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You are here: Home Ausgaben 91 | Nov/Dez 19 im zeitalter der leugnung

ausgabe #91. prosa. evelyn schalk

im zeitalter der leugnung


Wir leben im Zeitalter des Leugnens. Wieder immer noch. Aber die nächste Stufe ist erreicht. Nun wird es nicht mehr normalisiert, hingenommen und legitimiert. Längst hat sich die Perspektive weitergedreht. Das Leugnen wurde in all seiner Kunst und Fertigkeit für höchst preis würdig befunden. Ein vergoldeter Lorbeerkranz für Nero, während die Flammen längst lodern.
Die Geschichte Österreichs ist eine Geschichte des Leugnens. Ein Land der Rollenspiele, in denen die Täter die Opfer verhöhnen, indem sie ihnen noch das Wort nehmen, das ihre Leiden benennt und es klingend auf sich selbst ummünzen. Eine zweite Auslöschung.
Dafür geht das ansonsten so grenzfixierte Österreich auch über seine Schlagbalken in Richtung vergangener Gebiets- und Definitionshoheiten. Mit Fakten kommt man denen nicht bei, diese Zuständigkeit muss man doch einfach nur fiktional fühlen... (1)
Nur für die Opfer dieser Brutalität der Faktenlosigkeit fühlt sich hier niemand zuständig, da zog und zieht man die Grenze. Mit Zahnbürsten, Stempel­griffen und Bergschuhen.
Die Grausamkeit schöner Worte zählt mehr als alle Fakten. Geschliffene Satzmanifestationen dieses Bestehenden sind eine lohnende Leistung. Und die Traumata der Überlebenden bleiben eine Fußnote im Abspann der fatal ausgeleuchteten Heldenerzählung.
Österreich ist eine Nation der Leugnung. Wenn die Erben jener Täter, die nie welche gewesen sein werden, wieder in Regierungs­rängen sitzen, ist mit dem nationalen Opfermythos keine Geschichtsrevision mehr zu gewinnen, längst ist alles erreicht.
Also weicht einer aus, und verlegt die Leugnung auf alte Projektions­flächen, die tausende Gräber ungenannt überspannen, aber nur an einem vergießt der Dichter schwache Worte über eine sogenannte Welt. (2) Mit sogenannten hat die Entmenschlichung begonnen. Immer und immer wieder. Bis heute. Mit sogenannten hat die Vernichtung begonnen. Der Wahrheit, der Sprache, der Menschen.

Peter Handke ist kein sogenannter Nobelpreisträger.
Aber es ist ein Moment Europas sogenannter Kultur.


Evelyn Schalk


(1) Vgl.: Alida Bremer: https://www.dw.com/de/handke-und-der-balkan-nobelpreis-in-den-falschen-h%C3%A4nden/a-50794184
(2) Aus der Grabrede Handkes beim Begräbnis von Slobodan Milošević 2006: https://handkeonline.onb.ac.at/node/1877

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