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You are here: Home Ausgaben 89 | Juli/Aug 19 heimat, dach

ausgabe #89. prosa. ali reza panahi

heimat, dach


Dort wo ich geboren wurde und viele Jahre gelebt habe, in einer Stadt, wo die Leute sich immer gut verstehen. In einer Stadt, wo die Leute sich immer gegenseitig helfen. In einer Stadt, wo die Leute sich immer sehr nett begrüßen. Aber warte mal, kann es so eine Stadt überhaupt geben?

In meiner Stadt, da gab es Tage, da wurde ich von den Leuten gar nicht beachtet und dann gab es wieder Tage, wo ich von allen beobachtet wurde. In der Schule, da beschimpften sie mich als „Afghani“. Ich fing an, mich zu schämen, dafür woher ich komme.

Aber was war jetzt wirklich der Unterschied zwischen mir und den anderen?

Vielleicht war es deswegen, weil ich Farsi noch nicht so gut konnte. Ach, quatsch, ich lebte doch hier seit meiner Geburt, das war ja meine alltägliche Sprache.

Ich habe versucht, den Iran als meine Heimat, als mein schützendes Dach zu sehen, aber die Gesellschaft, sie hat es mir nicht erlaubt.

Nichts auf der Welt ist umsonst. Vor allem nicht die Suche nach einer Heimat. Unser Weg war ein Weg zwischen Leben und Tod. Heimatlos, schutzlos. Und viele Nächte schliefen wir im Wald, ohne Dach über dem Kopf.

Hier in Österreich, bin ich wieder anders. Im Iran war ich eine Flachnase, hier bin ich ein Schwarzkopf. Im Iran hatte ich chinesische Mandelaugen, hier sind meine Augen schwarz. Meine Hautfarbe ist ein bisschen dunkler. Im Iran haben sie mich manchmal deswegen ausgelacht. Und hier, warte mal, da finden sie meine Hautfarbe schön! Es gibt einen Spruch: „Ein Mensch ist ein Mensch“. Jeder ist gleich viel wert wie der andere. Aber kein Mensch ist gleich wie die anderen Menschen und viele verstehen sich nicht. Denn für ein tiefgründiges Verstehen, dafür brauchst du Augen, die nicht nur sehen, sondern auch verstehen, ein Herz voller Gefühl und einen Verstand voller Verständnis.

Dann wirst du bemerken, dass die Fische auch weinen können, Eulen auch laut jagen und Frösche auch mit Schmetterlingen befreundet sein wollen.

Aber wir sind wie Chamäleons, wir müssen uns anpassen, um wie die Umgebung um uns herum zu werden. Du hast keine Chance, wenn du anders bist, dann bist du weg vom Fenster, dann zeigen sie dir, dass du nicht dazu passt.

Ich bin im Iran geboren und aufgewachsen, ich mag den Platz wo ich wohnte, aber die Leute nicht, die Freunde nicht, die Verwandten nicht, die Bekannten nicht.

Was ich liebe, das sind die Gute-Nacht-Lieder meiner Mutter, die so schön waren, dass sogar die vertrockneten Blumen sie nicht vergessen können. Und ich liebe den Geruch meines Vaters, wenn er mit seinem staubigen Hemd von der Arbeit nach Hause kam. Alle diese Gefühle, diese Erinnerungen an Gerüche und Bilder, das ist alles noch immer da.

Wenn du mir nur das Recht gibst, dass ich mich darin wiedererkennen kann. Heimat, Dach.


Ali Reza Panahi


Dieser Text entstand im Rahmen des JUKUS-Projekts BAROBAX GRAZ.
Das Projekt BAROBAX GRAZ wird vom EU-Programm Europäisches Solidaritätskorps gefördert und vom Grazer Verein JUKUS begleitet.

 

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