ausgabe #87/88. interview-auszug. lidija krienzer-radojević, aus dem kroatischen von silvia stecher.
Die Administration des Klassenkampfs
Interview-Auszug
Wie würden Sie den Begriff der Zivilgesellschaft definieren? Ist sie eine Gesellschaftsformation, eine Gesellschaftssphäre oder etwas anderes? Aus welchem politischen Imaginären kommt sie, ist sie autonom oder abhängig und wodurch wird sie legitimiert?
Es ist wichtig, die Zivilgesellschaft als historisches, aber auch politisches Konzept kapitalistischer Gesellschaften zu verstehen. Die Selbstorganisation der Zivilgesellschaft und ihre Entwicklung hängen von den wirtschaftlichen Bedingungen ab, von ihrem historischen Verlauf und der historischen Erfahrung. Man kann daher nicht von der Zivilgesellschaft als einem einheitlichen, ahistorischen Konzept sprechen, sondern muss sie spezifizieren und innerhalb der konkreten sozialen Kämpfe analysieren.
Die Frage nach der Autonomie der Zivilgesellschaft ist politisch falsch und analytisch unproduktiv, da die Gesellschaft als in Ganzes zu verstehen ist, das die Verflechtung verschiedener Prozesse und Beziehungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteur*innen impliziert. Daher lässt sich weder der Staat, der eine generelle gesellschaftliche Metainstitution ist, als autonom bezeichnen noch die Zivilgesellschaft. Wir müssen aus dem liberalen Traum von autonomen Gesellschaftssphären erwachen.
[…]„Die Vernachlässigung von Arbeiter*innen- und Klassenfragen innerhalb des Imaginären der Menschenrechte kommt daher,
dass im Kapitalismus Forderungen nach politischen Rechten vorherrschen, während im Sozialismus die wirtschaftlichen und sozialen Rechte vorrangig waren. In den postjugoslawischen Ländern war der Menschenrechtsdiskurs der führende Diskurs, mit dem der Sozialismus als legitimes Gesellschaftssystem dementiert wurde, und auf die gleiche Weise hatte er an dessen Zerstörung mitgewirkt. Derselbe Diskurs wird noch immer genutzt, um neuerliche Überlegungen, den Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus zu setzen, zurückzuweisen.“
„Der Staat überträgt Schritt für Schritt die Verantwortung für die soziale Kohäsion auf private Akteur*innen, die nicht die Kapazitäten haben, um die genannten Anforderungen zu erfüllen, da sie sich durch Projekte und andere Modelle finanzieren, die weder Stabilität noch Kontinuität haben. Und was das Schlimmste ist: Damit brechen parallel die Grundpfeiler des öffentlichen Sektors zusammen, wie das Sozial- und Gesundheitssystem, Kultur, Bildung usw.“
Lidija Krienzer-Radojević; aus dem Kroatischen von Silvia Stecher.
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Das Interview wurde erstpubliziert von der kroatischen Theorie-Plattform Slobodni Filozofski, in der deutschsprachigen Übersetzung von Silvia Stecher ist es auf tatsachen.at erschienen.
Das gesamte Interview:
https://tatsachen. at/2019/04/10/die-administration-des-klassenkampfes/