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ausgabe #90. editorial. evelyn schalk

editorial

2024


Es beginnt und es endet nicht am Wahltag – sondern in all den Tagen, Jahren und Jahrzehnten davor und danach. Mit jedem Wegschauen, wenn jemand Hilfe braucht, mit jeder Ignoranz gegenüber alter und neuer Ungerechtigkeit, mit jeder Akzeptanz von Ungleichheit und jeder Widerspruchslosigkeit, mit der all das in Strukturen und Gesetze gegossen wird.

Politik ist mehr, als einmal in vier oder fünf oder zwei Jahren ein Kreuz in einen Kreis zu setzen. Und es ist weitaus mehr, als ein paar Jahre Traineeship für einen überbezahlten Folgejob in einem Megakonzern.1 Um genau zu sein, es ist exakt das Gegenteil davon.

Was wir in den letzten eineinhalb Jahren erlebt, gelebt und zugelassen haben, ist die beispiellose Bereicherung einiger sehr weniger auf Kosten der großen Mehrheit, sowohl ökonomisch als auch in Sachen Demokratieabbau. Das war lange vor dem Ibiza-Video offenkundig, es war schlichtweg von Anfang an die politische Maxime der schwarzblauen Bundesregierung. Nur die große Mehrheit hat es viel zu selten kapiert. Die Nebelgranaten aus Rassismus, sozialer Hetze und Angstmache haben Wirkung gezeigt und die Normalisierung der Brutalisierung zielsicher vorangetrieben.

Wie weit die Rechte bereit ist zu gehen, sagen ihre Vertreter ganz offen. Norbert Hofer hält unumwunden fest, er werde das Bundesheer notfalls auch gegen Demonstrant*innen einsetzen. Zuletzt war das im Austrofaschismus der Fall. „Das ist nichts anderes als brandgefährliche Bürgerkriegsrhetorik. Sie zeigt einmal mehr, dass Norbert Hofer und die FPÖ für ihren Weg in den autoritären Staat keinen Herbert Kickl brauchen – es ist das Projekt dieser Partei. Wer sicher und friedlich in diesem Land leben will und die FPÖ wählt, handelt gegen seine Interessen. Wer als Bürgerliche_r an den erstrittenen Rechtsstaat und bürgerliche Freiheiten glaubt und Sebastian Kurz wählt, obwohl dieser zwischen den Zeilen schon sagt, dass er mit Norbert Hofer regieren möchte, widerspricht sich.“2

All das hat nicht erst mit der letzten Wahl begonnen, sondern der Weg dahin wurde schon lange davor bereitet. Das bedeutet nicht, dass damit die Akteur*innen aus der Veantwortung zu entlassen wären. Ganz im Gegenteil. Was wir jetzt sehen, ist ein erstes Zwischenhoch des Falls.

Wer diese Spirale nicht weiter beschleunigen, sondern etwas gegen ihr immer rasanteres Weiterdrehen unternehmen will, setzt den ersten Schritt, indem er/sie* aufhört, diese Nicht/Politik zu legitimieren. Wort für Wort. Es ist vor und bleibt jeden einzelnen Tag nach dieser Wahl und allen folgenden bitter nötig, jene Veränderungen klar zu formulieren und gemeinsam einzufordern, die es für eine Welt, in der allen ein gutes Leben ermöglicht wird, braucht. Denn nur eine solche muss das Ziel von Politik sein, die diesen Namen verdient.


 Evelyn Schalk

 

Für diese Ausgabe haben wir Statements, Wünsche, Forderungen an die zukünftige Bundesregierung gesammelt. Ausführlichere Beiträge findet ihr hier.

(1) Reichtumsforscher Martin Schürz: „Es braucht eine Obergrenze für Vermögen“ https://www.derstandard.at/story/2000108935667/es-braucht-eine-obergrenze-fuer-vermoegen Auch in Europa landeten Spitzenpolitiker nach ihrer Karriere häufig in Großbanken, Konzernen oder Stiftungen. Mit derartigen Jobs in Aussicht gebe es keinen Anreiz, die Regulierung des Finanzsektors zu fördern.
(2) Vgl.: Lukas Oberndorfer: https://www.facebook.com/lukas.oberndorfer/posts/2465515786877350

 

 

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