ausgabe #83. bericht. eva ursprung. joachim hainzl
keiner hilft keinem*
Anfang der 1980er Jahre entstanden in Graz zwei Gruppierungen von Künstler*innen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: mit Eva & Co die erste feministische Kulturzeitschrift Europas, eine Gruppe angetreten zur Solidarisierung von Frauen über die Kunst – und auf der anderen Seite ein Männerbund, die Lord Jim Loge mit dem Motto „Keiner hilft keinem“. Es kursiert das Gerücht, dass das Eine der Auslöser des Anderen gewesen sei, die Runde der damals im Forum Stadtpark situierten Künstler einen männlichen Counterpart zu den Bemühungen der Künstlerinnen setzen wollten. So entstand später auch deren Zeitschrift „Sonne Busen Hammer“. Das entsprechende Logo war bereits vor dieser Publikation vorhanden, und jedes Mitglied wurde angehalten, dieses Symbol und den Schriftzug „Keiner hilft Keinem“ in seinen Werken zu verwenden. Erklärtes Ziel war, das Signet bekannter zu machen als jenes von Coca Cola. Die Lord Jim Loge verstand sich als ein „Männerbund des genuinen Widerstands gegen Denk- und Verhaltensschablonen“.
Die Zeit der Hippies, der Befreiungsbewegungen vom kleinbürgerlichen Mief waren irgendwie erledigt, der aktuelle Krieg war kalt und kein Anlass, dagegen auf die Straße zu gehen, die offizielle gesellschaftliche Übereinkunft war eher auf der Seite sozialer Gerechtigkeit, Gleichstellung von Männern und Frauen, starker Gewerkschaften... Offiziell galt das Gutmenschentum als opportun.
Kunst als Einmischung in die Gesellschaft, als Protest, war 1968. Da gab es schon mal „Kunst und Revolution“ – die in den Boulevardmedien als „Uni-Ferkelei“ kolportierte Aktion von Günter Brus, VALIE EXPORT, Otto Mühl, Peter Weibel, Oswald Wiener und anderen Aktionist*innen. In den 1970ern schritten die gesellschaftlichen Entwicklungen rasant voran. Ein Wissenschaftsministerium wurde installiert, mit der ersten sozialdemokratischen Ministerin, und bald gab es auch eine Staatssekretärin für Frauenangelegenheiten. Die Hochschulen wurden mit der Abschaffung der Studiengebühren 1972 geöffnet, die Mitbestimmung der Studierenden bei universitären Entscheidungen wurde gesetzlich verankert. KünstlerInnen engagierten sich auch weiterhin politisch, so spielten sie etwa eine tragende Rolle bei den Protesten gegen das Atomkraftwerk in Zwentendorf und jenen gegen die Zerstörung der Hainburger Au. Die Solidarisierung mit sozialen Bewegungen erfolgte trotz der Tatsache, dass sie damit die Hand bissen, die sie fütterte – war doch auch die Vergabe der Fördergelder in Händen der Partei, gegen deren Politik protestiert wurde. Beide Seiten hielten das aus.
Nun, in den 1980er Jahren, musste etwas Neues her. Die Coolness der New Wave, der kühle Intellekt, elektronische Musik, Kraftwerk und dadaistisch-nihilistische Texte à la DAF oder Foyer des Artes waren angesagt. Auf den anderen Seiten Punk und HipHop mit deutlich aggressiveren Botschaften als „Let‘s give peace a chance“. Die Kunst gab sich distanziert und ironisch.
In diesem Kontext hat es eine gewisse Logik, dass sich ein Männerbund mit einem solchen Motto formierte. Eine Provokation der Werte einer neu entstandenen gesellschaftlichen Übereinkunft der Gleichstellung und Solidarität, aber wohl auch eine in Frage Stellung von heuchlerischen Fassaden. Denn das alte Gedankengut war ja nicht verschwunden, es meldete sich nur nicht mehr so offen zu Wort. Und wie wir jetzt merken, ist das Motto „Keiner hilft Keinem“ inzwischen auf dem Siegeszug rund um die Welt. Lord Jim, nach einer Figur von Joseph Conrad der ewige Verlierer, ist auf der Seite der Gewinner gelandet. Die Wiener Künstlergruppe monochrom, die die Rechte für die Marke „Lord Jim Loge“ 2005 erworben hat, könnte den Slogan nun gut zu Geld machen und mit diesen Einnahmen in einer erneuten ironischen Umkehr denen helfen, die bei der derzeitigen kulturpolitischen Haltung Gefahr laufen, unter die Räder zu kommen: Projekte, die der Zusammenarbeit und Solidarisierung dienen, die Netzwerke und Vernetzungen einer sozialen Plastik bauen. Alternative Medien wie es damals Eva & Co und „Sonne Busen Hammer“ waren, und deren zeitgenössische Äquivalente man durchaus in Projekten wie den ausreißer, Radio Helsinki oder mur.at finden könnte. Mit dem Abbau partizipativer, in Frage stellender, kritischer, provokanter, gemeinschaftsbildender und in die Gesellschaft hinein wirkender Kunst wird der Weg zurück in eine Zeit geebnet, die schon längst überwunden schien.
Vom Helfen aus Eigennutz
Schauplatzwechsel. Teheran, August 2018. Ich denke über den Begriff der „Solidarität“ nach, als ich mir vor einigen Tagen die Nachrichten aus Österreich reinziehe, um upgedated zu bleiben über die sich so rapide verdunkelnde Weltpolitik. Unter dem Titel „Österreich hat mit Griechenland-Hilfe fast 100 Millionen verdient“ wird berichtet, dass der Rettungsschirm für Griechenland ein gutes Geschäft für die Schirmverkäufer gewesen ist. Und ich denke zurück, wie gehässig man vor einigen Jahren auf die griechische Wirtschaftskrise reagiert und plakativ über die faulen Griechen und Griechinnen gelästert hatte. Auch erinnere ich mich, wie ich bei einer linken Demo in Berlin zahlreiche Slogans las, welche die harte Haltung der deutschen Bundeskanzlerin Merkel gegenüber Griechenland kritisierten. Das war nur wenige Monate bevor die selbe Politikerin sich anscheinend in die Heilige der Flüchtlinge verwandelte. Solidarität als ein Akt der selbstlosen Nächstenliebe scheint in der Politik wohl eher selten vorzukommen. Dasselbe gilt für den bis heute in Österreich so verehrten „Marshall-Plan“ der USA im Nachkriegseuropa. Neben dem Ziel, dem Kommunismus einen Riegel vorzuschieben, galt es, die Überproduktion der auf Kriegswirtschaft eingestellten US-Betriebe durch die Schaffung neuer Absatzmärkte abzubauen. Das Beispiel der Zigarettenindustrie zeigt, wie erfolgreich dieser Plan aufgegangen ist. Denn in rund einem Jahrzehnt hatte man den RaucherInnengeschmack von „Orientzigaretten“ umgedreht in ein Favorisieren des „American Blend“.
Hoffnungslosigkeit, Aussichtslosigkeit
Nach dem Austritt der USA aus dem in Wien unterzeichneten Internationalen Atomabkommen fordert die Islamische Republik Iran nun ein solidarisches Handeln der Europäischen Union ein, mit dem diese die iranische Wirtschaft unter anderem durch den Import iranischer Waren stützen soll. Mitte August 2018 hat die EU ein „Hilfspaket“ im Umfang von 50 Millionen Euro beschlossen. Das heißt, der gesamten Europäischen Union scheint die Sicherung des Fortbestandes des Atomabkommens derzeit gerade mal die Hälfte dessen wert zu sein, was das kleine Österreich an der „Hilfe“ für Griechenland verdient hat. Und es ist ein Klacks gegenüber den Euromilliarden, welche die EU der Türkei versprochen hat, damit diese für sie die Mauer macht gegen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten. Aber seien wir doch ehrlich. Neben dem Atomabkommen ging es den europäischen Staaten ebenso wie jenen steirischen Wirtschaftsdelegationen, welche vor wenigen Jahren öffentlichkeitswirksam den Iran besuchten ähnlich wie beim Marshall-Plan, hauptsächlich um den Eigennutz neuer Geschäfte. Da war es dann schon fast belustigend zu sehen, wie sich damit einhergehend das medial transportierte Bild des Irans um 180 Grad wandelte.
Der Druck von US-Präsident Trumps funktioniert. Nicht nur verlassen fast alle ausländischen Firmen den „Hoffnungsmarkt“, auch zeigen sich Staaten wie Afghanistan, Irak oder Dschibuti, in welchen der Iran in den letzten Jahren aus strategischen Gründen u.a. Infrastrukturprojekte finanziert hatte, „unsolidarisch“ und tragen die neuen US-Sanktionen mit. Sogar afghanische ArbeiterInnen wägen derzeit anscheinend ab, ob ihre Einkünfte aus schlechtbezahlter harter Arbeit im Iran sich noch lohnen, wenn man sie mit den Visagebühren gegenrechnet.
Die aktuelle Stimmung hier im Iran ist daher bei allen Leuten, mit denen ich spreche, nur mehr pessimistisch und hoffnungslos. Kein Wunder. Vor rund einem halben Jahr bekam man für einen Euro rund 4.500 Tomen, im Mai 2018 dann schon fast 7.000 Tomen und jetzt, gegen Ende August, sind es über 12.000 Tomen. Die Auswirkungen dieses Währungsverfalls spürt jede/r IranerIn an den Verteuerungen der Lebensmittel, deren Preise sich in den letzten Wochen rund um das Inkrafttreten der ersten US-Sanktionen bis zu verdreifacht haben. Das gilt auch für alle Importprodukte (vom Stahl für den Hausbau bis zur externen Festplatte) sowie Inlandsflüge oder andere Dienstleistungen. Aber ebenso gravierend sind die Auswirkungen bei den gestoppten Importen von Gütern, die entweder aufgrund der Sanktionen nicht mehr verfügbar oder aufgrund des Verfalls der iranischen Währung kaum oder gar nicht mehr leistbar sind. Ich spüre das gerade bei den Vorbereitungen meiner Ausstellung, die in einigen Monaten in Teheran eröffnet werden soll. Bei den eingeholten Preisen für den Druck von Fotos wird immer dazugesagt: „…falls wir dann noch das Papier dafür haben.“ Und bei den goldenen Bilderrahmen, deren Muster ich mir gestern angesehen habe, meinte man nur achselzuckend, dass diese nicht mehr verfügbar seien, da Importware. Meine Versorgungsschwierigkeiten sind jedoch ein Klacks gegen die tatsächlich lebensbedrohenden Probleme vieler IranerInnen. So waren schon bei den letzten Sanktionen viele Medikamente nicht mehr verfügbar oder leisbar. Die Menschen hier leben in einer Art Schockstarre bzw. Stand-by-Modus, viele denken ans Auswandern. Aber wohin, wenn niemand seinen Reichtum mit einem teilen möchte (außer er verdient daran auch noch)?
Solidarität, so mein Eindruck, ist ein schöner Begriff, der in der Praxis aber wohl nur sehr selten tatsächlich gelebt wurde und wird.
Eva Urspung, Joachim Hainzl
* Anfang Dezember 2005 verkaufte Jörg Schlick der Wiener Künstlergruppe monochrom alle Marken- und Nutzungsrechte der Lord Jim Loge, einschließlich Wort-Marke „Lord Jim Loge“, die Wort-Bild-Marke „Sonne Busen Hammer“ sowie die Wort-Marke „Keiner hilft Keinem“.