ausgabe #82. bericht. nicole pruckermayr
die kunst des friedvollen
Kunst im öffentlichen Raum: Projekte zur Conrad-von-Hötzendorf-Straße
Diese prominente Straße in Graz wird als Durchzugs-Verkehrsraum wahrgenommen, nicht als Lebensraum, eher als Ort der Repräsentation. Die Ansammlung ihrer vielen funktionalen Charaktere, angefangen vom Finanzamt, über die Stadthalle bis hin zum Stadion ist außergewöhnlich, einer Stadt in der Stadt gleich, und dennoch ist diese Straße gleichzeitig sehr gewöhnlich, steht für viele. Dieser Ort wird sich eklatant verändern, er befindet sich aktuell in einem Transformationsprozess, der aber wenig mit den Menschen vor Ort zu tun hat.
Welche Personen sind im Stadtraum wie sichtbar? Bei dieser Frage geht es genauso um Benennungen von Straßen wie um aktuell hier lebende Menschen. Wie sind die Bewohner*innen vor Ort eingebunden in Entscheidungsprozesse und welche Lösungsansätze braucht es, um ein friedvolles Miteinander konstruktiv zu leben und anzuregen?
Die Kunst-Projekte, die im Rahmen des Gesamtprojektes realisiert werden, spielen hier eine besondere Rolle. Sie reflektieren auf räumliche, soziale, gesellschaftliche, ökologische und politische Bezüge mittels historischer, aber auch zeitgenössischer und visionärer Ausrichtung, lassen sich auf ganz konkrete Bedingungen vor Ort ein und versuchen, mit den Menschen unmittelbar zu arbeiten.
Sechs Arbeiten im öffentlichen Raum
„Gyges und sein Ring“ von Sir Meisi (Ruby Sircar/Wolfgang Meisinger) behandelt in fünf Heften, die zwischen Dezember 2017 und Dezember 2018 erscheinen, unterschiedliche Themen, wie zum Beispiel: „Frau Hollenstein und Herr Hötzendorf: Männlichkeit im Krieg und warum der Teufel nicht mit dem Belzemädchen auszutreiben ist?“
Sir Meisi: „Hier werden Ideen und Fragen gesammelt, die sich an die anderen Kunstprojekte anschmiegen und eine kleine Kontext- und Ideenwolke ausmachen wollen. Neben Sachthemen in den einzelnen Heften gibt es auch eine fiktive Narration, die als Fortsetzungsgeschichte durch alle Hefte läuft.“
Foto: Nikolaos Zachariadis
Johanna Tinzls „Immer wieder die Waffen nieder!“ beschäftigt sich mit dem Bertha-von-Suttner-Platz. Einem Platz, der eigentlich nur ein halber Platz ist, da er direkt in den Stadionplatz übergeht. Die Thematik von Fußball, Fankultur, De- und Eskalation ist wesentlicher Bestandteil der Arbeit, die ortsspezifische Auseinandersetzung lässt sich sowohl auf die Entwicklung von Friedensbewegungen als auch auf die Materie Fußball in Graz ein. Dabei wird die Beschäftigung mit der Verräumlichung von Geschlechter(un)gleichheiten sichtbar: In Graz sind selbst im Jahr 2018 über 800 personenbezogene Straßen nach Männern benannt und nur 46 nach Frauen. Der 47. Straßen/Platzname, der offiziell eine Frau würdigt, wird der Bertha-von-Suttner-Platz sein.
Montage: Johanna Tinzl
Das Projekt „RESONANZRAUM“ von Reni Hofmüller berührt die ökologische Dimension dieses Ausfall-Straßen-Raumes und somit den bestimmenden Faktor Verkehr. Mit Hilfe von Pflanzen werden mögliche Giftstoffe und Schwermetalle aus dem Boden geholt, die an einer stark befahrenen Straße immer in hohem Maß erzeugt werden. „Diese Pflanzen haben neben dem ästhetischen einen wesentlichen umweltbezogenen Effekt: sie entfernen Giftstoffe und Schwermetalle aus dem Boden, und werden deswegen auch Hyperakkumulatoren genannt. Wenn sie rechtzeitig geerntet und dann als Schadstoffe entsorgt oder als recycelter Rohstoff weiter verwertet werden, kommen sie auch nicht mehr in den Boden und ins Grundwasser. Der Prozess der Bodenentgiftung mithilfe von Pflanzen heißt Phytoremediation“, so Reni Hofmüller.
Innerhalb eines demokratischen Prozesses werden auf verschiedenen Restgrünflächen Pflanzen gesetzt, die gemeinsam mit Menschen vor Ort ausgewählt, gepflegt und am Ende der Saison auch geerntet und sorgsam entsorgt werden.
Grafik: Miriam Raggam
Maruša Sagadin beschäftigt sich innerhalb ihrer Arbeit „V wie Fun“ (Arbeitstitel) mit städtebaulichen Aspekten, wie der Bespielung öffentlicher Flächen, genauso wie mit „Brandings“ innerhalb dieser Straße, indem sie eine performative Intervention realisiert.
„In diesem Projekt wird die anthropomorphe Formenfindung der (zeitgenössischen) Architekturen aufgenommen und verstärkt dargestellt. Darin werde ich die Aspekte wie Zugänglichkeit oder Handlungsfähigkeit hinterfragen und wie sehr diese städtebaulichen Maßnahmen ihr Hauptaugenmerk auf Konsum und Entertainment legen.“ (Maruša Sagadin) Überdimensionale Kostüme für Menschen, die die architektonischen Charaktere der Straße zugleich überhöhen, persiflieren, aber auch „eine subversive, lustvolle Protesthandlung“ (Sagadin) vornehmen, sind wesentlicher Part dieses irritierenden karnevalesken Zuges durch die Straße.
Zeichnungen: Maruša Sagadin
Eva Ursprungs Installation „WAR IS OVER“ ist eine Hommage an John Lennon & Yoko Onos „WAR IS OVER! (If You Want It)“-Kampagne, die 1969 startete und seit dem das Schaffen von Yoko Ono wesentlich begleitet. Ursprung geht innerhalb ihrer Arbeit genauso der Frage nach der Absenz oder Präsenz von Krieg nach, wie auch der Rolle von Medien, die ein Befeuern von eskalierenden Situationen ebenso in ihrem Möglichkeitsspielraum haben, wie dessen Befrieden.
Nayarí Castillo und Hanns Holger Rutz erforschen in ihrer Arbeit „Mexikanischer Tumulus“ (Arbeitstitel) eine Kolonie deutschsprachiger Exilant*innen in Mexiko während der Zeit des Nationalsozialismus. Mexiko war der einzige Staat, der Welt, der am 19. März 1938 formellen Protest vor dem Völkerbund gegen den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland einbrachte.
„Irma Römer und die Personen des Exilsalons widmeten ihr Leben dem Widerstand gegen die Tyrannei, kämpften mit kreativen Werkzeugen für die Freiheit und etablierten Orte für den Diskurs in ihrer neuen Heimat. Diese Klang-Raum-Installation ist eine Ode an jene, die sich in Zeiten der Dunkelheit widersetzten“ (Nayarí Castillo und Hanns Holger Rutz). Geplant ist diese Klang- und Rauminstallation an der Fassade und in der Umgebung des Grazer Ostbahnhofs, der während des Nationalsozialismus auch eine Zwischenstation des Todesmarsches ungarischer Jüdinnen und Juden im April 1945 bildete.
Eröffnungsrundgang zum Internationalen Tag der Demokratie am Samstag, 15. September 2018, 15:00 Uhr. Treffpunkt: Ostbahnhof, Conrad-von-Hötzendorf-Straße 104
Ausstellung 16. – 29. September 2018 an diversen Orten innerhalb der Conrad-von-Hötzendorf-Straße und in der Nachbarschaft.
Finissage zum Internationalen Tag der Gewaltlosigkeit am Samstag, 29. September 2018, 15:00 Uhr. Treffpunkt: Bertha-von-Suttner-Platz/Ecke Ulrich-Lichtenstein-Gasse
Detailliertes Programm ab August 2018 unter http://comradeconrade.mur.at
Konzeption, Organisation und Projektleitung: Nicole Pruckermayr
Veranstaltet in Kooperation mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark
Nicole Pruckermayr