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You are here: Home Ausgaben 83 | Juli/Aug/Sept 18 frauenland retten. heißt demokratie retten.

ausgabe #83. bericht. katrin köppert

frauenland retten. heißt demokratie retten.


Ende 2017 wurde drei Frauenberatungsstellen in Oberösterreich kurzfristig mitgeteilt, dass die jährliche Förderung durch das Frauenreferat des Landes zu 100% eingestellt wird. Das Beispiel von Oberösterreich ist eines unter vielen seit dem Regierungswechsel in Österreich 2017 und dem gesamteuropäischen Rechtsruck seit spätestens 2015. Als kleines Lehrstück über die schrittweise Zersetzung von Demokratie taugt es jedoch ganz wunderbar.

In einem Bundesland, in dem der Riesling fließt, sich die Donau gegen Osten wälzt, und der Mühlviertler die „Bledlsuppen süffönt“, griff kurz nachdem die schwarzblaue Koalition in Österreich stand, die ÖVP-Landesrätin Christine Haberlander zusammen mit dem Team des Frauenreferats des Landes Oberösterreich zum Rotstift. Entgegen der angekündigten 10% Kürzung der Basisfinanzierung aller Organisationen wurden ausgewählte Organisationen zu 100% gekürzt – und zwar die, die sich um Migrant*innen, Künstler*innen und wohnungslose Frauen* kümmern. Das heißt, dass die 10% Kürzung des Budgets des Frauenreferats Oberösterreich seitens der Regierung ausschließlich an diese drei Organisationen weitergegeben wurde: maiz, FIFTITU% und Arge SIE.
Als Begründung wurde angeführt, die Tätigkeit der Frauenberatungsstellen gehöre nach den „neuen Förderkriterien“ nicht mehr zum Kerngeschäft des Frauenreferats. Weder die neuen Förderkriterien wurden mitgeteilt, noch kenntlich gemacht, was das Kerngeschäft sei oder wie sich demnach das „Geschäft“ Frauenberatung in Zeiten von Migration, Frauenarmut und „Kulturleistungsgesellschaft“ gestaltet. Das sitzt. Da trübt sich die Sonne ein – auch über den stadtpolitisch so gut vermarktbaren Prestigeobjekten der Ars Electronica und dem Lentos Kunstmusem in Linz, der Landeshauptstadt.

Was ist Demokratie, wenn noch immer Frauen* zur Repräsentation (feministischer Kunst) dienen, nicht aber als (feministische) Künstler*innen in der „Kulturleistungsgesellschaft“ arbeiten oder als Frauen* von Kunst leben können? Auf welchen Prämissen beruht Demokratie, wenn dir als Migrant*in durch die Entscheidung, die Förderung von maiz tangiere nicht mehr das Kerngeschäft von Frauenförderung, implizit dein Frausein abgesprochen wird? Ist es dann überhaupt noch Demokratie, wenn mit der Kürzung der Organisation Arge SIE eine Mauer des Schweigens um das Thema „Frauenarmut“ und die Realität von vielen Frauen* gebaut wird? Als wären mit dem Verschwinden der Organisation die Konsequenzen des Kapitalismus gebannt.

Finanzkrise, die Demarkationslinie für eine Politik von rechts

Die Mittelkürzung kann nicht ohne die längere Geschichte des sukzessiven Einfrierens finanzieller Zuschüsse verstanden werden. Die Finanzkrise 2008/09 lässt sich dabei als der Weichenstellhebel schlechthin begreifen. Die Organisation maiz ist im Bereich der Unterstützung von Sexarbeiter*innen seit 2009 auf insgesamt 56% gekürzt worden. Das heißt, dass vor der Ankündigung der 100% Kürzung, in diesem Bereich, Ende Februar 2018 eine Halbierung der Subventionierung stattgefunden hatte – eine Zeit, die in die Phase der Regierungsbeteiligung der Grünen/Land und SPÖ/Stadt Linz zurückreicht. Ähnlich verhält es sich bei FIFTITU%. Dort wurde die Beratungsarbeit auf Bundesebene mit der Begründung eingekürzt, sich nur noch auf das Kerngeschäft – den Gewaltschutz – konzentrieren zu wollen. Verantwortlich hierfür: die SPÖ. Die aktuellen Streichungen müssen also im größeren Bild der Rekalibrierung des Neoliberalismus seit der Finanzkrise 2008 gesehen werden. Im Zuge dieser haben sich die Parteien über ihre ideologischen Grenzen hinweg auf die Marginalisierung ohnehin schon marginalisierter Positionen verständigt. Vor diesem Hintergrund ließe sich die Frage neu stellen, ob der Rechtsruck des gesamten Parteienspektrums erst unter dem Druck der Regierungsbeteiligung der FPÖ entstanden ist. Eher scheint in Folge dieser Betrachtung die Vermutung nahezuliegen, der Ruck sei ökonomisch begründet bzw. ginge auf das unter Druck stehende Gefüge globaler Wirtschaftssysteme von 2008/09 zurück. Es ist uns nicht geholfen, die aktuell prekäre Situation ausschließlich auf den Fakt zurückzuführen, dass eine auf Rassismus, neoliberalem Nationalismus und (Hetero-)Sexismus basierende Partei in der Koalition ist. Vielmehr ist die Regierungsverantwortung der FPÖ oder auch die Wahl der AfD in den deutschen Bundestag das Ergebnis eines insgesamt sich nach rechts verlagernden politischen Diskurses, der auf den Finanzcrash reagiert.


illustration

Illustration: Silke Müller


Frauenbefreiung, der hartschalige Samen der Frucht Demokratie.

Diese Feststellung allein mildert nicht die Wucht, mit der sich der Diskurs auf der realpolitischen Ebene derzeit niederschlägt. Dabei ist nicht nur die Tatsache der Mittelkürzung interessant, sondern auch das Narrativ, das zur Begründung der Entscheidung etabliert wurde.

Es geht um die Reproduktion und Sicherung einer normativen Vorstellung von Frau, die mehr als nur geschlechtlich codiert zu verstehen ist, oder anders ausgedrückt, die mittels der Kategorien race und class aggressiv ins Zentrum weißer bürgerlicher Weiblichkeit zurück überführt wird. Indem Aspekte von Migration und Armut zum Argument werden, weg von der Frauenförderung hin auf die Fachreferate zu verweisen, findet neben der Ausklammerung von Intersektionalität auch eine Degradierung von Rassismus und Klassismus statt (siehe auch Dietze 2017).

Von Antifeminismus über Anti-Genderismus zu Kulturalismus

Neben der realpolitischen Dimension der Mittelkürzung und des sozialpolitischen Paradigmas der Anti-Intersektionalität, die mit der Entscheidung des Frauenreferats einhergehen, verdichtet sich eine dritte Ebene. Diese möchte ich als die Weiterführung der mit Antifeminismus begonnenen und mit Anti-Genderismus fortgesetzten Behauptung des „Pseudo“ begreifen. Der Vorwurf des Pseudo bezieht sich hier auf den Begriff von Kunst und Kultur.
 
Der Antifeminismus legt dem Feminismus die politische Idee von Gleichheit als „Pseudopolitik“ aus, weil er „eigentlich“ die Abschaffung des Mannes propagiere und somit nicht die Gleichheit der Geschlechter durchsetze. Der Anti-Genderismus wirft den Gender Studies „Pseudowissenschaft“ vor, also die bloße Behauptung, eine Wissenschaft der Geschlechter zu begründen (siehe auch Hark/Villa 2015). Der Kulturalismus, der hinter der Entscheidung des Frauenreferats des Landes Oberösterreich steht, hebt die Kunst und Kulturarbeit, die zum Beispiel die Organisation FIFTITU% fördert, als Pseudo-Kunst hervor. So zumindest lassen sich die in langen und vielen Gesprächen gegenüber maiz und FIFTITU% getroffenen Aussagen durch das Frauenreferat auslegen. Hinter dem geäußerten Anwurf, dass das, was sie als Organisationen beratend unterstützen, keine Kunst sei, steht schlichtweg die Annahme, es gäbe eine richtige Kunst. Spätestens hier schrillen die Alarmglocken: Der Kunstbegriff wurde im Nationalsozialismus als Hebel für die Durchsetzung von antisemitischer und rassistischer Politik eklatant missbraucht. Ihn jetzt wieder für die Argumentation einer aufs Kerngeschäft fokussierten Frauenförderpolitik ins Felde zu führen, ist ein Skandal. Dahinter steht aber nichts anderes, als der Versuch, Kunst zu essentialisieren und quasi-natürlich nur bestimmten Akteur*innen zuzuweisen. Frauenförderung bzw. die Verhandlung, wer förderungswürdig ist, wird also zum Vehikel von Kulturalismus. Und da Kulturalismus nur eine Variante von Rassismus ist, sollte klar sein, mit was für einer Politik wir es unter dem Deckmantel „Demokratie“ zu tun haben.

Rettet das Frauenland OÖ

Ein Frauenland zu retten, kann in Reaktion auf die Entscheidung des Landes nichts anderes bedeuten, als sich die Definition von Feminismus, Chancengleichheit und Frauenförderung nicht von Rechts aus den Händen nehmen zu lassen. Die Kampagne zur „Rettung des Frauenlandes Oberösterreich“ wehrt sich gegen den Versuch, Frauengruppen entlang der Differenzen race und class zu entsolidarisieren. Ganz bewusst setzen sie auf Intersektionalität. Sie verzichten auch auf die Beantragung jämmerlich kleiner Summen, die aus Projektmitteln finanziert werden können. Sie wollen die Hände freihaben, Öffentlichkeit zu schaffen und Protest zu mobilisieren.


Katrin Köppert


Auf der Website https://frauenlandretten. at können Sie sich über die verschiedenen Möglichkeiten der Unterstützung informieren.
Auszug aus „Frauenland retten. Heißt Demokratie retten“ von Katrin Köppert für das Gunda Werner Institut in der Heinrich Böll Stiftung
Erstveröffentlichung am 20. Juli 2018 unter: https://www.gwi-boell.de/de/2018/07/20/frauenland-retten-heisst-demokratie-retten


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