ausgabe #75. editorial. evelyn schalk
editorial
mit vollgas in die pathologie
Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.
Jeder Atemzug ist lebensgefährlich. Er pumpt soviele Schadstoffe in unsere Lungen, dass sie ein Pathologe nicht von der eines Kettenrauchers unterscheiden wird können, wenn es soweit ist. Auch wenn wir in unserem Leben keine einzige Zigarette geraucht haben. Wir haben geatmet. Das reicht. (1) Trotzdem können wir nicht anders, als Luft zu holen. Es kommt eben nur drauf an, wo. Einatmen. Ausatmen. 12 bis 18 mal pro Minute, 17.280 bis 25.920 mal täglich, bis zu 803.520 mal im Monat, fast 10 Millionen mal pro Jahr. Kinder zwei- bis dreimal so oft. (2) Ein Leben lang. So lange dieses eben dauert. Denn jeder Atemzug verkürzt es, obwohl tief durchatmen doch gesund sein soll. Ist es auch, wenn wir nur Luft, also Sauerstoff, Stickstoff und ein paar Edelgase einsaugen würden. Tatsächlich aber inhalieren wir jede Sekunde Unmengen an Dreck. Feinstaub heißt das. Mal spüren wir es förmlich, viel öfter aber merken wir rein gar nichts davon. Der, der selbst unterm Mikroskop kaum sichtbar ist, ist der gefährlichste. Er durchdringt jedes Organ, jede Blutbahn, jede Zelle. Lagert sich ab, nistet sich ein und setzt seine fatalen Auswirkungen in Gang.
50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft wurden als zulässiger Grenzwert in der EU festgelegt, an max. 25 Tagen im Jahr. Graz hatte diese Demarkationslinie schon im Februar überschritten und somit in zwei Monaten mehr Dreck in die Atmosphäre geblasen, als für ein ganzes Jahr gerade noch erlaubt ist. (3) Konsequenzen? Keine. Verkehr und Industrie pusten munter weiter ihre tödlichen Cocktails in die Stadtluft. Dass sie die Hauptverursacher der Misere sind, ist längst wissenschaftlich bewiesen, auch wenn Autolobby und Industriemarionetten in der Politik noch so intensiv um Leugnung bemüht sind und dafür ihre PR-Maschinerie durch die Straßen und Rathäuser rollen lassen. Wer ihnen auf den Leim geht und fröhlich jeden Meter in der Blechkiste bestreitet, ist wirklich selbst schuld. Die Folgen tragen jedoch alle. Konsequent. Das heißt, solange es eben geht, denn Feinstaub befördert u.a. die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrebs, Diabetes und Allergien bis hin zu Nervenkrankheiten wie Alzheimer und Parkinson. (4) An Orten, an denen die Feinstaub-Grenzwerte kontinuierlich überschritten werden, ist die Lebenserwartung nachweislich niedriger als an solchen, wo zumindest großteils saubere Luft durch Nase und Lungen strömt.
Österreichweit starben im Jahr 2013 wegen der hohen Feinstaubbelastung 6.960 Menschen vorzeitig, in Graz reduziert die schlechte Luft die zu erwartende Lebenszeit um fast ein Jahr. (5) Zu über 2,1 Millionen Todesfällen aufgrund von Feinstaub kommt es jährlich weltweit. (6)
Zu den naheliegendsten Lösungen will man sich trotzdem nicht durchringen, statt Ausbau von öffentlichem Verkehr und leistbaren Tickets, weniger KFZ-Zulassungen und autofreien Tagen, Verbot von Dieseldreckschleudern und Ausbau von Radwegen fährt man kollektiv mit Vollgas in die Pathologie. Dort hat man‘s dann schön kühl, ganz individuell, jede/r in seinem Blechfach. Selbst die Luft dürfte gefiltert werden. A schöne Leich‘ wird‘s trotzdem nicht geben, keine einzige. Die sind leider alle toxisch. Und verursachen weiter Schaden in Erde und Luft. Ein natürlicher Kreislauf.
Und einatmen. Und ausatmen. Und einatmen. Und ausatmen. Und.
Evelyn Schalk
1 Vgl. die äußerst
informative und lesenswerte Reportage:
„Feinstaub: Die unsichtbare Gefahr.“ In: Die Zeit, Ausgabe 18, 26.4.2017
2 https://www.gesundheit.de/krankheiten/lunge/funktion-der-lunge/lebenselixier-luft
3 https://www.vcoe.at/news/details/vcoe-feinstaub-jahresgrenzwert-in-graz-bereits-jetzt-ueberschritten
4 http://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Feinstaub-die-unsichtbare-Gefahr,feinstaub126.html und https://www.vcoe.at/service/fragen-und-antworten/was-ist-feinstaub-und-welche-feinstaub-partikel-sind-am-schaedlichsten
5 https://www.meinbezirk.at/graz/politik/feinstaub-gruene-fordern-autofreie-tage-fuer-graz-d2042014.html?cp=Kurationsbox
6 http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/feinstaub-prognose-die-schmutzigsten-staedte-europas-a-1019510.html