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You are here: Home Ausgaben 84 | Okt/Nov/Dez 18 editorial

ausgabe #84. editorial. evelyn schalk

editorial

solidarität in zeiten des hasses


"Die moralische Barriere bei Diskriminierung ist gefallen.“ Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Homophobie werden wieder ungenierter geäußert, stellt Daniela Grabovac, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Steiermark anlässlich der Präsentation des aktuellen Antidiskriminierungsberichtes unumwunden fest. Im vergangenen Jahr kam es sage und schreibe fast zu einer Verdreifachung der Anfragen und Meldungen. Die mit Abstand häufigsten Diskriminierungsgründe sind dabei weiterhin die ethnische Herkunft (40,1%), gefolgt von Religion (13,5%) und sozialer Herkunft (10,7%). (1)
Massiv zugenommen haben vor allem online antisemitische Aussagen, die Leugnung / Verharmlosung des Holocaust und weiters werden „Methoden und Einrichtungen des Nationalsozialismus herbeigesehnt“. Der Antidiskrimierungsbericht zitiert in Übereinstimmung Ariel Muzicant, Vizepräsident des Europäischen Jüdischen Kongresses: „Die Situation der Juden in Europa ist schlimm und wir sind aufgefordert etwas dagegen zu unternehmen. Hass, der jetzt geschürt wird, führt am Ende immer zu einer Katastrophe. Das ist kein jüdisches Problem, es ist ein Problem Europas.“
Die Antidiskriminierungsstelle hat seit letztem Jahr eine BanHate-App eingeführt, mit der Hasspostings plattformunabhängig auf sozialen Netzwerken und anderen Medien gemeldet werden können.
Worte sind Taten. In den USA schnellten die Zahlen der Hate Crimes nach der Wahl Trumps in die Höhe, dasselbe gilt für europäische Länder, in denen rechte und rechtsextreme Politker*innen an die Macht kommen. Hass wird zum Mainstream. Und damit Gewalt, die nicht mehr nur als krimininelle Ausnahmeerscheinung auftritt, sondern systematisiert und durch politische Entscheidungen institutionalisiert wird.

Ein Internierungslager für Jugendliche, genauer gesagt, für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, das war Drasenhofen in Niederösterreich und das wäre es noch immer ohne den öffentlichen Aufschrei, die schnelle und hartnäckige Reaktion und vor allem die Solidarität zahlreicher Menschen mit den Betroffenen und darüber hinaus im unabdingbaren Verständnis eines Staates und einer Gesellschaft, die so etwas nicht duldet. Der niederösterreichische FPÖ-Landesrat Waldhäusl hatte 25 Jugendliche, traumatisiert, aus Kriegsgebieten geflüchtet, in Österreich schon vorher hin- und hergeschoben, in ein „Sonderquartier“ in Drasenhofen verfrachten lassen. Hinter Stacheldraht, mit Wachpersonal und Wachhunden sowie, von einer Stunde pro Tag in Begleitung abgesehen, strikter Ausgangssperre, ohne Betreuung, ohne Beschäftigung. Tagelang harrten sie dort aus. Erst als die Kinder- und Jugendanwaltschaft das Quartier für gänzlich ungeeignet befand, ließ es ÖVP-Landeshauptfrau Mikl-Leitner, die Waldhäusl selbst mit den Asylagenden betraut hatte, schließen. Die Kids wurden in Einrichtungen der Caritas gebracht. Gegen Waldhäusl, der schon zuvor rassistische, antisemitische und islamophobe Aussagen öffentlich tätigte, läuft eine Anzeige wegen Freiheitsentzugs, politische Konsequenzen gibt es für ihn hingegen keine, er bleibt trotz tausender Rücktrittsaufforderungen im Amt. (2)

Rassismus bleibt in Österreich jedoch nicht immer einfach nur folgenlos für die Täter*innen, diese werden dafür mitnunter noch ausgezeichnet. Elf Polizist*innen hatten im Herbst den Rapper T-Ser und andere Musiker aus einem Park in Wien verwiesen, gegen das mittlerweile an der Tagesordnung stehende „racial profiling“, also die gezielte Kontrolle von Personen aufgrund äußerlicher Merkmale wie Hautfarbe etc. setzten sich die Betroffenen zur Wehr und riefen die seither stetig wachsende Bewegung #nichtmituns ins Leben. Die beteiligten Beamt*innen hingegen wurden vom Wiener FPÖ-Vizebürgermeister Nepp, der sich „solidarisch hinter die Exekutive“ stellt, geehrt – mit dem Goldenen Wienerherz.

Die eigenen Rechte zu kennen, ist unabdingbar für wirkungsvolles solidarisches Verhalten, gerade wenn es um (den Verdacht auf) „racial profiling“ geht. Know your rights! Kenne deine Rechte! als Betroffener, aber auch als Zeuge polizeilicher Amtshandlungen. Die Organisation ZARA informiert in ihren Foldern.


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Im steirischen Antidiskriminierungsbericht fällt auch eine Steigerung der Islamfeindlichkeit auf, die den Großteil der 53,6 % aller gemeldeten Fälle ausmacht, die auf Diskriminierungen aufgrund ethnischer Herkunft und/oder Religion fußen. Opfer von antimuslimischem Rassismus sind fast ausschließlich Frauen. In 98 % der Vorfälle im Jahr 2017 wurden demnach wurden demnach Frauen attackiert. Aufgrund ihres Kleidungsstils sind sie für Täter*innen als Musliminnen zu erkennen.

Doch in einer Gesellschaft, in der Hass und Gewalt Mainstream werden, werden durchwegs Frauen und deren über Jahrhunderte erkämpfte Rechte zur vornehmlichen Zielscheibe dieser Angriffe. „Es sind genau diese Errungenschaften, auf die es Parteien der extremen Rechten abgesehen haben: das Recht auf Selbstbestimmung der Frauen“, so Falter-Journalistin Nina Horaczek. (3) In Italien wird mit der „Erklärung 434“ gerade gegen legale Abtreibung mobilisiert, von Regierungsseiten werden radikale Abtreibungsgegner*innen gezielt finanziert. Die Frauenrechtsbewegung Non una die meno protestiert dagegen in zahlreichen Städten. Aktuell gibt es auch in Norwegen Proteste gegen Pläne der rechtskonservativen Koalition zur Beschneidung des Abtreibungsrechts.
In den USA wiederum sind Frauen mit noch massiveren Bedrohungen konfrontiert. Im Bundesstaat Ohio wird derzeit eine Gesetzesvorlage diskutiert, die Abtreibung ausnahmslos mit Mord gleichsetzt, worauf lebenslange Haft bzw. die Todesstrafe steht. Das Gesetz nennt keine Ausnahmen bei Vergewaltigung, Missbrauch oder im Falle lebensbedrohender gesundheitlicher Konsequenzen für die Schwangere vor. „We must stand up and speak out against this dangerous bill“, so Heidi Sieck von der Organisation #voteprochoice. Ein ähnlicher Gesetzesentwurf, der sogenannte „hearbeat bill“, wurde kürzlich durch ein Gouverneursveto gerade  noch verhindert. Dieser „Horrorparagraph“ sah ein totales Abtreibungsverbot von jenem Moment an vor, in dem der Herzschlag des Fötus gemessen werden kann. Das ist mitunter noch vor der sechsten Woche der Fall, also noch bevor viele Frauen überhaupt wissen, dass sie schwanger sind. Der neue Entwurf wird nun von einem Bundesgericht blockiert, mit dem Verweis auf verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Frauen. Vom Tisch ist er damit noch nicht, in den Köpfen bleibt er allemal. (4)

In Österreich haben ÖVP und FPÖ auf Landes- und Bundesebene die Finanzierung von Frauenrechts- und Gewaltschutzorganisationen drastisch gekürzt. FPÖ-Vertreter*innen griffen Frauenhäuser wiederholt verbal an und dementierten deren Notwendigkeit. Stattdessen werden Migranten kriminialisiert und rassistisch unter Pauschalverdacht gestellt. Das Klischee vom bösen Fremden feiert sein wirkungsstarkes Comeback auf den politischen Hetzbühnen und den Tribünen des Boulevards. Geschwiegen wird, wie mittlerweile schon fast notorisch, über die Fakten: „An average of 137 women across the world are killed by a partner or family member every day“, belegen die vor kurzem veröffentlichten umfassenden Daten des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC). Jeden Tag. 137 ermordete Frauen. Nicht von Unbekannten, die hinter dunklen Ecken lauern. Sondern von Partnern und Familienmitgliedern. Die Familie ist also der gefährlichste Ort für eine Frau. (5)

Grabovac ortet generell eine riskante Entzweiung der Gesellschaft. Diese Entsolidarisierung hat System. Gerade wird sie in Österreich durch massive Angriffe auf das Sozialsystem weiter verschärft. Eben hat die schwarzblaue Regierung drastische Einschnitte bei der Mindestsicherung beschlossen. Um bis zur Hälfte weniger vom Mindesten bedeutet das für Betroffene. Wie damit noch leben? „Die Regierung teilt das Land in bislang beispielloser Weise in Menschen erster, zweiter und dritter Klasse. Mit fremdenfeindlicher Begleitmusik wird versucht, davon abzulenken, dass der Sozial­abbau nahezu alle trifft, die auf Unterstützung angewiesen sind, auch arbeitende Menschen“, so Alexander Pollack von SOS Mitmensch. (6) Schon jetzt sind Mindestsicherungsbezieher*innen häufig von Armut betroffen. Desolates Wohnen, weniger Bildungschancen, schlechter Gesundheitszustand. Bereits 2016 betrug in der Folge der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Arm und Reich in Österreich im Schnitt fast acht Jahre, bis zu zehn Jahren bei besonders betroffenen Gruppen. Diese Kluft wird sich weiter vergrößern. (7) Politische Angriffe auf Arme sind Gewaltakte.

„Wo Geld spricht, schweigt die Wahrheit“, so die Schriftstellerin Radka Denemarková in einer Diskussion über „Die verlorene Mitte Europas“.(8)

Wer Geld hat, braucht sich nichtmal die Fakten zu kaufen, er macht sie. Ob nun Trump dabei vom goldenen Turm ins Weiße Haus wechselte, Orbán ein gigantisches Netz medialer Gleichschaltung aufzieht oder Brasiliens neuer faschistischer Präsident Bolsonaro (9) seinen Kritiker*innen offen droht und nun auch offiziell die Macht hat, diese Drohungen zu realisieren, sie alle agieren ohne Rücksicht auf Verluste – im und von Leben anderer. Das gilt auch für eine österreichische Sozialministerin, die verkündete, mit 150 Euro könne man durchaus leben, selbst 17.311,50 Euro pro Monat verdient und nun wohlwollend lächelnd die Notstandshilfe abschafft. Keiner von ihnen hat sich je etwas anderes als die eigene Wahrheit auf die akkurat geschwungenen Fahnen geheftet.

Die Parameter verschieben sich. Hass wird zum Mainstream. Gefühllosigkeit zum Alltag. Gerechtigkeit zur belächelten Utopie. Gewalt zum Argument. Und Solidarität versuchen sich jene zu krallen, die Miteinander über Hautfarbe, Herkunft und vor allem Profitabilität definieren. Dagegen gilt es aufzustehen. Auf der Straße, im Streik, in und zwischen den Institutionen, Städten, Ländern, Kontinenten, aber auch in den eigenen vier Wänden, in der Partnerschaft, in der Liebe, im täglichen Begegnen.

Viel zu häufig fehlt dafür die Geduld. Immer wieder der Mut. Sehr oft die Kraft. Oder doch nur eine Umarmung.

Solidarität ist kein Konzept von Profit und Opportunismus, kein cui bono, sondern Verbundenheit, die Verbindlichkeit und Konsequenz meint, über Konventionen, Grenzen und vorgefertigte Bilder hinweg. Füreinander statt nur für sich. Zuhören und zu verstehen versuchen, auch und besonders wenn aus dem eigenen Muster fällt, was und wie der/die* andere etwas sagt. Es gilt, die Muster zu verändern, statt Menschen gegeneinander hetzen und Kommunikation verunmöglichen zu lassen.

„Dass ich versuche zu helfen, wenn einer was braucht, ist nicht gut, sondern normal“, stellte Ute Bock schon 2010 klar. Heute, acht Jahre später, scheint diese Selbstverständlichkeit keine mehr zu sein. Darin besteht der große Irrtum. Denn ihre Gültigkeit verliert sie nie. Die gilt es, endlich wieder in die Köpfe und Herzen zu bringen.


Evelyn Schalk



(1)    http://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/beitrag/12513835/132097694
(2)    Vgl. u. a. https://derstandard.at/2000092942599/Vier-Tage-in-Drasenhofen-so-lang-wie-vier-Jahre
https://kurier.at/chronik/oesterreich/weg-von-drasenhofen-endlich-nicht-mehr-eingesperrt/400341421
(3)    https://www.falter.at/archiv/wp/die-neuen-kreuzritter
(4)    https://edition.cnn.com/2018/11/21/us/ohio-abortion-ban-bill-criminal-law-trnd/index.html
(5)    https://www.bbc.com/news/world-46292919?SThisFB&fbclid=IwAR201-B_ItCMPPKSWv2jZQ10CnX6rN1cKSoOxU37jXaEKkd8PWdGCBp32U0
(6)    https://www2.sosmitmensch.at/sieben-richtigstellungen-zur-regierungspropaganda-zur-mindestsicherung
(7)    https://kurier.at/amp/gesund/wachsende-kluft-bei-lebenserwartung-arme-sterben-frueher/400334667
(8)    https://www.koerber-stiftung.de/demokratie-braucht-andere-werte-1510
(9)    Ein „lupenreiner Faschist“ ist der neue brasilianische Präsident. Sein Ziel: „eine rassistische Klassengesellschaft“.  https://www.zeit.de/kultur/2018-11/jair-bolsonaro-rassismus-homophobie-rechtspopulismus-brasilien/komplettansicht?fbclid=IwAR3Z2g-Ed5lwwx74AHLcsYSh6dmSTomnCig44 fP0B2pxCd6w4s2l5emMBRc

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