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You are here: Home Ausgaben 89 | Juli/Aug 19 another castle

ausgabe #89. prosa. barbara rieger

another castle

oder: Bei Wohnungen hatte ich immer Glück


Die Tür meines Zimmers bleibt einen Spalt offen. Ich fürchte mich trotzdem. Nachdem meine Oma gestorben ist, übersiedle ich in ihr Zimmer. Dort fühle ich mich sicherer. Ich bettle so lange, bis ich zwei Katzen bekomme. Von da an ist die Wohnung nicht mehr ganz so leer, wenn ich nach Hause komme. Nachdem ich Friedhof der Kuscheltiere gesehen habe, fürchte ich mich wieder. Am meisten fürchte ich mich auf dem Land, wo wir die Wochenenden verbringen, fürchte mich vor der Dunkelheit vor den Fenstern, vor den Geräuschen unter dem Dach und vor der Stille. Später will meine Mutter, dass die Zimmertür offen bleibt. Wenn ich alleine bin, wenn eine Freundin zu Besuch ist, ein Freund. Es dauert, bis ich mich traue, sie zu schließen.

Ein halbes Jahr lang bin ich Gast in einer anderen Familie, teile mir das Zimmer mit einer Gastschwester. Sie ist ein halbes Jahr jünger als ich und gegen Sex vor der Ehe. Ich bin die einzige, die bis in den Winter hinein im Pool schwimmt, die einzige, die durch die Straßen des gepflegten Wohnviertels geht oder joggt, ich bin abhängig von meiner Gastschwester, die Auto fahren kann. Als ich meinen Gasteltern erzähle, dass ich zu Hause nie aufessen musste, sagen sie: Of course not, you were the little princess.

Mein erstes WG-Zimmer liegt hinter dem Westbahnhof. Sobald es draußen dunkel wird, fahren die Autos langsam neben mir her, wenn ich nach Hause gehe. Ich fürchte mich kaum. Ich rauche auf der Couch, die gleichzeitig das Bett ist und kotze regelmäßig ins Klo. Das Quietschen der Bremsen der Züge ist im Sommer lauter als im Winter.

Mein zweites WG-Zimmer ist gleich ums Eck von der WG meines Freundes, den ich verlasse, weil ich mich in meinen neuen Mitbewohner verliebe, zumindest so sehr, dass ich mit ihm schlafen muss. Durch die Verbindungstür zwischen unseren Zimmern höre ich unsere Mitbewohnerin, der es genauso geht.

Meine erste eigene Wohnung hat ein Schiebefenster zwischen Küche und Bad, die Dusche steht auf einem Podest. Das Klo hat einen Zerstückler. Wenn ich eine Party mache, male ich ein Verbotsschild und schreibe: Bitte keine OBs ins WC werfen! Jedes Mal, wenn ich ins Klo kotze, mache ich mir Sorgen. Als das WC zum ersten Mal verstopft ist, schickt mir der Vermieter seinen Bruder. Er sagt, er repariere es mir nur ein Mal einmal gratis und ich dürfe auf keinen Fall Damenbinden hineinwerfen. Als das WC zum zweiten Mal verstopft ist, präsentiert er mir einen Joghurtbecher mit einem Tampon darin. In der Wohnung gibt es ein Hochbett, auf dem ich nicht aufrecht sitzen kann. Bevor ich über die Leiter nach oben klettere, stecke ich unten die Lampe an und schalte das Deckenlicht aus. Kurz bevor ich ausziehe, ist das WC wieder verstopft, in Dusche und Abwasch steht das Wasser. Diesmal kommt der Vermieter persönlich, im Sonntagsanzug liegt er in meiner Küche am Boden und ich helfe ihm die Spindeln in die Rohre zu schieben.

Meine dritte WG hat im Vorzimmer eine Bauerndiele inklusive Auerhahn und Herrgottswinkel. In den beiden Zimmern gibt es jeweils einen Gasofen. Ab dem zweiten Winter gelingt es mir meistens ihn einzuschalten. Wenn die Straßenbahn vor dem Fenster vorbeifährt, dann scheppern die Fenster und das Bett wackelt. Einmal wackelt es mehr als gewöhnlich, am nächsten Tag höre ich im Radio von einem Erdbeben. Die Zwischentür zwischen unseren Zimmern haben wir mit Schaumstoffplatten abgedichtet. In regelmäßigen Abständen höre ich die Nachbarn nebenan die ganze Nacht feiern. Nie laden sie uns ein, wir sie auch nicht. Einmal klopft es an der Tür und fünf Feuerwehrmänner stürmen in die Wohnung, weil jemand Gasgeruch gemeldet hat.

Ein halbes Jahr lang wohne ich in Shanghai im 17. Stock. In meinem WG-Zimmer steht ein riesiges Klimagerät, das nur wenig Strahlungswärme erzeugt. Von der breiten Fensterbank in meinem Zimmer mache ich Videos davon, wie sich Autos, Motorräder, Fahrradfahrer und Fußgänger ineinander schieben, lange bevor es grün oder rot wird. An manchen Tagen ist die Luft so dick, dass ich das Gebäude bei der nächsten U-Bahn Station nicht sehen kann.

Meine zweite eigene Wohnung hat Morgensonne, Abendsonne und ein eigenes Schlafzimmer. Als ich einziehe, winke ich der Frau im Zimmer gegenüber, sie winkt zurück. In ihrem Zimmer trägt sie bunte Tops, sobald sie hinausgeht, ist sie schwarz verschleiert. Wir winken uns, wenn wir zugleich schlafen gehen, bringen uns gegenseitig Essen, wenn wir zu viel davon haben und manchmal fragt sie mich, was etwas in einem Beipackzettel oder in einem behördlichen Schreiben bedeutet. Weil das Dach ausgebaut wird, wird die Miete günstiger. Weil ein Gerüst vor dem Haus steht, wird es im Sommer nicht ganz so heiß. Weil sich die Gelegenheit bietet, feiere ich mit einigen Nachbarn eine Party auf dem halb ausgebauten Dach. Wir winken den Leuten vom Swinger Club gegenüber, sie laden uns ein zu kommen, sie hätten ein Pool. Stattdessen klettert einer der Freunde meines Nachbarn über das Gerüst von dessen Wohnung in meine.

Als ich mich verliebe und zu meinem Freund ziehe, vermisse ich meine Wohnung, bin unglücklich über die schlechte Verkehrsanbindung und dass ich mit dem Rad bergauf fahren muss. Ich bin genervt von den Autos, die um den Block rasen, irritiert von den Nachbarn, die lautstark streiten. Ich freue mich jeden Abend, wenn mein Freund nach Hause kommt und kotze kein einziges Mal ins Klo. Vom Fenster aus beobachte ich die vielen Männer, die vor dem Hotel auf der Straße stehen, den ganzen Tag auf der Straße stehen und reden. Ich versuche zu erkennen, ob es immer die gleichen Männer sind und wünschte, ich würde ein Wort verstehen. Ich beobachte die Polizeiwägen, die mitten in der Nacht kommen und wünschte mir, ich würde mich trauen, hinunterzugehen und nachzufragen, was genau hier passiert. Jedes Wochenende fahren wir aufs Land und bauen an einem Haus.

Die neue Wohnung, die ich für uns finde, liegt schräg gegenüber von meiner ersten eigenen. Manchmal sehe ich den Bruder meines ehemaligen Vermieters mit seinem Klapprad durch die Straße fahren. Einmal ist die Haustüre offen und ich werfe einen Blick in den Innenhof, denke daran, wie er damals die Tanne vor meinem Küchenfenster umgeschnitten hat.

Die neue Wohnung hat viele Fenster und einen Balkon auf einen großen, grünen Innenhof mit Vögeln. Einmal fliegt einer durchs Wohnzimmer. Ich habe ein eigenes Arbeitszimmer. Wenn die Kinder von der Schule gegenüber Pause haben, klingt es wie im Freibad, in der Sandkiste vor meinem Fenster ist selten jemand zu sehen. Wenn wir eine Party machen, schreiben wir vorher einen Zettel für die Nachbarn und manchmal gehen wir in den Tischtennisraum im Keller und spielen Rundgangerl mit den zwei Schlägern, die uns meine Mutter geschenkt hat, meinen Badeschlapfen und zwei kleinen Brettern.

Die Wohnung des Mannes, in den ich mich unsterblich verliebe, die Wohnung, in die ich mich schleiche, flüchte, liegt im Dachgeschoss. Es gibt Stapel von Büchern, Wäsche, unzählige volle und leere Flaschen und schmutziges Geschirr. Einmal wasche ich ab. Nie gehe ich groß auf Klo. Als ich zu dem Mann, in den ich mich unsterblich verliebe, sage, dass ich noch nie so eine gute Wohnung hatte wie jetzt, dass ich mir alleine keine so gute Wohnung leisten kann, dass er bei mir einziehen soll, tut er es. Ich biete ihm einen Platz in meinem Arbeitszimmer an. Im Arbeitszimmer stapelt sich alles, was im Rest der Wohnung keinen Platz hat. Er arbeitet am großen Tisch im Wohnzimmer, von dem er lange geträumt und den er sich geleistet hat. Wenn ich ihn auf das Arbeitszimmer anspreche, rastet er aus, weil er meint, dass er es sei, der keinen Platz hat bei mir. Er rastet aus, bis ich ausraste und ihn hinauswerfe.

Das Haus am Land steht. Das Arbeitszimmer dort ist untervermietet. Ein Kinderzimmer könnte man einbauen.

Ich gehe durch die große, leere Wohnung, von einem Raum in den anderen, bewundere die Bäume, die wieder innerhalb einer Woche grün geworden sind, und möchte bleiben.


Barbara Rieger

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