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You are here: Home Ausgaben 87/88 | April/Juni 19 gulasch im kopf

ausgabe #87/88. prosa. julia knaß

gulasch im kopf

 

Das Österreichische in meinem Kopf strengt mich an, mehr als der Aufstieg. Wir gehen nach oben, wir wollen auf die Weite des Landes hinabsehen, aber in Gedanken gehe ich nicht, in Gedanken bin ich noch im gestrigen Abend, als Richard uns über ein paar Slivovice vom Schnapsbrennen in Rumänien erzählt hat. Vom Wald, in dem sein Großvater den Selbstgebrannten in Bäumen oder unter Steinen versteckt hat als Wegzehrung für Spaziergänge. Dass einfach jeder dort Schnaps brennen könne und dass er selbst mit 14 Jahren seine ersten Versuche gemacht habe. Und wie viele Regeln man im Gegensatz dazu fürs Schnaps brennen in Österreich befolgen müsse. Ich habe mehr zugehört als geredet, nach dem ersten Stamperl Slivovice keinen Alkohol mehr getrunken. Ich vertrage nichts mehr, seit ich im Urlaub auf Korfu nach zuviel Ouzo gekotzt habe.

Ich bin die Einzige in unserer Runde, die neben der Muttersprache nur eine weitere sprechen kann und fühle mich fehl am Platz. Ein Freund aus Tschechien hat mich eingeladen auf diesen Ausflug mitzukommen, ein Wochenende mit seinem Freundeskreis in Rožnov pod Radhoštěm zu verbringen. Mit Menschen aus Tschechien, Rumänien, Frankreich, Großbritannien, der Slowakei, die nicht in ihren Herkunftsländern, sondern im Dazwischen ein Zuhause gefunden haben.

„Is everything alright?“ Die Frage verdanke ich dem leichten Humpeln und meinem verbissenen Gesichtsausdruck. „Yes, it’s just my knee...“, setze ich an. Mein linkes Knie oder die Kniescheibe. Jedenfalls fühlt es sich manchmal so an, als würde etwas darin rutschen. Zwei Knochen, die sich gegenseitig zerreiben oder nicht richtig eingerastet sind. Vor jedem Auftreten die Angst, dass das Bein der Belastung nicht standhält und unter mir wegbricht. Ob das verständlich wäre? Aber nein, es tue nicht weh, jedenfalls nicht sehr. Nein, ich kenne die Ursache nicht. Ja, ich sollte das untersuchen lassen, das stimmt. Aber ich könne schon weitergehen. Und es wäre ja auch nicht ständig, nur unregelmäßig. Die anderen trinken Kozel als Wegbier, ich kann nicht, ich will die Klarheit im Kopf behalten. „Ich will nicht in Österreich bleiben, wenn das so weitergeht“, habe ich vor zwei Wochen zum ersten Mal laut ausgesprochen, während ich die Übertragung einer Parlamentssitzung gestreamt habe. Die österreichische Politik ist in eine Bewegung geraten, die nicht mehr aufzuhalten scheint, nicht von Misstrauensanträgen, nicht von Volksbegehren, nicht von Demonstrationen. Die österreichische Politik ist in eine Bewegung geraten, weil die Mehrheit der Österreicher sie angestoßen hat, um wieder lautstark auf eine stark begrenzte Heimat anstoßen zu können.

Ich werde natürlich zurückfahren müssen, zurück ins Österreichische. Wo es keine Geschichten mehr gibt, die einfach so erzählt werden, nur Erfolgsgeschichten von oben, Erfolgsgeschichten von starken, männlichen Österreichern. Dem wird wenig bis gar nichts entgegengehalten, solange einem nur selbst nicht die staatlichen Förderungen gekürzt werden, solange verhält man sich lieber ruhig. Wir hoffen ja eh, dass die Demokratie uns weiter tragen wird, nicht wegbricht. Wir wollen ja insgeheim noch immer daran zweifeln, dass die Menschen tatsächlich wieder „Helden“ und „Heimat“ besingen, obwohl wir es nicht nur in ihren Liederbüchern, sondern in jeder einzigen ihrer Handlungen Tag für Tag sehen können. Wir spielen nur halbherzig donnerstags die Kassandra und können unsere Sorgen mit Bier und Gin Tonic vertrinken, weil wir sind priviligiert, im „richtigen“ Land auf die Welt gekommen und wirklich betroffen von der Umsetzung des Regierungsprogramms sind wir eh noch nicht.

„Es ist Gulasch in meinem Kopf“, hat Richard mir heute morgen beim Frühstück geantwortet, weil ich wissen wollte, in welcher Sprache er denkt. Dass er mit seinem besten Freund eine Mischung aus Rumänisch, Englisch, Tschechisch, Deutsch und manchmal sogar Latein sprechen würde. „What is ‚Let’s go‘ in German?“, wurde ich von der Gruppe gefragt, bevor wir zur Wanderung aufbrachen. „Gemma. Also eigentlich ‚Gehen wir‘, aber auf Österreichisch halt: Gemma.“

Wir setzen einen Schritt vor den anderen, um oben die Aussicht zu genießen, für ein Gruppenfoto und eine Zelná Polévka. Jedes Mal, bevor ich mit dem linken Fuß auftrete, in meinem Kopf die Ungewissheit, ob das Knie mich tragen wird. Ich sehe es wegsacken, mich fallen, auf den Grund zu und weiß nicht, ob ich es schaffen würde, den Aufprall mit den Händen abzufangen. Ob ich sie mir beim Sturz aufschneiden würde. Und ob das nicht trotzdem besser wäre, als immer weiter darüber hinwegzugehen.


 Julia Knaß

 

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