Skip to content. Skip to navigation
Verein zur Förderung von Medienvielfalt und freier Berichterstattung

ausreißer - die grazer wandzeitung

Sections
You are here: Home Projekt abräumen! abräumen! öffentlicher raum und seine diskriminierenden auswirkungen

ausgabe #71. kolumne. daniela grabovac

öffentlicher raum und seine diskriminierenden auswirkungen


„Die Straßen in den Großstädten haben noch viele andere Funktionen außer der einen, Platz für Fahrzeuge zu bieten, und die Bürgersteige ... haben noch viele andere Funktionen, außer Platz für die Fußgänger zu bieten... Ein Bürgersteig in einer Großstadt ist, für sich genommen, ein leerer Begriff. Erst im Zusammenhang mit den angrenzenden Gebäuden und mit deren Nutzung oder erst in Verbindung mit der Benutzung anderer Bürgersteige in der Nähe gewinnt er Bedeutung... Die Straßen und ihre Bürgersteige sind die wichtigsten öffentlichen Orte einer Stadt, sind ihre lebenskräftigsten Organe. Was kommt einem, wenn man an eine Großstadt denkt, als erstes in den Sinn? Ihre Straßen. Wenn die Straßen einer Großstadt uninteressant sind, ist die ganze Stadt uninteressant; wenn sie langweilig sind, ist die ganze Stadt langweilig.“(1)

 

Was aber, wenn die Straßen einer Stadt diskriminierend sind, dann ist die ganze Stadt diskriminierend?

Beim Lesen dieses Zitats drängt sich in Zusammenhang mit dem Thema Alltagsrassismus unweigerlich dieser Gedanke auf.

Provokant dürfte die These sein, aber realitätsbestimmend.

Zeigen doch veröffentlichte Studien wie die der EU Grundrechteagentur „Making hate crimes visible“ (2) das Steigen von sexistischen, rassistischen, heterosexistischen und andere diskriminierende verbale und/oder tätliche Übergriffe im öffentlichen Raum auf. Sie sind Teil der sogenannten Hate Crimes.

Der Antidiskriminierungsbericht Steiermark 2015 (3) wies gerade im Bereich öffentlicher Raum die höchste Prozentzahl mit 27,96 % an Diskriminierungen auf.

 

Öffentlicher Raum (Alltag)                                                27,96 %

Arbeit                                                                              13,26 %

Ausbildung                                                                       6,87 %

Behörde                                                                          19,80 %

Gesundheit                                                                       5,91 %

Wohnen                                                                            6,39 %

Sonstige (Internet)                                                           19,81 %

 

Der Begriff Hate Crime bezeichnet in diesem Zusammenhang Straftaten, bei denen das Opfer gezielt nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe ausgewählt wird und die Tat sich somit gegen die ganze Gruppe richtet. Menschen werden lediglich wegen ihrer Herkunft, ihrer Überzeugung, ihres Lebensstils oder ihres Äußeren Ziel von diskriminierenden Attacken. Diese reichen von Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen.

Die Opfer sind in den meisten Fällen machtlos, da die Täter nicht gefasst werden können und somit unbekannt bleiben.

Der öffentliche Raum bietet somit durch die zufällige Begegnung den Schutz der Täter durch die Anonymität und erschwert den Opfern die Wiedergutmachung durch rechtliche Verfolgbarkeit.

Das Dilemma der Wiedergutmachung zeigt sich zudem strafrechtlich. Denn bei einer Verfolgung der Täter wegen Beleidigung gemäß § 115 StGB in eventu auch in Verbindung mit § 117 Abs. 3 StGB  muss das Erfordernis der Öffentlichkeit der Handlung gegeben sein: Unter der Öffentlichkeit im Sinne des Gesetzes ist nach der Rechtsprechung ein größerer Personenkreis von zumindest 10 Personen zu verstehen, „vor mehreren Leuten“ bedeutet hingegen, dass außer den Beteiligten selbst noch mindestens drei weitere Personen anwesend sein müssen, die die Tat bezeugen. Beide Voraussetzungen sind in der Praxis häufig nicht gegeben, wodurch eine strafrechtliche Verfolgung unmöglich wird.

So berichtet ein sechzehnjähriges Mädchen in der Antidiskriminierungsberatung, dass sie wegen ihrer islamischen Religionszugehörigkeit mehrmals von Jungen am Weg zur Schule belästigt und ihr das Kopftuch vom Kopf gerissen wird. (4)

Mehr als ein Drittel der von der Antidiskriminierungsstelle Steiermark erfassten Fälle betreffen Diskriminierungen aufgrund der Ethnie mit 39,93 %. 9,1 % betreffen intersektionelle Diskriminierungen (Mehrfachdiskriminierungen insbesondere aufgrund des Geschlechts, der Ethnie, der Religion und des sozialen Status).

Nun ist die Stadt „eine Art ʻphysisches Gedächtnisʻ und damit Teil des kollektiven Gedächtnisses ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Öffentliche Räume sind damit nicht nur Orte für bestimmte städtische Funktionen des Verkehrs, des Handels, der Repräsentation oder der Erholung, sondern auch Träger von unterschiedlichen Bedeutungen, Erinnerungen und Geschichten, die sich zum Bild einer Stadt verdichten.“ (5)

Was, wenn Diskriminierungen und Rassismen in der Stadt alltäglich werden?

Nach Meinung der Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann werden die „kleinen“ Formen von Rassismus im Alltag von den Betroffenen als auch von den Akteurinnen und Akteuren und den „Unbeteiligten“ verinnerlicht. Denn gerade der Alltag ist der prägendste Bereich, in dem Menschen ihre Erfahrung machen. Diese Erfahrungen werden sodann verinnerlicht und es setzt nach Meinung von Jürgen Link eine Normalisierungsprozeß ein.

Diese Normalisierung im Alltag kommt nicht nur im klassisch verstandenen öffentlichen Raum, sondern auch im virtuellen Raum des Internets zum Ausdruck.

Diskriminierende Äußerungen bis hin zur Hetze werden ohne Scheu gepostet. Seit dem Jahr 2015 zeigt sich, dass knapp die Hälfte der gemeldeten Postings (43,75 %) Bezug nehmen auf das Diskriminierungsmerkmal Religion, sie haben meist einen islamophoben Hintergrund und sind verknüpft mit dem Thema Flucht.

So postet eine Facebook Gruppe: „der ganze Muslime-Scheißhaufen gehört mit Benzin übergossen und angezündet…“ (6)

Herr Z. schreibt in seinem Posting zur Flüchtlingsthematik: „Eine Kugel wäre billiger!“ (7)

Frau K. schreibt zur Flüchtlingsthematik: „Haha Österreich, hier nix arbeiten, trotzdem viel Geld – da Hitler war supa!“ (8)

Das Pendant zu Hate Crimes im öffentlichen Raum sind Hate Speeches in der virtuellen Welt. Hier werden statt der körperlichen Übergriffe verbale Übergriffe getätigt, die die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit in vielen Fällen überschreiten.

Unter Hate Speech versteht man alle diskriminierenden (sexistischen, rassistischen, heterosexistischen u. a.) Ausdrücke. Neben den Merkmalen der ethnischen Herkunft, der Religion und der Hautfarbe können ebenfalls Merkmale wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung oder das Alter Grundlage für Hate Speech sein. (9)

Gemeinsam ist ihnen beiden der vermeintliche Schutz der Anonymität. Zudem ist auch im Internet die strafrechtliche Verfolgung „nur“ im Rahmen der Verhetzung gemäß § 283 StGB gegeben.

Hinzu kommt die fälschliche Annahme, dass Hate Crimes und Hate Speeches von Personen begangen werden, die extremistischen Kreisen angehören, sodass ein gesellschaftspolitischer Diskurs unmöglich gemacht wird.

Die Zahlen aus dem Antidiskriminierungsbericht Steiermark 2015 (10) verdeutlichen, dass Diskriminierungen in beiden Lebensbereichen häufig vorkommen. Hierbei steht der öffentliche Raum mit 27,96 % an erster und das Internet mit 19,81 % an zweiter Stelle.

Diesbezüglich gilt es hinzuschauen und zu handeln! Diesen Prozess nicht in einen Normalisierungsprozess in das kollektive, physische Gedächtnis einer Stadt, eines Landes, einer Welt abgleiten zu lassen!

Denn nur wenn die Straßen öffentlich sind, d.h: „ohne Kosten und ohne individuelle oder gruppenbezogene Diskriminierungen zu jeder Zeit zugänglich und für alle die Allgemeinheit oder Dritte nicht gefährdende oder belastende Nutzungen verfügbar“ (11), sind sie offen!


daniela grabovac


Die Serie abräumen! erscheint in Kooperation mit der
Steirischen Gesellschaft für Kulturpolitik.

 

(1)  Jane Jacobs, Tod und Leben großer amerikanischer Städte, Deutsche Ausgabe 1963, S. 27.

(2)  European Union Agency for Fundamental Rights, Making hate crime visible in the European Union, acknowledging victims rights, November 2012

(3)  Antidiskriminierungsstelle Steiermark (Hrsg.), Antidiskriminierungsbericht Steiermark 2015, S. 12.

(4)  Antidiskriminierungsstelle Steiermark (Hrsg.), Antidiskriminierungsbericht Steiermark 2012, S. 26.

(5)  Stephan Reiß-Schmidt: Der öffentliche Raum: Traum, Wirklichkeit, Perspektiven, unter http://www.urbanauten.de/reiss_schmidt.pdf, am 18.09.2013

(6)  http://www.krone.at/Oesterreich/Facebook-Gruppe_aus_FPOe-Umfeld_sorgt_fuer_Wirbel-Hetzerische_Postings-Story-373072 am 03.10.2013

(7)  Antidiskriminierungsstelle Steiermark (Hrsg.), Anti­diskriminierungsbericht Steiermark 2015, S. 19.

(8)  Antidiskriminierungsstelle Steiermark (Hrsg.), Anti­diskriminierungsbericht Steiermark 2015, S. 18.

(9)  Vgl. http://www.klagsverband.at/info/hate-speech, 21.01.2013

(10)  Antidiskriminierungsstelle Steiermark, Antidiskriminierungsbericht Steiermark 2015, unter www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at am 08.09.2016

(11)  Stephan Reiß-Schmidt: Der öffentliche Raum: Traum, Wirklichkeit, Perspektiven, unter http://www.urbanauten.de/reiss_schmidt.pdf, am 18.09.2013

 

 

« November 2022 »
Su Mo Tu We Th Fr Sa
1 2 3 4 5
6 7 8 9 10 11 12
13 14 15 16 17 18 19
20 21 22 23 24 25 26
27 28 29 30
 

Powered by Plone, the Open Source Content Management System