http://derstandard.at/3297558/Studie-belegt-Raucher-kosten-Millionen
(5)  http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/4933282/Unternehmen-schulden-Staat-767-Milliarden-Euro
(6)  http://blog.arbeit-wirtschaft.at/steuerprivilegien-bei-der-gewinnbesteuerung/
(7)  http://www.kleinezeitung.at/wirtschaft/4710577/Umfrage_In-Oesterreich-wird-um-21-Milliarden-pro-Jahr-gepfuscht


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