ausgabe #78. bericht. eva ursprung
gleichstellung oder feminismus?
Donna Haraways Utopie der Gleichstellung durch die Verwendung der neuen Medien, die den Körper auszuschalten scheinen, ist gescheitert. Wir werden immer mehr zu Cyborgs, aber das Geschlecht bleibt ein Kriterium – sowohl im realen, als auch im virtuellen Raum. Der Diskurs in den fachspezifischen Mailinglisten wird ebenso von Männern bestimmt wie in den realen Vortragssälen der großen Medienkunstfestivals, der Universitäten oder der Besprechungszimmer von Politik und Wirtschaft, in denen die Entscheidungen über unsere Zukunft getroffen werden.
Feminismus ist sexy
Das erkannte vor Kurzem auch die Ars Electronica: „Bereits im September 2016 hat Ars Electronica eine eigene Online-Datenbank für Frauen in der Medienkunst ins Leben gerufen.“
Die Projektverantwortliche Florina Costamoling hat dazu 1.800 Einträge zusammengetragen, damit entstand eine der größten Datenbanken über Medienkünstlerinnen weltweit. Nun läuft ein öffentlicher Aufruf, über archive@aec.at Künstlerinnen hinzuzufügen.
Seit Jahren gab es Kritik am geringen Frauenanteil in den Hauptveranstaltungen und vor allem bei der Preisvergabe, internationale Medien wie The Guardian konstatierten der Ars ein Genderproblem.
#KissMyArs
Nachdem die Medienkünstlerin Heather Dewey-Hagborg 2015 einen Anerkennungspreis in der Kategorie „Hybrid Arts“ erhalten hatte, stellte sie fest, dass in der damals 36-jährigen Geschichte der Ars Electronica 9 von 10 Gewinner*innen des Hauptpreises Goldene Nica Männer waren. Heather reagierte darauf mit der viel beachteten Social Media Kampagne #KissMyArs.
Nach Erstellung der Datenbank konterte die Ars: Waren 1979 noch kaum Frauen im Programm, war der Anteil 2016 bereits auf 43 % gestiegen. Und 2017 gingen gleich zwei Goldene Nicas an Künstlerinnen: an die Slowenin Maja Smrekar mit ihrem umstrittenen Projekt K-9_topology in der Kategorie „Hyprid Arts“, sowie an die Österreicherin Lisa Buttinger mit nonvisual-art in der Kategorie „u19 – Create your World“.
Feminist Climate Change: Beyond the Binary
Die Medienkünstlerin Victoria Vesna, Professorin an der University of California, Los Angeles (UCLA) präsentierte unter diesem Titel Arbeiten von Studierenden und Absolvent*innen ihrer Universität an der Kunstuniversität Linz. Am Samstag gab es dann ein Panel im Ursulinenhof, das ihren Titel für den feministischen Nachmittag ausgeborgt hatte. Laut Einleitungstext ging es der Ars Electronica dabei um die Chancengleichheit für Frauen.
Vesna und die Vertreter*innen der UCLA beschäftigten sich mit Ökofeminismus. Innerhalb einer Stunde wurden 23 Projekte vorgestellt, für deren Diskussion dann keine Zeit blieb. Auf die Bühne kamen auch einige männliche Positionen und es wurde klar, dass es nicht vorrangig darum ging, sich mit dem biologischen Frau-Sein auseinanderzusetzen, sondern um das Ausbrechen aus dem Denken in dualistischen Kategorien. Laut Vesna sind die Gegensätze Kultur versus Natur oder Geist versus Körper historisch gesehen nicht geschlechtsneutral. Die Ausbeutung von Frauen, Tieren und der Umwelt können vielmehr als sich gegenseitig unterstützende Systeme und Praktiken betrachtet werden.
In den abschließenden Panel wurden 11 Frauen hineingequetscht, um ihre Projekte und Initiativen zu präsentieren: Von „Tricky Women“ über „IMA-Institut für Medienarchäologie“ bis hin zu Wissenschaftsprojekten war die Bandbreite enorm. Für ganze drei Publikumsfragen blieb Zeit, die erste lautete in etwa: Warum haben wir es noch immer nötig, hier zu sitzen und die geringe Präsenz von Frauen zu beklagen? Irgendwie scheinen wir uns im Kreis zu drehen.
From C to X: networked feminisms
Dabei fing der Nachmittag mit Präsentationen der feministischen Online-Community FACES sehr vielversprechend an. Anlässlich des 20. Jubiläums der Mailingliste stellten Diana McCarty (DE/US), eine der Gründerinnen von FACES, und die Linzerin Ushi Reiter, die auf ihrem Server servus.at die Mailingliste verwaltet, drei Positionen von Medienkünstlerinnen und -aktivistinnen vor. Von Virginia Barratt (AU), Alla Mitrofanova (RU) und Annie Goh (UK) gab es eindrucksvolle Präsentationen zu Theorien und Praktiken aus den Feldern Cyberfeminismus, Xenofeminismus und feministischer Technologiekritik der letzten zwanzig Jahre.
The future is unmanned
Virginia Barrat vom australischen Kollektiv VNS Matrix reflektierte den Cyberfeminismus der 1990er: Damals sei es vorrangig um den Geschlechterkampf gegangen, wichtige Themen wie die politische Ökonomie technologischer Produktion und Konsumation, die Ausbeutung der Erde, Kinderarbeit, Zugänglichkeit, systemischer Rassismus oder Umweltprobleme wurden vernachlässigt. Im Konsum und der Verwendung technischer Werkzeuge im Zeichen der Emanzipation wurde die Komplizenschaft mit bestimmten repressiven Praktiken ignoriert. Strategische Aufstände und taktische affektive Gesten hinterfragten die patriarchalen Machtstrukturen des techno-industriellen Militärkomplexes.
VNS Matrix begann als feministische Pornokartell namens „velvet downunder“. Sie stiegen im südaustralischen Sommer 1991 aus dem Cyber-Sumpf, auf einem Fluss von Schleim, und entfesselten den blasphemischen Techno-Porno-Code, der Maschinen aufgeilt. So die Legende. Ihr cyberfeministisches Manifest war eine „linguistische Waffe des Unterrichts der Massen.“ Poetisch, provokant und selbstironisch zelebrierte Barrett die Strategien von VNS Matrix und bestätigte das Kollektiv als die Punk-Stars der Szene.
Die Philosophin Alla Mitrofanova betrachtete die Entwicklung des Cyberfeminismus von russischer Seite. Feminismus sei kein Spezialdiskurs für Frauen, sondern der Kern einer neuen Ontologie. Für die ältere Generation von Feministinnen repräsentierten die neuen Technologien einen völlig neuen Raum, die Frauen kamen aus der alternativen Szene. Die jetzige Generation komme aus dem Zentrum, sei rationalistischer und versuche, neue soziale Praktiken zu installieren
Als Beispiel führt sie SCI-HUB an, ein Projekt von Alexandra Albakan, Programmiererin aus Kasachstan. Diese entwickelte ein Programm, das direkten Zugang zu wissenschaftlichen Bibliotheken schafft und von mehr als 70 Millionen Menschen in aller Welt benutzt wurde. Ein New Yorker Gericht verurteilte sie in der Folge zur Zahlung von 50 Millionen Dollar an wissenschaftliche Büchereien.
Die Medienkünstlerin und Kuratorin Annie Goh sollte für diese neue Generation stehen. Sie verwies auf die Wichtigkeit der Kämpfe um Gleichstellung, zeigte aber auf, dass die Ungleichheiten nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch sozialen Schichten und Rassen besteht. Und Gleichheit kann auch kontraproduktiv sein: Ausgerechnet der größte Waffenhersteller der Welt wirbt mit der Förderung von Frauen. Der amerikanische Konzern Lockheed Martin wird seit 2013 von einer Frau geleitet, mit dem Pilotprojekt Girls Inc. wird versucht, Mädchen von 9-12 Jahren zur STEM-Ausbildung (science, technology, engineering, mathematics) zu ermutigen.
Die anschließende Podiumsdiskussion brachte es auf den Punkt: Wir wollen keine Gleichstellung, wir brauchen Feminismus als alternatives Denk- und Handlungskonzept für eine menschen- und umweltfreundliche Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jenseits der binären Denkmuster.
FACES in Graz
Von 13. bis 15. Oktober lud das Schaumbad – Freies Atelierhaus Graz zu einem Symposium anlässlich des 20. Bestehens der feministischen Online-Coummunity FACES. Kathy Rae Huffman (US), Gründerin der Liste, kuratierte gemeinsam mit Eva Ursprung eine Ausstellung mit älteren und jüngsten Arbeiten der FACES-Künstlerinnen. Das Symposium behandelte Fragen feministischer Netzwerke und führte den auf der Ars Electronica begonnenen Diskurs weiter.
EVA NEVER LEFT EDEN
... she kept the apple for herself and started to play
Dedicated to Mileva Einstein-Maric (1875-1948), mathematician, born in Titel, Austro-Hungarian Monarchy (now: Serbia). She was Einstein‘s companion, colleague an confidante whose influence in his most creative years was enormous. While married to Mileva Maric at the age of 26, Einstein published in 1905 three fundamental contributions to three different areas of physics, a unique event in the history of science. In 1921, Albert Einstein received the Nobel Price for these contributions.
Eva Ursprung
http://archive.aec.at/womeninmediaarts
https://www.faces-l.net
http://www.sterneck.net/cyber/vns-matrix/index.php
http://schaumbad.mur.at