ausgabe #78. prosa. shira richter
zurechtgerücktes symbol des feminismus
Wie sich Rosie the Riveter1 NACH mehreren Jahren
MUTTERarbeit fühlt
Warum das Selbstportrait eines Moments der Niederlage der Künstlerin Barbara Philipp (Österreich/Niederlande) zu den für mich wichtigsten und gewinnendsten Kunstwerken zählt – erklärt die feministische bildende Künstlerin und Vortragende Shira Richter (Israel).
Manchmal gelingt es einem Kunstwerk einer anderen Künstlerin genau zur richtigen Zeit genau das auszudrücken, was man gerade fühlt. Für mich ist es ein fast magischer Heilungsprozess, wenn ein Bild zu einem Gefühl passt. Das richtige Bild ist wie eine zutreffende Diagnose einer Krankheit oder eines Zustands. Ein Bild kann als Brücke zwischen Kulturen dienen, aber auch, und das ist noch wichtiger, zwischen der Seele und einem selbst, indem es Herz und Geist synchronisiert und harmonisiert. So war es bei mir, als ich Barbaras Boxerinnen-Selbstportrait gesehen habe. Ich lebe in Israel, Barbara in den Niederlanden, wir haben unterschiedliche künstlerische Ausdrucksweisen. Aber die Sprache der Kunst und die Arbeit der Mutterschaft sind die Kultur, das Land und die Sprache, die wir teilen. Manchmal erschaffe ich ein Bild, das genau trifft, was sie fühlt und manchmal ist sie es, die ein Bild erschafft, das meinen Gefühlszustand kommuniziert. Dieses Bild zeigt, wie ich mich dieses Jahr gefühlt habe: als Mutter von Zwillings-Jungen im Teenageralter, als Feministin in der Minderheit und als Künstlerin.
Als Künstlerin und Mutter ist die Erschöpfung eine ständige Begleiterin, aber auch etwas, worüber nicht gesprochen wird, außer in einer Therapiesitzung. Leute sagen: „Gib uns ein motivierendes (inspirierendes) Bild/Wort/Handeln“. Wir sollen keine Schwäche eingestehen oder gar zur Schau stellen, keine Niederlage, Fehler oder Verzweiflung, die wir nicht schon überwunden haben und nun wie ein Jäger neben seiner Trophäe stehen, triumphierend mit einem Fuß auf dem Kadaver des Monsters. „Quäl dich nicht herum, tu was…“, sagt man. Jammern ist verpönt, doch ich sehe darin eine notwendige Praxis, um Dampf abzulassen (so wie es jeder Druckkochtopf tut). Der wahre Preis, den wir Mütter-Künstlerinnen zahlen, ist nicht sexy. Von uns wird erwartet, dass wir unsere Ärmel hochkrempeln, unseren Bizeps spielen lassen, unsere starken Muskeln präsentieren, positiv eingestellt sind und mit allem fertig werden, wie auf dem feministischen „We can do it!“-Poster. Schwächen sind feminin, also „igitt!“ Feminin meint ergo „schwach“ – und damit: weiblich.
Bevor ich fortfahre, möchte ich nur festhalten, dass jede Zeit andere Symbole verlangt. Im 20. Jahrhundert traute man Frauen aus der Mittelschicht nicht zu, „maskuline“ Berufe auszuüben, daher war es ein Erfordernis dieser Zeit, das Gegenteil zu beweisen, wie es im Slogan auf dem Plakat „We Can Do It!“ zum Ausdruck kommt. Heute wissen wir jedoch, dass zwar immer mehr Frauen berufstätig sind, gleichzeitig aber auch ziemlich – erschöpft. Warum? Das liegt nicht nur daran, dass sie mehrere Jobs gleichzeitig bewältigen, sondern auch, weil die Arbeitswelt von Männern für Männer gestaltet wurde – eben nicht so toll. (2)
Tatsächlich sind viele feministische Mütter erschöpft. Erschöpft von der Anstrengung und dem Kampf unbezahlte, kaum wahrgenommene Arbeit mütterlicher Fürsorge und Pflegearbeit zu leisten, in einer konkurrenzfixierten, hierarchischen, getriebenen, patriarchalen, kapitalistischen und seelentötenden Welt. Erschöpft vom täglichen harten Kampf um eine bessere Welt für unsere Kinder. Erschöpft von dem olympischen Eiertanz, der jedes Mal nötig ist, um zwischen ignoranten, gehirngewaschenen Lehrern im öffentlichen Bildungssystem und den Kindern eine Brücke zu schlagen. Erschöpft von Söhnen, Brüdern und Vätern, die keine Ahnung haben vom Ausmaß der Anstrengungen einer Frau und nur selten daran denken, die Klobrille für unsere zarten Hintern herunter zu klappen. Mütter-Künstlerinnen haben genug davon, beiseite geschubst zu werden: zunächst von der etablierten Kunstwelt und dann auch noch von ihren kapitalistischen, gehirngewaschenen Schwestern.
Der Gesichtsausdruck im „Selbstportrait einer feministischen Boxerin“ macht die Ermüdung in meiner Seele sichtbar. Es zeigt eine Boxerin, Barbara Philipp, auf dem Boden („zu Boden gebracht“, „umgelegt“, wie man so sagt), und es ist, als würde sie mich im Publikum erkennen. Wie zwei Frauen in einem Raum voller Männer, die einander auf einer vertraulichen, weiblichen Ebene begegnen, erlaubt sie sich selbst für einen Augenblick die Rolle aufzugeben und wahrhaftig zu sein. Sie hat immer noch die Boxhandschuhe an, wird also gleich wieder aufstehen. Ihr Blick aber sagt „der Kampf ist anstrengend“. Interessant ist, obwohl das Bild eine Niederlage illustriert – wie sie ja wenige von uns zugeben wollen in dieser erfolgsversessenen „We Can Do It-Kultur –, war ich dennoch von Freude erfüllt, dass endlich jemand versteht, was du durchmachst. Ich, eine 50-jährige feministische Künstlerin und Mutter, habe es satt, die Faust des Feminismus als Symbol des Feminismus schlechthin zu sehen. In meinem Alter entspricht diese feministische Boxerin, die der Realität nüchtern ins Auge blickt, viel eher meinem Gefühlszustand.
Das Gute an einer präzisen künstlerischen Diagnose ist es, dass man, hat man erst einmal erkannt, wo man steht, nicht mehr verloren ist. Man weiß, wie es weitergeht. Danke, Barbara, dafür, dass Du meine Gefühle in ein klares Bild gebracht hast. Jetzt weiß ich, wo ich stehe und was ich als nächstes zu tun habe. Ein Alternativ-Titel für das Werk wäre:
FEMINISTISCHE MUTTER VERSION VON PAUL SIMONS „THE BOXER“:
„Ich gehe, ich gehe weg, aber der Kämpfer bleibt zurück“
„I am leaving, I am leaving, but the fighter still remains“
Shira Richter vor ihrer Arbeit Mount Novalak
Barbara Philipps Match – Objekte
Die beiden feministischen Künstlerinnen Barbara Philipp (Österreich/Niederlande) und Shira Richter (Israel) lernten sich 2015 auf der Konferenz The Mothernists kennen.
Weiterführende Informationen:
https://independent.academia.edu/ShiraRichter
www.barbaraphilipp.com
Weitere Informationen zu The Mothernists:
The Mothernists entspringt einer Idee von Deirdre M. Donoghue (m/other voices) und Lise Haller Baggesen (Mothernism) und verbindet ihre beiden Langzeitprojekte zur künstlerischen und akademischen Erforschung zu Mutterschaft und Ästhetik/Ethik in einem internationalen Symposium über Betreuungsarbeit und feministischen Wissensaustausch zwischen den Generationen. Die letzte Mothernism-Konferenz fand im Oktober 2017 in
Kopenhagen statt.
https://www.mothervoices.org
https://lisehallerbaggesen.wordpress.com/category/mothernism-2
Shira Richter
* Aus dem Englischen von D.Ü. & Redaktion
(1) Anm.d.Ü.: Rosie the Riveter (Rosie, die Nieterin) war während des Zweiten Weltkrieges eine kulturelle Ikone, die jene Frauen symbolisierte, die damals in der amerikanischen Rüstungsindustrie tätig waren.
(2) The paradox of declining female happiness von Betsy Stevenson und Justin Wolfers 2009
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