ausgabe #76. bericht. wolfgang gulis
zeit ist leben
Zur Dauer von Asylverfahren
Es gab seit Mitte der 1990er keine Innenministerperson, die nicht in ihrer Antrittsrede betonte, wie wichtig es sei, endlich die Asylverfahren zu beschleunigen.
Ebenfalls seit dieser Zeit spielen die beiden (ehemaligen) Großparteien SPÖ/ÖVP eine doppeltes Spiel: Die rechten DemagogInnen (FPÖ) wurden in der Öffentlichkeit (bis vor nicht allzu langer Zeit) zwar verteufelt, aber gleichzeitig trug man den menschenrechtsfeindlichen Sündenbock-Diskurs mit und setzte deren Forderungen nach Verschärfungen, Militarisierung und Abschottung Stück für Stück um. Schließlich wollten ja alle in der Kronen Zeitung vorkommen. Es folgte ein Stakkato an Gesetzesverschärfungen, Reformen, Novellen und neuen Gesetzen, die den großen Auftrag Menschenrecht auf Asyl und Schutz vor Verfolgung in kleine Portionen zerteilte und immer tiefer nivellierte. Dort eine Einschränkung, da ein Passus oder eine einengende Frist, hier ein Bestrafungsparagraph, die erfunden wurden. Das geht bis heute so.
Doch Schuld an der Misere mit den langen Verfahren waren nach Lesart der Innenministerpersonen … na? Die AsylwerberInnen selbst natürlich! Diese würden die Verfahren unnötig in die Länge ziehen, indem sie ihre Identitäten verschleierten, Asylanträge in mehreren Ländern gleichzeitig stellten (seit Eurodac unmöglich) und außerdem die Frechheit besäßen, Rechtsmittel einzulegen.
Schnell und positiv
Doch stimmt das mit den langen Asylverfahren überhaupt? Ja und Nein. Tausende Verfahren dauerten und dauern tatsächlich viel zu lange. So manche/r musste zehn Jahre und mehr auf einen Entscheid warten. Aber es gab und gibt immer wieder Phasen der raschen Bearbeitung, die auffälligerweise immer auch mit positiven Asylbescheiden einhergingen – also schnell und positiv. Das war in den Jahren 2002 bis 2005, als ein deutliches Ansteigen der tschetschenischen Fluchtbewegung nach Österreich bemerkbar wurde, zu beobachten. 2004 und 2005 wurden bis zu 90% der tschetschenischen Flüchtlinge positiv anerkannt. Viele von ihnen hatten Anerkennungsverfahren von wenigen Tagen (1). Eine ähnliche Entwicklung – wenn auch nicht ganz so rasch – nehmen derzeit die Anerkennungsverfahren vieler syrischer Flüchtlinge, die in großer Zahl ebenfalls in kurzer Zeit positiv beschieden werden. (2) Es gibt also einen Zusammenhang zwischen bestimmten ausgewählten, aktuell im öffentlichen Fokus stehenden Gruppen, die rasch und positiv bearbeitet werden und Gruppen, die nicht nur lange warten müssen, sondern meist dann auch ein Negativ kriegen oder nur in aufwendigen Recherchen und Verfahren ihr Recht durchsetzen können. (3)
Asylverfahren – ein Lotteriespiel
Der Schrei nach Beschleunigung greift zu kurz. Untersuchungen der Asylverfahren in den letzten Jahren und Jahrzehnten sind im Kern zu immer gleichen Ergebnissen gelangt (4). Die Anerkennung hängt von vielen Faktoren und Zufällen ab, die weder von den Antragsstellenden noch von BetreuerInnen beeinflusst werden können. Etwa, wo man den Asylantrag stellt, welche/n ReferentIn man zugeteilt bekommt, welche DolmetscherInnen zur Verfügung stehen, aber auch und insbesondere welcher öffentliche Diskurs gerade mächtig ist und was von der Politik implizit vorgegeben wird. Derzeit stehen etwa die Chancen für AntragstellerInnen aus Afghanistan schlecht. Die politische Vorgabe geht europaweit in Richtung: „sicheres Herkunftsland“. Daher könne man nach Afghanistan zurückschieben. Heißt: Selbstverständlich gibt die Politik die Spielregeln für die Verfahren vor, was rechtsstaatlich bedenklich ist.
Fehlende qualifizierte SachbearbeiterInnen sowie DolmetscherInnen waren und sind mitverantwortlich für den Rückstau an nicht erledigten Fällen. Würde die erste Instanz qualitativ hochwertig arbeiten statt nach Schema F (copy and paste) und wirklich jeden Einzelfall prüfen, wie es die Genfer Flüchtlingskonvention vorsieht, dann wäre a) die Anerkennungsquote in erster Instanz generell höher und würde b) die zweite Instanz viel seltener angerufen werden, da aufgrund von soliden Erstprüfungen kaum erfolgversprechend.
Stakkato an Gesetzesänderungen
Die Innenministerpersonen wollten aber nicht nur die Asylverfahren verkürzen, sondern verspürten auch alle den inneren Auftrag, ein eigenes Gesetzeswerk zu hinterlassen. Das geht seit Franz Löschnak (1992) so. Die Vielzahl an Asylrechtsreformen und -änderungen, die seit 1992 großteils durchs Parlament gepeitscht wurden, haben – bis auf wenige Ausnahmen – nicht zur Verbesserung und Beschleunigung beigetragen (5), sondern haben sich vielmehr längst selbst zum Problem selbst entwickelt. Für profunde AsylrechtsexpertInnen in und außerhalb der Behörden ist das Dickicht unentwirrbar geworden. (6)
In dieser Zeit (1992-2017) wurden allein schon die zuständigen Behörden drei Mal neu strukturiert. Das Vorverfahren für Dublin (7) wurde eingeführt, dem eigentlichen Asylverfahren vorgeschoben. Das alleine dauert bereits bis zu sechs Monate, in denen nur geklärt wird, welches Land überhaupt zuständig ist. Dann – wenn Österreich ins Verfahren eintritt – beginnt das Warten auf die Einvernahme; ein Jahr ist dabei keine Seltenheit. Danach dauert es nochmal Monate (im günstigsten Fall) bis zu einem Entscheid. Zwei Jahre für die erste Instanz kann als rasch bezeichnet werden. Danach – sollte es etwa zu einer Berufung kommen – kann man nochmal ein Jahr für die zweite Instanz anberaumen.
Jetzt gibt es Personal
Doch jetzt kommt der Treppenwitz der Geschichte. Bis zum Jahre 2014 wurden nie mehr als 30.000 Entscheidungen pro Jahr gefällt. Erst in den Jahren 2015 und 2016 steigerte sich der Output der Asylbehörde der ersten Instanz auf 41.312 (2015) und 72.299 (2016). Diese Steigerung ist auffällig. Zurückzuführen ist sie auf 206 (2015) bzw. 389 (2016) eingestellte neue MitarbeiterInnen (8). Und siehe da, das hat auch sofort zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer auf 6,5 Monaten in erster Instanz geführt (9). Genau das – die Personalaufstockung – hatten die Innenministerpersonen bisher immer verweigert. Mit dem Flüchtlingsanstieg Sommer 2015 konnten sie einfach nicht mehr anders, sonst wäre der Rückstau schier unermesslich geworden.
Beschleunigung und Qualitätsverbesserung der Verfahren müssen Hand in Hand gehen. Nur schnell sein ist zu wenig und außerdem gefährlich. Gerade hier muss peinlich genau auf Qualität geachtet werden. Oder vielmehr: müsste. In einem höchst sensiblen Feld, wo schwerwiegende Entscheidungen, auf der Basis von Grund- und Menschenrechten, gefällt werden, ist es elementar, dass eine genaue und faire Prüfung mittels eines rechtsstaatlichen Verfahrens erfolgt – ohne Einfluss durch die Politik. Dieser wird jedoch von der jeweiligen Innenministerperson – rein zufällig – ständig ausgeübt und öffentlich aufgebaut (10). Trotzdem folgt darauf kein Aufschrei – wir verhandeln doch nicht das Delikt des Falschparkens!
Konjunktive
Der Weg, auf den die Innenministerin 2015 und der aktuelle Innenminister durch die Ereignisse (Syrienkrise und Flüchtlingsanstieg) gezwungen worden sind, ist erstmals der richtige, nämlich ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen. Wenn dieses zudem gut geschult wäre – was bei vier Monaten Ausbildungszeit fraglich ist – und sich auch laufend weiterbilden müsste, sowie nicht einfach wieder abgebaut wird, wenn die Asylantragszahlen sinken, dann wäre wirklich langfristig etwas für die Verkürzung der Verfahren getan.
Würde dann noch die unsägliche Dublin-Verordnung außer Kraft gesetzt und einmal einige Jahre kein neues Asylgesetz erlassen werden, das wieder alles über den Haufen wirft, dann, ja dann könnte der große Schritt vielleicht gelingen. Vielleicht ... wenn politischer Mut existieren würde … wenn der Wille vorhanden wäre. Menschlichkeit im Konjunktiv.
Wolfgang Gulis
(1) Näheres dazu: Zebratl Doku: In Zeiten des Terrors, Graz 2006, Vortrag: Alexandra Gröller, S. 13-16.
(2) Siehe auch Asylstatistik des BMI.
(3) So sehr es uns logisch erscheint, dass gerade Kriegsflüchtlinge anerkannt werden sollten, geht die GFK dennoch von der Prüfung des Einzelverfahrens aus, in dem Krieg als alleiniger Verfolgungsgrund nicht ausreichend ist.
(4) Sowohl der UNHCR hat auf der Ebene der EU die Verfahren in verschiedenen Ländern analysiert, also auch österreichische NGO-Zusammenschlüsse haben die Problemzonen des Asylverfahren immer wieder thematisiert (2003, 2006).
(5) Nur das Asylgesetz wurde 9x wesentlich verändert, u.a. neugeschrieben, inklusive einer dreimaligen Neuordnung der Behörden.
(6) Vgl. etwa die Stellungnahme der Antidiskriminierungstelle Steiermark vom 17.3.2015, die einen kleinen Überblick über die kontinuierlichen Verschärfungen der österreichischen Asylgesetze gibt: http://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/beitrag/12226156/118195471/
(7) Dublin I-III bezeichnet kurz die Regelung, dass jenes Land das Asylverfahren abzuwickeln hat, in dem der/die Asylwerbende zum ersten Mal registriert worden ist.
(8) Offizielle Statistiken des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA).
(9) Mitzubeachten ist dabei aber, dass die syrischen Asylanträge weit schneller bearbeitet werden, was die durchschnittliche Bearbeitungszeit derzeit drückt.
(10) Etwa wenn Afghanistan vom Bundesminister für Inneres als sicheres Rückschiebeland eingeschätzt wird.