ausgabe #87/88. lyrik. eli krasniqi. aus dem albanischen von zuzana finger.
,begalac‘*
Ich lebe mit deiner Angst, die sanft wie Blätter fällt
und meine Arme sinken lässt wie Gebäude in deiner Stadt.
Ich sehe dich in der Luft schwebend, deine Verlorenen und Lieben als Geiseln der Ferne
Wie sehr du sie liebst, ihr kilometerfern folgst und bei jedem Benachrichtigungston aufspringst,
Und dich überfällt die Angst des Wartens wie vor der nächsten Detonation
Wie auf einem Handteller sehe ich die Bangigkeit vor den anderen möglichen Toden.
Ich weiß, wie es dir geht, ich weiß es.
Ich höre deinen Atem während du versuchst dich am Leben zu fühlen bis zum nächsten Anruf.
Ihre Stimme macht dich zum Menschen, ihre Stimme weckt dich
Du willst nichts von mir, aber ich will mich erinnern.
Und meine Augen öffnen sich, wenn mir die Angst ausschlägt wie eine Rosenknospe in einem vergessen Garten.
Und es schmerzt zu hören wenn du vom Krieg, einem Menschen und Städten sprichst.
Ich sagte dir, du erinnerst mich an mich und an das Jahr 1999
Nur dass ich damals in einem Lager war und dann in einer Stadt.
Ich hatte eine Identitätskarte, grün, mit Foto und unten stand ‚begalac’
Und ich hatte genauso zwei Stimmen, die mich aus dem Delirium der Medikamente weckten.
Ich versuchte, in den Pausen Atem zu holen, wenn der Hustenreiz nachließ. Ich erinnere mich an das Ereignis nicht mehr, aber du löst in mir das Gefühl aus, das ich in den Ecken meiner Stadt versteckte, meine Schwester, die 1999 in Prishtina Unterschlupf fand.
Sie hat genau so eine Karte, grün, ausgestellt, weil sie
In der Stadt ihr Dasein fristete in der wir geboren und aufgewachsen sind.
Einmal kaufte sie Erdbeeren. Erdbeeren im Krieg, um damit die Angst zu runterzuschlucken.
Jetzt, im Frieden, sage ich
Die Erinnerung ist die dem Menschsein am nächsten stehende Erfahrung.
Eli Krasniqui
*Begalac – aus dem Mazedonischen ‚Flüchtling’