ausgabe #82. editorial. evelyn schalk
straße macht gesellschaft
Sie trennt und verbindet, ist Lebensraum und Machtzentrum, Konfliktzone und Nischengefüge, Geschichtsträgerin, Gegenwartsschafferin, Bewegungsfläche und Kommerzzone, ist Verwüstung und Repräsentation, staubig, flirrend, voller Schlaglöcher, baumbestanden, palastgesäumt, ohrenbetäubend, menschenleer, überquellend, öde, dreckig, herausgeputzt, überwacht, kontrolliert, verwahrlost, digital oder analog, Kriegsschauplatz, Manifestationsfokus, Friedensbewahrerin – all das ist Straße. Zuallererst aber bedeutet Straße Öffentlichkeit in jeder Form. Nirgendwo sonst wird die Verfasstheit einer Gesellschaft so deutlich erkenn- und erfahrbar wie auf der Straße. Diktatur oder Demokratie, Krieg oder Frieden, Armut oder Reichtum, Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit, Mit- oder Gegeneinander – hier wird entschieden.
Diese Sonderausgabe entstand im Rahmen des Projektes Comrade Conrade – Demokratie und Frieden auf der Straße und setzt sich mit dem Phänomen Straße in all seinen Facetten vielfältig auseinander. Anhand der Fokussierung auf die Grazer Conrad-von-Hötzendorf Straße werden unterschiedliche Zugänge, Reflexionen und Forschungsansätze innerhalb des Themenkomplexes beleuchtet. Während die plakatierte ausreißer-Ausgabe dem Gesamtprojekt gewidmet ist, finden sich in der Faltausgabe außerdem Beiträge von Studierenden, die im Zuge ihrer Master-Studienprojekte am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Karl-Franzens-Universität Graz zu Straße als Stadtraum in Bewegung aus unterschiedlichen Perspektiven arbeiten.
Gerade in Zeiten, in denen vehement simple und ausschließliche (und damit ausschließende) Lösungen für gesellschaftliche Probleme propagiert werden, gilt es, auf Vielfalt, Reflexion und kompromisslos humanitäres Miteinander zu bestehen. Denn die immer schärfere Zuspitzung und Brutalisierung von Konflikten ist brandgefährlich. Umso wichtiger ist es, differenzierten, vielschichtigen Diskursen Raum zu geben, diesen für Experimente und Entwicklungen zu öffnen und zu erhalten, sowie nachdrücklich für kritischen Dialog und unabdingbare menschliche Empathie einzutreten – in jeder Institution, in jeder privaten, öffentlichen und medialen Debatte, im eigenen Handeln und Entscheiden sowie in Auseinandersetzung mit dem persönlichen, politischen, gesellschaftlichen nahen und weiten Umfeld: im Kaffeehaus-Gespräch, im Social Media Forum – und immer und immer wieder draußen, auf der Straße.
Evelyn Schalk