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ausgabe #64. prosa. dietmar koschier

Ausgesprochen positive Sicht der Dinge



„Na ja, so schlecht hab ich's nicht getroffen; ich mein, wer weiß, wozu es gut ist?! Es wird schon seinen tieferen Sinn haben. Doch, ganz bestimmt sogar! Denn angenommen, dieser Kleinbus hätte mich nicht vom Straßenrand aus angefahren und auf die Straße geschleudert, weil ich mich instinktsicher gerade in jenem Moment auf draufgängerische Art und Weise nach vorn beugte, in welchem mir das Handy aus der Brusttasche gerutscht war und durch das Abflussgitter zu entgleiten drohte, dann hätte ich über eben dieses Handy - das jetzt auf dem Grund des städtischen Kanalnetzes ruht und dessen penetrantes Läuten mich von nun an nie mehr in den unpassendsten und ruhigsten Momenten aufscheuchen kann - den Anruf meines Scheidungsanwalts entgegennehmen müssen. Aber zum Glück nicht nur das. Denn wenn der nachfolgende PKW dann nicht über mich drübergefahren wäre und ich dadurch nicht hier auf der Intensivstation im Streckverband liegen würde, hätte ich überhaupt keine Entschuldigung gehabt, für den darauffolgenden Tag den Termin beim Scheidungsrichter zu versäumen; dabei liebe ich meine Frau doch, trotz oder gerade wegen aller kürzlichen Differenzen. So habe ich glücklicherweise noch eine Art Spielverlängerung bekommen, in der es mir gelingen kann, sie wieder für mich zu gewinnen!

Hier kann ich in aller Ruhe meine Versöhnungsrede ausarbeiten, denn vom Hauptgrund unserer Schwierigkeiten, der Spielleidenschaft, kann ich hier leichten Herzens Abstand gewinnen und was das Weitere betrifft: So in Verbandszeug eingewickelt und mit Gips geklatscht, bin ich für meine Geliebten ohnehin nicht attraktiv und sie lassen mich endlich mal in Ruhe. Ich meine, sicher, gut, es ist ein klein bisschen langweilig, sich den ganzen Tag nicht rühren zu können, praktisch unentwegt auf einem Fleck ausharren zu müssen, mit nichts anderem beschäftigt, als Luftschlösser zu bauen, seinen Gedanken nachzuhängen oder ständig die Fliegen auf den Monitoren im Auge zu behalten. Aber andererseits ist ja gerade das das Entspannende, das mir im reichlich stressigen Berufsleben so sehr abgegangen ist. Ich freu mich wie ein Schneekönig, dass ich diese stillen, besinnlichen Momente jetzt nachholen kann. Und gottseidank habe ich bei dem Unfall auch eine Schädelquetschung davongetragen, die vorübergehend meine Geschmacksnerven ruiniert hat. Denn dieses Magengeschwür, das mich schon seit Jahren quält, hätte ich ja laut Doktor eh nur weggebracht, wenn ich rigoros über längere Zeit hinweg ausschließlich eine grässliche Diätkost zu mir genommen hätte. Hab ich ja nie länger als ein, zwei Tage durchgehalten, doch momentan kann ich sowieso nichts schmecken, da flutscht auch dieser fade, sterile Geschmack runter wie Butter. Und das Magengeschwür wird sich rechtzeitig zurückgebildet haben, wenn ich aus dem Krankenhaus entlassen werde!

Na, und dass mein guter alter Studienfreund Rudi, mit dem ich damals auf der Uni solchen Mordsspaß hatte, inzwischen Facharzt geworden ist und hier auf der Internen Abteilung arbeitet, hätte ich ja im Leben nie in Erfahrung gebracht, wenn ich nicht ins Krankenhaus eingeliefert worden wäre und diese überaus fesche Schwester beiläufig seinen Namen hätte erwähnen hören. Hat mich schon über alle Maßen gefreut, dass er mich auch gleich besuchen gekommen ist. Sicher, er hätte neben dem Blumenstrauß ein anderes Geschenk mitbringen können als die Nachricht, dass inzwischen meine Stadtwohnung abgebrannt ist, aber diese Hiobsbotschaft aus seinem Munde zu hören, nach so langer Zeit der Wiedersehensfreude, hat ja direkt charmant geklungen! Hat sowieso nur Zores gemacht, diese Bleibe: ständig Reparaturen, Ärger mit den Nachbarn und regelmäßig am nächsten Morgen solche Kopfschmerzen, wenn ich dort übernachtet habe. Wahrscheinlich war dort ein Kumulationspunkt von Wasseradern und kosmischen Strahlen. Gut, dass ich diese Bude losgeworden bin. Und so bin ich jetzt auch über den Verdacht meiner Frau erhaben, ich hielte mir dort ein Liebesnest.

Wenn ich Glück habe, verliere ich in der Zwischenzeit auch an der Börse mein Vermögen, das könnte mir die Möglichkeit bieten, noch einmal - wie in jungen Jahren - ganz neu anzufangen, ach ...

Wenn ich so denke, dass ich früher, bevor mir der Unfall die Augen für das Wesentliche geöffnet hat, kaum Zeit für mich und die Dinge, die mir wichtig waren, fand, dann danke ich dem guten Geschick für diese einmalige Möglichkeit. Denn durch das penetrante Jucken unter meinem Gips spüre ich mich endlich wieder selbst. Ich muss tatsächlich unter einem Glücksstern geboren worden sein!

Ach Gott ja, wie schön kann doch das Leben sein ..."


Dietmar Koschier

 

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