ausgabe #28. interview. evelyn schalk
Auf der Straße und im Netz
Der ägyptische Blogger und Menschenrechtsaktivist Wael Abbas im Gespräch mit Evelyn Schalk über den Mangel an Freiheiten, Risiken von politischem Aktivismus und die Rolle ägyptischer und internationaler Medien.
ausreißer: Beginnen wir ganz von vorne: Wann und in welchem Rahmen haben Sie angefangen, als Blogger aktiv zu sein bzw. haben Sie bereits zuvor als Journalist gearbeitet?
Wael Abbas: Nein, ich habe erst als Journalist gearbeitet nachdem ich mit dem Bloggen begonnen hatte. Den Blog, den ich im Moment betreibe, habe ich offiziell 2004 gestartet2, aber zuvor habe ich bereits mit Freunden den Blog „Voices of the People“ betrieben. Im Internet bin ich seit 1994 präsent, meine erste Website, auf der ich meine Artikeln, Texte etc. publiziert habe, ging 1998 online, und ich hatte zusätzlich Erfahrungen in Gruppen, Foren etc. gemacht.
ausreißer: Haben Sie das Internet von Anfang an als einzige Möglichkeit für sich betrachtet , journalistisch tätig zu sein oder hatten Sie zuvor andere Pläne?
Abbas: Seit ich ein Kind bin, interessiere ich mich für Journalismus. Zu dieser Zeit machten wir gerade diese neue Erfahrung von oppositionellen Zeitungen, diese wurden regelmäßig von meiner Familie gekauft, also waren sie immer im Haus, ich war es gewohnt, sie zu lesen und mochte sie. Ich mochte, wie sie sich gegen Einflussnahme der Regierung wehrten, die Wahrheit zutage förderten und wie sie über die Lügen der Regierung schrieben und diese aufdeckten. Aber trotz alledem fehlte etwas, sie sagten nicht alles, nicht die volle Wahrheit. Ich war immer der Meinung, dass die Leute mehr wissen müssen und dass es Dinge gibt, über die sie Angst haben, zu sprechen. Ich habe dann Englische Sprache und Literatur studiert und ich wollte als Journalist arbeiten, doch das war nicht einfach. Man brauchte jemanden, der schon in der Branche tätig war, der dich einführt, dir einen Job besorgt. Später, als ich bereits mit journalistischen Arbeiten begonnen hatte, wurde mir auch bald klar, dass man damit nicht viel Geld verdient. Man wird schlecht bezahlt und manchmal klauen Leute deine Arbeit, setzen deinen Namen nicht drunter. Die Atmosphäre ist korrupt und es gibt keine Gewerkschaft die dich schützt. Du musst zuerst mal zu arbeiten beginnen und einen Vertrag unterschreiben und dann akzeptiert dich die Gewerkschaft vielleicht oder auch nicht. Die Bedingungen für Journalisten in Ägypten waren ähnlich wie jene der Migranten in Südfrankreich, die illegal im Sommer zum Arbeiten kamen und dann wieder zurück geschickt wurden – niemand schützt sie, niemand kümmert sich um sie
ausreißer: Publizieren Sie derzeit ausschließlich auf Ihrem Blog oder auch in Zeitungen und anderen Medien?
Abbas: Manchmal veröffentliche ich in Zeitungen, ich habe für die Washington Post geschrieben und das Slate Magazine sowie für die Deutsche Presseagentur (DPA) gearbeitet; dort konnte ich viele Artikel publizieren. Außerdem schrieb ich für einige Internetzeitungen bevor ich meinen Blog begonnen habe. Aber der Schwerpunkt liegt auf dem Blog, dieser ist es, mit dem ich mir meinen Ruf erarbeiten konnte.
ausreißer: Wo würden Sie Ihren Blog im politischen Spektrum ansiedeln?
Abbas: In der Mitte, das heißt, er ist nicht extrem links oder rechtslastig, denn ich brauche nicht eine politische Ideologie zu vertreten. Jede Ideologie hat Probleme und Fehler, deshalb hole ich mir das Beste von allen. Am Liberalismus schätze ich die Freiheiten, am Sozialismus wie er sich für die Armen und die Arbeiter einsetzt, für die Leute die immer wieder missbraucht werden. Ich beziehe mich also auf das, wovon ich der Meinung bin, dass es das beste ist, um meine Aufgaben, meine Interessen umzusetzen. Ich muss dafür nicht Karl Marx verteidigen….
ausreißer: Bei Ihrem Vortrag bei der Multikulti Academy in Graz haben Sie erzählt, dass Sie wegen der regierungs- und gesellschaftskritischen Beiträge auf Ihrem Blog, trotz Ihrer mehrfach ausgezeichneten journalistischen Arbeit2,Ihren Job bei der DPA verloren haben – welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die westlichen Medien, wenn es um die Publikation unbequemer Wahrheiten geht?
Abbas: Die westlichen Medien sind wie alle anderen Medien der Welt – ihr wichtigstes Ziel ist es, Geld zu verdienen, Werbung zu schalten. Und sie erlauben nicht, dass sich diesem Ziel etwas in den Weg stellt. Wenn ich also dort arbeite und meine Berichte betreffen ihre Neutralität oder belasten die Beziehungen zum Regime, sodass etwa in der Folge ein Korrespondentenbüro in Kairo geschlossen wird, wollen sie mich einfach nicht haben, es ist leicht für sie. Die Aufmerksamkeit westlicher Medien betreffend finde ich nicht, dass Ägypten eine adäquate Rolle spielt. Es wird nicht so beachtet wie der Iran oder Nordkorea oder vielleicht Syrien oder früher auch Libyen. Ich weiß nicht warum. Vielleicht weil Mubaraks Regime mit den westlichen Regierungen befreundet ist und diese ihre Interessen in der Region haben und daran interessiert sind, Mubarak an der Macht zu halten. Aber Medien sollten anders agieren als Regierungen, sie sollten versuchen die Wahrheit zu berichten und nicht einfach der Propaganda des ägyptischen Regimes glauben oder der landläufigen Meinung, dass Ägypten ein demokratisches Land sei, ein Tourismusziel, wo es Strände und Sonne gibt und man in Sharm eish Sheikh und Hurghada tauchen kann. Die westlichen Medien sollten stattdessen mehr über die Bedingungen von Freiheit und Politik in Ägypten recherchieren… Und sie sollten damit aufhören, den Unsinn zu glauben, dass nur die Islamisten einmal Mubarak ersetzen würden, denn es gibt noch viele andere Möglichkeiten und Potentiale.
ausreißer: Sehen Sie irgendeine Möglichkeit diese einseitige Berichterstattung, dieses Bild westlicher Medien zu verändern?
Abbas: Alternative westliche Medien!
ausreißer: Denken Sie nicht, dass deren Reichweite auf einen relativ kleinen, zumeist ohnehin schon verhältnismäßig kritischen Rezipientenkreis beschränkt bleibt?
Abbas: Alternative Medien sind überall notwendig, nicht nur in der ‚Dritten Welt’ oder Ländern unter terroristischer Herrschaft. Denn die traditionellen Medien geben ihre Stimme immer den Starken: den Geschäftsleuten, den Politikern, den Leuten die Geld haben, jenen, die berühmt sind, Celebrities, Schauspielern, Sängern… Aber die, die nichts haben, die wie Blumen am untersten Ende der Stufen sitzen, wer verleiht ihnen eine Stimme? Niemand! Wer kümmert sich um ihre Probleme? Jemand muss das tun – und wenn die Medien dieser Aufgabe nicht nachkommen, dann sollen die Menschen ihre eigenen Medien gründen. Das ist es, was in Ägypten mit den Blogs passiert ist. Die jungen Leute, die von der Regierung und der Opposition, also von beiden Seiten ignoriert wurden haben gleichzeitig begonnen ihre eigene Stimme via Internet zu erheben, auf sich aufmerksam zu machen, die Leute für ihre Probleme, ihr Leben zu interessieren.
ausreißer: Sehen sie auch einen Erfolg in Bezug auf die Konfrontation traditioneller Medien mit dieser Kraft, dieser neuen öffentlichen Macht? Und gibt es auf der anderen Seite Möglichkeiten der Kooperation (trotzdem Sie erzählt haben, dass es auch Ihnen häufig passiert ist, dass Ihre Fotos und Videos ohne Credits verwendet wurden)?
Abbas: Es gibt Möglichkeiten der Kooperation und sie kommt auch manchmal zustande. Zum Beispiel im Fall von Eimad al-Kabir3, der in einer Kairoer Polizeistation gefoltert und vergewaltigt wurde und dessen Fall ein Video dokumentiert hat. Ich habe dieses Video auf meinem Blog gepostet und in der Folge hat ein investigativer Journalist, der für eine unabhängige Zeitung arbeitet, begonnen Details zu recherchierten und das Opfer und die handelnden Polizisten identifiziert. Dann haben sich NGOs und Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet, Anzeige erstattet, Rechtsanwälte zur Verfügung gestellt und am Ende wurden die Verantwortlichen zu Haftstrafen verurteilt.
Aber das Problem mit traditionellen Medien ist, dass sie zeitweise mehr Freiheit erlangen, diese dann aber wieder verlieren, manchmal widersetzen sie sich dem Druck der Regierung und manchmal geben sie ihm nach. Momentan, also 2008 und 2009, ist der politische Druck auf Zeitungen und traditionelle Medien sehr hoch, also haben sie wieder aufgehört, ebenfalls über die Geschichten der Blogger zu berichten und sind wieder darauf verfallen immer wieder die selben trivialen Inhalte zu bringen.
ausreißer: Also sind Kooperationen nur mit einzelnen, mutigen Journalisten möglich?
Abbas: Ja, aber selbst der erwähnte Journalist hat nun Probleme bekommen, ihm droht Gefängnis und niemand steht hinter ihm, nicht einmal seine eigene Zeitung.
ausreißer: So etwas macht es der Regierung natürlich zusätzlich leichter, den Druck noch weiter zu erhöhen, wenn die eigenen Medienunternehmen sich nicht hinter ihre Leute stellen…
Abbas: Ja, absolut.
ausreißer: Aber in Ägypten funktioniert es, dass Blogger eine wirklich große Anzahl von Menschen erreichen, ihre öffentliche Wahrnehmung also nicht auf einen kleinen Kreis beschränkt bleibt – wie war und ist dieser Erfolg möglich?
Abbas: Einer der Gründe, warum die Blogger so viele Leute erreichen, waren die traditionellen Medien selbst, denn einige der Berichte der Blogger wurden in der Folge auch in Zeitungen und im Fernsehen publiziert. Aber auch die Leute, die die Blogs lesen, laden sich Inhalte runter, kopieren diese und schicken sie weiter an Freunde etc. Oft läuft das auch über Mobiltelefone, Downloads werden ausgetauscht. Während der Wahlen 2005 ist das auch so gelaufen. Leute haben Cartoons und Material, das wir gepostet hatten für politische Statements während der Wahlen verwendet, sie haben die Sachen runtergeladen, ausgedruckt und verteilt, das konnte also wirklich etwas bewirken. Und die Leute reden! Ich höre und sehe das im Internet, Leute treffen sich und beginnen zu erfahren, was los ist und am Ende haben sogar Menschen, die nicht einmal Lesen oder Schreiben können, die keinen Computer oder Internetanschluss haben über Eimad al-Kabirs Folter erfahren und all die anderen Folterungen der Polizei, sie wissen Bescheid über sexuelle Belästigung und auch über die Vorfälle rund um die Wahlen.4
ausreißer: Durch Ihre Tätigkeit als politischer Aktivist und Blogger müssen sie permanent mit Bedrohungen, der Gefahr von Verhaftung u. ä. m. leben – wird auch Ihre Familie Zielscheibe von Drohungen von Seiten der Polizei oder politischen Gegnern, ist diese eine Strategie, die angewandt wird, um Leute davon abzuhalten politisch aktiv zu werden?
Abbas: Es betrifft hauptsächlich mich selbst, aber zweimal hat es auch schon meine Familie getroffen, denn wenn ich manchmal Telefonanrufe bekomme, dann erhält auch meine Familie Anrufe von der Polizei und wird bedroht und schikaniert. Aber mein Rat hier für die Familien von Aktivisten lautet, nicht darauf zu reagieren. Denn wenn die Polizei etwas tun will, tut sie es ohnehin, sie geben sich sowieso nicht damit zufrieden, sie einzuschüchtern. Die Familien sollten also akzeptieren, was ihre Verwandten tun und möglichst keine Angst vor der Polizei haben. In Bezug auf meine eigene Familie hat sie akzeptiert was ich tue und unser Haus wurde noch nicht gestürmt oder ähnliches. Noch nicht. Das hat allerdings leider andere Aktivisten getroffen, ihre Bücher, Papiere und Computer wurden beschlagnahmt, aber wie gesagt, mir ist das noch nicht passiert.
ausreißer: Gibt es einen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Bloggern, werden Frauen zum Beispiel häufiger Opfer von Drohungen und Belästigungen.
Abbas: Fakt ist, dass es nicht sehr viele weibliche Blogger gibt, die auch auf der Strasse aktiv sind, vielleicht im Internet. Wir hatten eine Bloggerin, die Muhammar al-Gaddafi von Libyien kritisierte und sie wurde von der Staatssicherheit verhört und eingeschüchtert, im Beisein des libyschen Botschafter in Ägypten. Sie brachten sie dazu, zu löschen was sie über Gaddafi geschrieben hatte. Auch einige andere Bloggerinnen wurden schon eingesperrt, z.B. 2005 wurden zwei Mädchen der Revolutionären Sozialisten auf der Cairo book fair5 wegen eines Buches verhaftet, das Mubarak und sein Regime kritisiert. Während der Judges’ club Krisen – ein Sit-in, das Blogger 2006 organisiert hatten – wurden drei andere Aktivisten wegen ihrer Teilnahme von der Straße weg verhaftet und im April letzten Jahres hat man zwei Mädchen arretiert, weil sie sich an der Organisation des Streiks zum 6. April6 beteiligt hatten und heuer gab es zwei Mädchen die Aufrufe zum Streik verteilt haben und ebenfalls von der Polizei von der Straße weg verhaftet wurden. Sie wurden geschlagen und verhört, ihre Familien mussten ebenfalls auf die Polizeistation kommen, wo auch sie zusammengeschlagen wurden. Andere Aktivisten, die aus Solidarität protestiert hatten, wurden ebenfalls mit ihnen eingesperrt.
ausreißer: Haben Sie irgendwelche Vorkehrungen getroffen, die den (unerwünschten) Zugang zu Ihrer Online-Kommunikation erschweren, z.B. Ihre IP-Adresse verschlüsselt o.ä.?
Abbas: Nein, denn ich verwende meinen realen Namen. Es gibt einige Blogger, die unter einem Pseudonym schreiben und von denen man nur die Nicknames kennt, nie die wahre Identität. Ich ziehe es vor, unter dem wirklichen Namen zu bloggen, denn es ermutigt andere ebenfalls aktiv zu werden und verunsichert die Regierung mehr, denn diese Leute haben keine Angst vor ihren Einschüchterungen. Und es verleiht einem mehr Glaubwürdigkeit. Die Leute vertrauen dir mehr, wenn du keine Angst hast, deinen wirklichen Namen zu benutzen. Erst später musste ich erfahren, dass es dich auch deinen Job kosten kann und nahezu unmöglich macht, einen neuen zu finden, denn deine Identität ist ja bekannt. Deshalb bloggen auch einige Bekannte von mir anonym.
ausreißer: Und es macht es der Polizei leichter, Sie zu attackieren…
Abbas: Ja, aber so einfach dann auch wieder nicht, denn wenn man zu bekannt ist, wagen sie es nicht so leicht, einen anzurühren.
ausreißer: …was aber einen wirklich hohen Bekanntheitsgrad voraussetzt…
Abbas: Ja, wobei: Niemand ist sicher vor einer Verhaftung, selbst wenn man sehr bekannt ist, wie sie es etwa mit Ayman Nour gemacht haben, dem Chef der Liberal Al-Ghad Partei. Er kandidierte als Präsident und wurde nach Mubarak Zweiter und trotzdem haben sie ihn eingesperrt. Oder wie im Fall von Talaat el-Sadat, einem Neffen des vorigen Präsidenten Anwar el-Sadat. Sie haben ihn wegen Diffamierung militärischer Institutionen inhaftiert.7 Berühmtheit ist also kein Garant dafür, nicht verhaftet zu werden.
ausreißer: Sie haben erzählt, dass auch Sie vor einigen Tagen verhaftet wurden – was ist passiert?
Abbas: Ja, ich war für einen Tag im Gefängnis wegen einer Auseinandersetzung mit meinem Nachbarn, einem Polizisten. Er kam in unser Haus, schlug meine Mutter und mich. Die Polizei, die ich gerufen hatte, kam natürlich sehr spät und dann haben sie nicht ihn, sondern mich verhaftet! Ich habe Anzeige gegen ihn erstattet und wurde vom Staatsanwalt verhört und erfuhr schließlich, dass er Anzeige gegen mich erstattet hatte, deshalb haben sie mich auch verhaftet. Ich war der jenige, der verletzt worden war, in meinem Haus, und meine Mutter ebenfalls – und sie haben mich verhaftet! Später mussten sie mich frei lassen, sie fanden, trotz dubioser Zeugenaussagen, keine gegenteiligen Beweise.
ausreißer: Wie sieht es eigentlich mit NGOs aus, arbeiten Sie mit welchen zusammen, können Sie ihnen vertrauen?
Abbas: Wir brauchen eine Veränderung des Regimes um wirkliche NGOs haben zu können. Wir leben unter dem Notstandsgesetz7, das bedeutet dass die Leute kein Versammlungsrecht haben, was die Basis für NGOs darstellt. Wir können keine NGO ohne die Erlaubnis der Regierung gründen, wir können keine finanzielle Unterstützung bekommen ohne dass ein Ministerium diese reguliert und die Erlaubnis erteilt, diese, wenn man sie bekommt, auch einzusetzen. Die meisten der NGOs, die in Ägypten arbeiten, sind jene der Regierung selbst, alteingesessene, die nur danach trachten, Profit zu machen. Es sind also keine echten NGOs, sie wollen nur verdienen, sie stehlen Geld und leisten keine wirkliche Arbeit. Wir haben auch echte Aktivisten, die Großartiges leisten, aber sie bekommen keine Mittel um an ihren Projekten zu arbeiten, weil die Regierung das unterbindet. Sogar einige Organisationen im Regierungsumfeld wurden geschlossen, es gab eine NGO, die die Rechte von Arbeitern verteidigte und man hat sie geschlossen und eine die kostenlose Rechtshilfe für Opfer von Regierungs- sowie Polizeigewalt und –aggression und man hat auch diese geschlossen. Man will also nicht, dass echte NGOs in Ägypten arbeiten, sie erlauben nicht einmal internationalen Organisationen, wie z. B.: Freedom House, Amnesty International oder Human Rights Watch Büros in Ägypten zu unterhalten. Diejenigen, die Deals mit der Regierung haben, sind alle nur Farce.
ausreißer: Sie haben zu Beginn bereits den Tourismus kurz angesprochen – hat dieser Ihrer Meinung nach irgendwelche positiven Auswirkungen auf die aktuelle Situation?
Abbas: Leider hilft Tourismus nicht wirklich, dass die Leute die Wahrheit über Ägypten erfahren, denn sie kommen direkt nach Sharm eish Sheikh oder Hurghada und sehen dort nur jene paar Leute, die im Tourismus arbeiten, nicht jedoch den Rest der 80 Millionen, die in Ägypten in Armut und Freiheitsmangel leben und unter Arbeitslosigkeit und der Überfüllung, dem Mangel an Häusern und Wohnungen leiden. Tourismus hat mit alldem nichts zu tun, er ist nur eine Einkommensquelle für einige wenige Ägypter. Fremde, die beispielsweise solidarisch mit der Opposition ins Land kommen oder politische Arbeit leisten wollen, werden ebenfalls oft verhaftet und man macht ihnen das Leben in Ägypten wirklich schwer.
ausreißer: Es ist also relativ schwierig, wenn man direkt im Land etwas tun möchte…
Abbas: Ja, das kann hart werden. Aber es gibt immer Möglichkeiten reinzukommen, und es gibt Telefon und Internet und all das. Was für die Menschen in Ägypten wirklich wichtig ist, ist dass sie selbst handeln, ihre eigene Freiheit einfordern. Was im Ausland getan werden kann, ist mehr über die tatsächlichen Bedingungen in Ägypten zu erfahren, wissen zu wollen. Gerade Touristen sollten wissen, dass es hier Probleme gibt und nicht nur alles aus Sonne, Surfen und Tauchen besteht, gravierende demokratische Missstände. Sie wussten es ja auch von Russland und Polen und Rumänien und all diese Länder, sie wussten was dort vor sich ging, all die Unterdrückungen – aber hier in Ägypten ist das anders. Es gibt diese Spots auf CNN, Ägypten ist ein Geschenk der Sonne und wir machen dir die Sonne zum Geschenk, sie sehen also nur die schönen Seiten von Ägypten aber sie haben keine Ahnung vom wirklichen Leben hier.
ausreißer: Die Situation ist z.B. in Tunesien in einigen Punkten sehr ähnlich. Arbeiten Sie ausschließlich in Ägypten oder auch in anderen nordafrikanischen Ländern?
Abbas: Hauptsächlich in Ägypten, aber ich teile mein Wissen mit anderen bei Konferenzen und Treffen und wenn ich reise, das mache ich regelmäßig. Es gibt viele Blogger in der arabischen Welt die vom ägyptischen Beispiel profitieren. In Marokko z.B. gibt es einen Blogger, der sich in Hauseingängen u. ä. versteckt und Videos von Polizeiaktionen mitfilmt, keiner kennt seine wahre Identität, oder in Bahrain, wo einige Blogger Polizeigewalt gegenüber Demonstranten dokumentieren und auf YouTube posten konnten. Sie verwenden also in ihren eigenen Ländern die selben Techniken wie ihre ägyptischen Kollegen, und das ist toll, das bedeutet, dass das ägyptische Beispiel für Menschen in der gesamten Region nützlich ist.
ausreißer: Gibt es neben den Blogs noch andere alternative Medien in Ägypten?
Abbas: Das Problem ist, dass wir keine Radiostationen bekommen können, den diese sind, wie auch die Fernsehfrequenzen, gesperrt. Aber es gibt immer alternative Wege, wie gedrucktes Material, das verteilt werden kann. Wir hatten auch immer wieder diese Spontandemonstrationen in einigen der Slums von Kairo. Es gibt auch Straßentheater, Leute die in der Nachbarschaft auf der Straße zu spielen, singen und tanzen beginnen und damit die Aufmerksamkeit der Leute auf bestimmte Themen richten, wie Nahrungsmittelpreise oder Frauenrechte usw. Es gibt also immer Möglichkeiten, Menschen zu erreichen. Auch per SMS, Leute verschicken politische Fakten oder Neuigkeiten per SMS. Und all die alten Methoden können genauso funktionieren, die andere schon lange vorher verwendet haben. Es muss nicht aufs Internet beschränkt bleiben, es ist eines der Mittel. Aber wir hoffen, dass es sich ausweitet und immer mehr Leute Internetzugang bekommen und damit Zugriff auf diese neuen Medien haben, denn es ist einfacher, weil man via Internet Fotos, Videos und Text gleichzeitig haben kann, und man kann mit Menschen in Kontakt treten, man kann interagieren.
ausreißer: Aber es kann auch kontrolliert werden…
Abbas: …ja, deshalb wollen wir auch die Grenzen des Netzes durchbrechen. Das Gute an den ägyptischen Bloggern ist, dass sie nicht wie irgendwelche Freaks den ganzen Tag zuhause im Pyjama vor ihren PCs sitzen und von dort aus bloggen. Nein, sie haben Kameras und gehen raus auf die Straße, zu Demonstrationen, sie sind mit den Leuten draußen in Kontakt.
ausreißer: Sie haben erwähnt, dass Sie auch oft Material zugesandt bekommen – wie gehen Sie bei der Publikation vor, wie überprüfen Sie, ob etwas wahr ist oder womöglich manipuliert?
Abbas: Wenn etwas ein Verbrechen ist, ist es ein Verbrechen. Ich habe zum Beispiel ein Video erhalten von einem Burschen, der eine Frau geschlagen und sie gezwungen hat, sich auszuzuiehen – und er hat das auf jene Art und Weise getan, wie es Polizisten tun, er trug keine Uniform, hatte aber ein Waffe, sah wie ein Polizist aus. Es ist ein Verbrechen. Auch wenn er kein Polizist ist, nur so tut als ob, geschieht hier ein Verbrechen, denn die Frau wird geschlagen und gezwungen ihre Kleider auszuziehen, also sollte die Polizei den Fall untersuchen, herausfinden wer der Mann ist. Es ist ein Verbrechen und deshalb lohnt sich die Publikation, die Untersuchung folgt später. Selbst wenn es komplett gestellt ist. Dann hat die Polizei zu eruieren, wer so etwas herstellt, denn diese Videos zirkulieren per Handy, schüchtern Leute ein, es bleibt also ein Verbrechen.
ausreißer: Videos machen die Sache leichter, sind zumindest sichtbares Material, aber was ist mit erzählten Geschichten?
Abbas: Normalerweise veröffentliche ich keine Geschichten, die nicht durch dokumentarisches Material, wie Fotos oder Videos, belegt werden. Das ist es, was meinen Blog glaubwürdig macht. Wenn ich was zugetragen bekomme, was z.B. in einer Firma, in einer Fabrik passiert, oder auch Unfälle, leite ich das weiter an Organisationen und Leute, die unmittelbar vor Ort etwas tun können. Ich publiziere es nicht, denn es könnte eine Lüge sein, es muss nicht der Wahrheit entsprechen, das muss erst geklärt werden.
ausreißer: Sie recherchieren also nicht selbst vor Ort?
Abbas: Manchmal mache ich das. Letztens war ich z.B. bei einem Arbeiterstreik downtown und wurde verhaftet, weil sie keine Journalisten haben wollten, die die Proteste und Forderungen der Arbeiter dokumentieren. Wenn ich kann, bin ich vor Ort. Aber wenn etwas weit weg ist und ich z.B. kein Geld habe, hinzufahren, ist es mir nicht möglich, dann leite ich die Infos an Leute weiter, die etwas tun können.
ausreißer: Was ist Ihnen am wichtigsten nach außen bekannt zu machen, was sollen die Leute ihrer Meinung nach wissen?
Abbas: Ich möchte, dass die Leute wissen, dass Ägypten keine Demokratie ist, glaubt dieser Propaganda nicht! Und Islamisten sind nicht die einzige Alternative in Ägypten. Außerdem habe ich einen Rat für alle elektronischen Aktivisten rund um die Welt: Arbeitet nicht nur online, ihr müsst auf der Straße erreichbar sein, ihr müsst Dinge selbst mit Fotos und Videos dokumentieren und posten, ihr solltet also ein Bein auf der Straße und das andere im Inernet haben!
Übersetzung aus dem Englischen: Evelyn Schalk
[2] Most Influential Person 2006 (BBC), Nominee for Best Arabic Blog und Best Video Blog 2006, Middle East Person of the Year 2007 (CNN), Knight International Journalism Award 2007 (ICFJ – International Center for Journalists) , Hellman Hammett Award 2008 (Human Rights Watch)
[3] Wael Abbas hatte das Video als erster auf seinem Blog publiziert und damit in Ägypten einen der größten Skandale der letzten Jahre ausgelöst. Siehe dazu der Artikel „Hinterm Strand die Zensur“ in der aktuellen ausreißer-Ausgabe.
[4] Wael Abbas publizierte auf seinem Blog Videos, die schließlich vermehrt in ganz Ägypten auftauchten, die Wahlmanipulationen zeigen, wie etwa Stimmzettel in großer Zahl von der Wahlkommission selbst entsprechend ausgefüllt werden.
[5] Kairoer Büchermesse
[6] Bereits 2006 und 2007 gab es in der Misr Spinning and Weaving Co. großangelegte Streiks. Der Textilkonzern ist mit 25 000 Beschäftigten der größte Industriebetrieb Ägyptens, ihre Erfolge oder Misserfolge sind auch beispielgebend für die Bedingungen in anderen Branchen. Die Arbeiter protestierten u. a. gegen die stark gestiegenen Nahrungsmittelpreise und forderten die Erhöhung des nationalen Mindestlohns. Die Polizei ging indes brutal gegen die Streikenden und die Aktivisten, die sich ihnen angeschlossen hatten, vor; es gab unzählige Verletzte und auch Tote sowie hunderte Verhaftungen.
[7] Talaat el-Sadat wurde 2006 wegen Diffamierung militärischer Einrichtungen zu einem Jahr Haft verurteilt - er hätte behauptet, diese hätten 1981 beim Attentat auf seinen Onkel, dem früheren ägyptischen Präsidenten Anwar el-Sadat die Hand im Spiel gehabt.
[8] In Ägypten gilt seit über 28 Jahren das Notstandsgesetz, das der Regierung umfassenden Entscheidungs- und Handlungsspielraum ohne demokratische Abstimmungsverfahren ermöglicht.