ausgabe #85/86. lyrik. jazra khaleed (deutschsprachige nachdichtung von ina und asteris kutulas)
ein arbeitsloser sitzt auf einem stein
Ein Arbeitsloser sitzt auf einem Stein
Ein Arbeitsloser sitzt auf einem Stein
wie angeschmiedet und still,
er sieht die Montage sich hinkend entfernen,
er spürt die Läuse sich vermehren in seinen Achselhöhlen,
sein Schmerz füllt sich langsam mit Blut;
er ist bedrückt, kommt ins Schwitzen, ist zugeknöpft,
zählt seine Bezugsscheine und befindet sein Leben für mangelhaft;
so viele Jahre Arbeit, und nicht eine Stunde gewann er für sich…
Warum jetzt, warum jetzt, warum jetzt?
Ein Arbeitsloser sitzt auf einem Stein,
sitzt hart an der Kante seines Lebens
mit seinen Schluchzern und all seinen Lebensfunktionen,
mit seiner Wut, die, gemessen in Zoll, so winzig ist,
mit seinen Wörtern, den abgemagerten, die vor Hunger in Ohnmacht fallen;
er beugt seinen Körper in spitzem Winkel vornüber,
entsprechend seinem Klassenstandpunkt.
Sitzt und sieht vor seinen Augen vorbeiziehn
das konstante Kapital,
den Arbeitsprozess,
den Export des Mehrwerts,
seine Sehnsüchte mit hängenden Köpfen;
er betrachtet seine leeren Hände, abgearbeitet und knochendürr;
auf seinen Handtellern die Happen werden weniger,
auf seinem Brot die Knochen werden weniger.
Seht ihn euch an, wie er da allein sitzt
zwischen so vielen Tausenden, die sind wie er,
seht, wie aufsteigt und sinkt
in seinem Hals die Hoffnung, trocken und ausgezehrt,
abgestanden ist sein Atem vom Warten,
von seinen „Ja“ und seinen „Jawohl“.
Er ist es, der auf seinem Rücken die Erniedrigungen ansammelte,
statt sie zurückzugeben mitsamt allen Hobelspänen,
statt seine Angst mit Hammer und Meißel zu zertrümmern,
statt seine Klasse mit all seinem Gewicht zu verteidigen,
stattdessen hat er seine Wut geglättet und sein Explodieren eingeschnürt,
er hat Öl statt Sand in die Maschine gekippt.
Was kann er erwarten?
Seht, wie er jetzt leidet,
besiegt und nirgendwo organisiert,
ein Lebenlang kümmerte er sich nur um seine Arbeit,
ein Lebenlang sammelte er in seine Sparbüchse;
seine Überlegungen kannten keine Person Plural,
seine Taten kannten keine Person Plural,
immer in der 1. Person Singular, immer mit passiver Wortmeldung,
immer trottete er mit hängenden Schultern zwischen seinen Chefs;
tief,
tief in seinem Dasein
ein Schweigen, ein Zustimmen, eine Selbstbeschneidung…
Ein Arbeitsloser sitzt auf einem Stein,
seine Gedanken enden beim Stein;
niemals hat er darüber nachgedacht, den Stein anzuheben,
niemals hat er darüber nachgedacht, den Stein zu werfen.
jazra khaleed