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You are here: Home Ausgaben 81 | März/April 18 beste zeit und nervenzusammenbruch. Crush im O-Ton

ausgabe #81. interview. ulrike freitag

beste zeit und nervenzusammenbruch

Crush im O-Ton


Die Filme des Regisseurs Wes Anderson wurden einmal als „Melancholische Komödien“ bezeichnet. Analog dazu könnte man die Musik der Grazer Band Crush auch wehmütigen Pop nennen. Sollte man aber nicht. Die Synthie-Grundierung wird von rauen Gitarren konterkariert und erzeugt einen ganz eigenen Sound, der von den Stimmen der Leadsängerinnen Christina Lessiak und Katrin Borecky gleichzeitig gerahmt und gebrochen wird. Sie werden immer wieder als wavelastiger Dream Pop bezeichnet und sind doch etwas ganz Eigenes. Crush eben. Derzeit tourt die fünfköpfige Band mit ihrem ersten Album Sugarcoat durch die Lande, das mit Liedern aus den beiden EPs, No Easy Way und Damaged Goods, ergänzt wird.
Zum Interview erscheinen drei der fünf Bandmitglieder, die sich von der Lohnarbeit losreißen konnten, um mit dem ausreißer zu sprechen. Begleitet werden Katrin Borecky (Synth, Vocals), Christina Lessiak (Vocals, Gitarre) und Christian Lach (Gitarre) von Hund Brösel; quasi dem sechsten Bandmitglied (Instagram Hero). Nicht mit dabei sein konnten Verena Borecky and Florian Kolar – alle an einem Ort zu vereinen ist eben nicht immer leicht. Aber dazu später…

ausreißer: Kaum eine Grazer Band hat so viel positive Presse erhalten wie ihr. Gerne werdet ihr dabei auch mit dem Lable „Dream Pop“ belegt. Wie steht ihr dazu?
Kartrin: Also, wir haben schon mit diesem Gedanken gestartet....
Christian: Jaaa... stören tut‘s mich nicht, aber ich finde es auch nicht 100%ig passend. Weil schon so viel unter dieses Label fällt: Elektronische Musik, Gitarrenmusik, Trip hop usw. Ich glaube, wir sind da irgendwo bei „verträumte Gitarrenpop-Songs mit Synthesizer“. Aber die Klassiker des Dream Pop sind ja auch total unterschiedlich – Galaxy 500, die ein wenig klingen wie eine softe Version von Sonic Youth oder Cocteau Twins, die mega-psychedelisch wirken. Das Genre driftet schon ziemlich auseinander. Es ist eigentlich schwer zu sagen, was Dream Pop wirklich ist. Dazu hat es sich in den letzten Jahren auch zu stark verändert, es gibt so viele Untergruppierungen. Ich glaube, wir machen Gitarrenpop.
Christina: Darauf können wir uns, denke ich, alle einigen. Also – es ist nicht Punk. Lacht. Das Problem an diesem Dream Pop Lable ist, dass es eben unser Ausgangspunkt mit der Ansage war: „Machen wir eine Dream Pop Band.
Christian: Ja, einiges an uns ist schon charakteristisch dafür. Aber im Grunde sind es Popsongs mit lauten Gitarren und Synthesizer. Und die Theresa von Beach Girl and the Monsters hat gemeint… Christina: ... sie hört unsere Musik so gern und immer wieder denkt sie sich: Es erinnert mich an etwas. Woran erinnert mich das? Und dann kommt sie immer zum gleichen Punkt: Es klingt wie Crush. Und das ist so nett! Die Beach Girls sind übrigens eine ziemlich coole Band, die man sich einmal anhören sollte!
Christian: Wir sind unser eigenes Genre.
Christina grinst: Stimmt, und wir nennen es „Crush-Pop“.


Wer Crush noch nicht kennt, kann auf der Homepage der Band reinhören (http://www.crushtheband.at), wo auch die nächsten Konzerttermine zu finden sind. Alternativ kann man sich das Video zum Ohrwurm Blue Colored über den YouTube Kanal des Labels Numavi Rec ansehen. Und da ein Teil der Band darüber hinaus in einem Rollerderby Team spielt, darf man schon auf das nächste Video zu Quicksand gespannt sein, das in Kürze präsentiert wird. Das Album Sugarcoat ist erschienen und u. a. als Download bei Bandcamp oder als Vinyl bei In and Out Records (auch bei Duxrecords)erhältlich. Und empfehlenswert ist es auch!


crush

Foto: CRUSH © Gabriel Hyden

Letztes Jahr habt ihr im Forum Stadtpark für Isolation Berlin eröffnet, deren Klang, Image und Texte eng mit der namensgebenden Stadt verbunden sind. Hat Graz einen starken oder überhaupt einen Einfluss auf eure Musik/Texte? Oder ist es eher ein Fluchtpunkt, der auch überall anders sein könnte?
Christina: Also von den Lyrics her eher nicht – das könnte auch überall anders sein, wo ich lebe und Musik mache. Es ist aber schon klar, dass man beeinflusst wird von der Stadt, in der man wohnt. Wenn ich in einer Stadt lebe, wo ich andere Erfahrungen oder Begegnungen mache, würden sich klarerweise auch andere Texte ergeben. Aber im Grunde genommen hat es wenig mit der Stadt zu tun; musikalisch bin ich international beeinflusst. Wenn man interessiert ist, kann man sich alles anhören was man will.
Katrin: Vielleicht hat nicht die Stadt einen Einfluss, aber die Art der Stadt?
Christina: Hm, die Größe der Stadt vielleicht…
Christian: … da ich manchmal den Eindruck habe, dass unsere Musik eher in Städten ankommt, die ähnliche Größen haben. Kann Zufall sein, kann mehr dahinter stecken.
Christina: Die Frage passt gut zu dem Wunsch, dass ich gerne hätte, dass Graz einmal zu einer großen Musikstadt wird. So, dass es einmal einen „Grazer Sound“ gibt.
Christian grinst: Nein, die „Grazer Schule“.
Christina: Also diesen Wunsch äußere ich normalerweise erst nach ein paar Bier.

Graz hat zwar – noch – nicht die „Grazer Schule“, wird aber manchmal als „heimliche Literaturhauptstadt“ bezeichnet. Welche Literat/innen begeistern oder beeinflussen euch?
Christina: Ich lese wenig Belletristik, eher wissenschaftliche Literatur oder Sachbücher. Mich beeinflussen die Lyrics anderer Musikerinnen und Musiker stärker. Wenn ich an Literatur denke, fallen mir nur Bücher ein, die ich nicht verstehe. Da fehlt mir der Zugang. Ich komme aber auch aus einem musikalischen Umfeld. Also kommen die Einflüsse eher aus Musik, Popkultur und Alltag.
Katrin wirft ein: Mir kommt es aber schon so vor, als ob du gerne mit Wörtern spielst?
Christina: Ja, das stimmt schon. Lacht. Aber ich habe immer das Gefühl, das ist so banal. Eben Pop Lyrics. Andererseits les‘ ich die aber selber sehr gern, fast wie Gedichtbände. Das ist auch eine Form der Literatur.

In einer Textzeile singst du: “I am giving up on being sweet” (Giving Up). In einer anderen “Let’s not seek comfort in sanity” (Body and Mind) oder „The darkest woods aren’t as dark as this“ (Quicksand) – ist Liebe bzw. Verliebt sein, vielleicht auch ein Konzept des psychischen Ausnahmezustands?
Alle lachen zustimmend.
Christina: Die Zeile „Let‘s not seek comfort in sanity“ ist eigentlich eines der wenigen Lieder in denen es nicht um Liebe geht. Obwohl ich mich schon sehr bemüht habe Liebeslieder zu schreiben, liegt mir das eigentlich nicht so. Aber es geht um die Idee der psychischen Gesundheit; um Selbstoptimieren, die ja regelrecht zu einem Trend geworden ist. Alle sollen möglichst gut drauf sein und man muss sich immer verbessern und gesund sein. Ich glaube, ich habe bei Erich Fromm einmal sowas gelesen, wie: „Die wahren Verrückten sind die, denen man es nicht ansieht.“ [Anm.: Erich Fromm, Die Pathologie der Normalität]. In diesem Sinne geht es im Text darum, dass wir nicht angestrengt versuchen sollten, gesund zu sein, sondern uns einfach freuen am Leben zu sein und dass wir einen Körper und Geist haben, die Welt zu erfahren.
Christian: Da hast du doch eine Ramones Referenz eingearbeitet oder?
Christina: Nein, das war bei Giving up in der Zeile „Every time I come to you I’m sedated.“ [Anm.: I Wanna Be Sedated, The Ramones, Road to Ruin]. In diesem Song geht es darum, dass es manchmal wirklich besser ist, etwas aufzugeben. Auch oder gerade wenn man sich lang eingebildet hat, man will es unbedingt. Das ist z. B. auch so beim Konzept der „Weiblichkeit“. Ich höre auf zu versuchen, süß zu sein oder gesehen zu werden oder nicht aufzufallen. Manchmal hat man Vorstellungen davon, wie man sein soll, um Frau zu sein, um Feministin zu sein. Es geht dabei aber zu oft um das, von dem man denkt, die anderen wollen einen so haben.

Auf eurem Album hat man den Eindruck, die meisten Lieder drehen sich um den privaten Lebensraum. Sehr ihr euch auch als politische Band?
Katrin: Als Personen sind wir alle politisch.
Christina: Ja, als Personen sind wir auf alle Fälle politisch.
Katrin: Als Band sind wir nicht dezidiert politisch, also nicht mit dem was wir sagen, sondern mehr mit dem was wir tun und sind. Uns sind viele Dinge wichtig, das sieht man auch daran, was wir in den Sozialen Medien kommunizieren. Aber als Band?
Christina: Wir haben Crush nicht gegründet, mit dem Ziel, eine politische Band zu sein. Ich würde auch nicht so weit gehen zu sagen, wir machen politische Musik. Auch wenn ich auf meiner alten E-Gitarre kleben habe “This Maschine Kills Sexists” [Anm.: Anspielung auf Woody Guthries bekannten Gitarren-Sticker „This Machine Kills Fascists“]. Wir machen zwar so scheinbar nette, coole Musik; aber das heißt nicht, dass wir uns nicht mit politischen Themen befassen. Die Musik dreht sich aber nicht darum.
Katrin: Aber da wir politische Wesen sind, lassen wir das auch nicht außen vor.

Ihr habt vorhin gesagt, eure Musik klingt so nett. Manchmal, finde ich, recht happy. Trotzdem sind die Texte häufig eher nachdenklich oder dunkel. In einem Artikel in GAP1 wird eure neues Album als den „Coming-of-Age Soundtrack des Lebens“ beschrieben und die Meinung vertreten, eure Lieder handeln von den „tiefgründigsten Banalitäten des Lebens“. Ist das ein Lob für euch?
Alle lachen.
Katrin: Also die Zeile mit den „tiefgründigsten Banalitäten“ finde ich gut. Das trifft‘s doch auch ziemlich, oder?
Christina: Ja, aber dieses „Coming of Age“ ist schon so oft gesagt worden, dass wir gar nicht mehr wissen, ob es als Kompliment gemeint ist oder wir es so auffassen sollen.

Ich habe gesehen, dass ihr euch in einem Beitrag auf Facebook für den Fortbestand des Grazer Vereins und Musiklokals SUb einsetzt, ihr bezeichnet es sogar als euer Zuhause. Was verbindet ihr mit diesem Ort?
Katrin,  die den Beitrag auf Facebook geteilt hat, meint dazu: Es ist weniger unser Zuhause als Band, mehr ein privater Treffpunkt. Wir gehen auf viele Konzerte, wir haben aber auch eine unserer ersten Shows im SUb gespielt und der Abschluss der letzten Tour war auch dort. Wir haben alle unterschiedliche Bezüge dazu, Auftritte mit unseren anderen Bands, Tina und Cis mischen, manche von uns veranstalten Konzerte oder sind auch regelmäßig am Plenum.
Es ist wichtig, dass es diesen Ort weiterhin gibt, so Christina.

Ihr habt vor dem Interview kurz erzählt, dass es manchmal schwierig ist, all eure unterschiedlichen Jobs mit Proben auf einen Nenner zu bringen. Wie läuft das bei Touren?
Christina: Da sind wir immer kurz vorm Herzinfarkt, ob auch alle Zeit haben.
Katrin: Ja, aber im Endeffekt konnten wir eigentlich über 90 % der Konzerte spielen. Manchmal ist es ärgerlich, wenn‘s nicht klappt. Aber im Großen und Ganzen ist es OK.
Christina: Wobei der größere Zeitaufwand den wir haben, nicht die Proben sind, sondern organisatorische Dinge. Es ist eben Office – von Förderungen über Touren buchen bis Videos planen.
Christian: Insgesamt sind wir hier aber irgendwo zwischen „die beste Zeit, die es gibt“ und „Nervenzusammenbruch“ angesiedelt.
Christina: Im nächsten Album wird’s also auch wieder einige Lieder geben, die sich mit Lohnarbeit beschäftigen.
Christian: Da werden wir dann politisch.
Alle lachen.
Christina: Das Persönliche ist ja politisch.    



(1) Sarah Wetzlmayr: Die schönsten Facetten des Dream-Pop – Crush und ihr Debüt »Sugarcoat«. GAP, April 2018
(https://thegap.at/crush-sugarcoat-debuet).



Das SUb bietet seit 17 Jahren Raum für Konzerte, Lesungen und Diskussionen und ist zu einem Fixpunkt des alternativen Grazer Kulturbetriebs geworden. Nun ist eine Renovierung des Lokals dringend nötig, um weiterhin diese Rolle einnehmen zu können. Mehr Infos zur Unterstützung der Crowdfunding-Aktion auf https://subsubsub.at.


sub bleibt!


Ulrike Freitag

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