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ausgabe #82. bericht. sabrina stranzl

bilder im kopf

Visuelle Assoziationen zu Sexarbeit und Straßenstrich


Sexarbeit, ein kontrovers diskutiertes Thema, das von höchst unterschiedlichen Ansichten und Gesetzeslagen bestimmt ist. Ein Thema, welches sich nicht einfach beschreiben oder abhandeln lässt, denn Sexarbeit ist so heterogen wie ihre Akteur*innen selbst.

Im vorherrschenden gesellschaftlichen Diskurs lässt sich feststellen, dass Sexarbeit häufig mit Gewalt, Zwang und Ausbeutung verknüpft wird. Gesellschaftliche (Sexual-)Moralvorstellungen werden wirksam, Sexarbeiter*innen werden häufig ausschließlich zu „Opfern“ stilisiert und auf ihre Beschäftigung reduziert, der sie nicht freiwillig, sondern unter Zwang nachgehen, man spricht über sie als „arme Frauen“.
Es werden jede Menge Debatten über Menschen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, geführt, aber Sexarbeiter*innen selbst kommen dabei kaum zu Wort. (1)

Dieser Diskurs wird von radikalfeministischen Vertreter*innen der abolitionistischen und prohibitiven Modelle (2), in denen der Sexkauf oder die Sexarbeit generell illegal ist, unterstützt. Sie erklären „jegliche Form des Verkaufs von sexuellen Dienstleistungen – ob freiwillig oder nicht – zum Ausdruck des patriarchalen, ungleichen Machtverhältnisses zwischen Männern und Frauen [...]. Jeder gekaufte Sex kommt einer Verletzung der Menschenwürde und einer Vergewaltigung gleich.“ (3)
Auf der anderen Seite wird von sex-positiven oder liberalen Vertreter*innen die Selbstbestimmung von Sexarbeiter*innen betont. Sie sprechen sich gegen den verallgemeinernden „Opferdiskurs“ aus und fordern eine Entstigmatisierung der Sexarbeit und ihre öffentliche und juristische Anerkennung als Arbeit. (4)


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Diese oppositäre Haltung konnte ich bis jetzt auch in meiner empirischen Forschung zum Thema Sexarbeit beobachten. In Gesprächen mit Nicht-Sexarbeiter*innen wird von den „armen Frauen“ gesprochen und man bedient sich an Klischees, aus Gehörtem oder Gelesenem oder auch an einem Empowerment, das Personen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, zugesprochen wird. Bei genauerem Hinhören und -sehen wird jedoch eine Ambivalenz der Thematik erkennbar, die nicht nur in der Gesellschaft von Nicht-Sexarbeiter*innen vorhanden ist, sondern sich auch in den Gesprächen, die ich mit Sexarbeiterinnen (5) bisher geführt habe, zeigte.


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Bereits im frühen Mittelalter lässt sich ein ambivalentes Verhältnis feststellen, das unter anderem durch Augustinus von Hippo und seiner Formulierung der Erbsündenlehre geprägt wurde. Deutlich erkennbar wird die Ambivalenz in der „Kloakentheorie“ von Thomas von Aquin: „Die Prostitution in den Städten gleicht der Kloake im Palast; schafft die Kloake ab, und der Palast wird ein unreiner und stinkender Ort werden.“ (6)
Dieses widersprüchliche Verhältnis zieht sich durch die historische Vergangenheit und ist auch noch in der Gegenwart unserer Gesellschaft spürbar. Immer wieder bekomme ich in situativen Gesprächen mit Nicht-Sexarbeiter*innen zu hören: „Es ist schon gut dass es Sexarbeit gibt, denn würde es das nicht geben, dann gäbe es viel mehr Vergewaltigungen.“ (7)
Gleichzeitig heißt es aber: „Also, ich bin nicht für ein Verbot von Sexarbeit. Ich finde, dass es Bordelle und Laufhäuser schon geben soll, aber auf der Straße muss es nicht sein. Wenn man mit Kindern da vorbei geht, das muss nicht sein.“ (8) Sexarbeit soll demnach nicht verboten werden, soll aber nicht im öffentlichen Raum sichtbar sein.
Dennoch wurde in meiner Forschung erkennbar, dass Sexarbeit häufig mit Straßen-Sexarbeit oder mit Frauen, die sexuelle Dienstleistungen in Bordellen oder Laufhäusern anbieten, assoziiert wird. An andere Arbeitsorte, wie Studios, Saunaclubs, ein Private House, das Fenster-Bordell oder an ein SM-Studios, bzw. Tätigkeiten und deren Felder wie einem Escort-Service, das einer Domina, an Call- oder Camgirls, Hostessen, Stripper*innen oder Pornodarsteller*innen wird zunächst seltener gedacht. Frauen stehen im Vordergrund der Sexarbeit, Männer oder Transgenderpersonen rücken dadurch in den Hintergrund. Die Vielfalt der Sexarbeits-Tätigkeitsfelder sowie die Inhalte und Praktiken werden trotz ihrer Mannigfaltigkeit reduziert.
Auch in Graz sind dieselben Denkschemata präsent. Doch wie kommt es hier zu diesen Assoziationen von Sexarbeit und Straße? Denn richtet man den Blick auf die Gesetzeslage in der Steiermark, bedarf es einer Genehmigung für die Anbahnung und Ausübung an bestimmten Örtlichkeiten. (9) Martina Löw und Renate Ruhne schreiben, dass sich das Feld der Sexarbeit in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat, sie stellen eine „Verhäuslichung“ der Sexarbeit fest und meinen damit die Verlagerung vom öffentlichen in den geschlossen Raum – in die „Unsichtbarkeit von prostitutiven Geschehen“. (10) Generell lasse sich eine Zunahme der „indoor prostitution“ für ganz Europa erkennen. (11)
Auch in Graz ist diese Verdrängung aus dem öffentlichen Raum bemerkbar, denn zurzeit (12) gibt es keine Genehmigung für die Anbahnung im öffentlichen Raum, somit ist der Straßenstrich illegal.
Hier stellt sich mir die Frage, was soll im öffentlichen Straßenraum sichtbar sein und wer oder was gilt als unerwünscht und hat auf der Straße „nichts verloren“?! Was soll gesehen werden und wovor verschließen wir unsere Augen lieber? Oder vor wem? Hier könnte auch das Sprichwort „Aus den Augen, aus dem Sinn“ passend sein.
Chris ist seit 25 Jahren in einem Bordell als Sexarbeiterin tätig, aber auch sie möchte Sexarbeit nicht auf den Straßen sehen: „Das hat auf der Straße, also im öffentlichen Raum nichts verloren. Da sind Kinder, das hat hier nichts zu suchen. Ich habe selbst zwei Töchter und ich hätte nicht gewollt, als sie noch klein waren, dass sie an der Straße die Frauen stehen sehen.“ (13)
Durch die Mechanismen der Verhäuslichung wird laut Löw und Ruhne nicht nur eine räumliche, sondern auch eine geschlechts- und klassenspezifische Komponente sichtbar: „Über die räumliche Trennung des prostitutiven vom soliden Frauenkörper wird die käufliche Sexualität von der ehelichen Sexualität (mit Monogamieanspruch) separiert.“ (14) Hier werden konstruierte gesellschaftliche Moralvorstellungen offenbar, infolgedessen „geht es um die ‚Reinigung’ des öffentlichen Raums von Handlungsformen und Symbolen, die mit Dreck, Vulgarität, Lasterhaftigkeit, Unanstand oder Faulheit assoziiert werden“. (15)


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Die Erscheinungsform der Sexarbeit unterliegt dem gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Wandel und passt sich diesem und dessen Umgebung an. Da es sich bei dem Prozess der Verhäuslichung um ein allgemeines Unsichtbar-Werden der in der Sexarbeit tätigen Menschen handelt, wird eine (kritische) mediale und gesellschaftliche Auseinandersetzung erschwert und Klischees und Stereotype reproduziert.


Als mir schockiert bewusst wurde, dass auch meine eigenen Bilder, trotz meiner wissenschaftlich reflexiven Auseinandersetzung mit der Thematik, nach wie vor von diesem visuellen Schema geprägt sind, wollte ich dem  intensiver nachgehen. An der Grazer Ortweinschule für Kunst & Design startete ich einen Exkurs in den Meisterklassen, deren Teilnehmer*innen altersmäßig sehr durchmischt sind und Frauen und Männer aus verschiedenen (beruflichen) Richtungen kommen. Ich besuchte drei unterschiedliche Klassen, die Schüler*innen erhielten erst vor Ort eine kurze Einleitung und die Bitte, ihre Vorstellung von oder erste Assoziation zu Sexarbeit bzw. einer Sexarbeiterin (da ich mich in meiner Arbeit nur mit Frauen beschäftige) auf Papier zu verbildlichen.
Auch in diesem Rahmen wurde schnell klar: Für eine subtile Auseinandersetzung mit dem Feld Sexarbeit müssen die unterschiedlichen Facetten, die in diesen gesellschaftlichen Diskurs einfließen, betrachtet werden. Dazu ist es unerlässlich, die verschiedenen Perspektiven und Stimmen einzubringen. Die Aufmerksamkeit muss auch auf das Nicht-Gesagte gerichtet werden sowie die visuelle Darstellung, die über die Sprache hinausgeht bzw. umgekehrt auf diese einwirkt. So werden Denkmuster verfestigt – aber sie lassen sich auch aufbrechen.  

                     


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(1) Im Rahmen meiner Bachelorarbeit habe ich unterschiedliche Gespräche mit Menschen geführt, auf der einen Seite mit Sexarbeiterinnen, um eine Innenperspektive zu erhalten, auf der anderen Seite aber auch mit Personen die keine sexuellen Dienstleistungen anbieten, um gesellschaftliche Perspektiven aufzuzeigen. Sabrina Stranzl: Sexarbeit – ein gesellschaftliches Tabuthema?! Kulturanthropologische Perspektiven zu (arbeits-) rechtlicher und gesellschaftlicher Ein- und Ausgrenzung von Sexarbeit. Bachelorarbeit, Graz 2018.
(2) Vgl. Markus Schauta: Warum wir von Sexarbeit sprechen. In: Die grüne Bildungswerkstatt Wien. https://wien.gbw.at/artikelansicht/beitrag/warum-wir-von-sexarbeit-sprechen/ (Zugriff: 19.06.2018).
(3) Helga Amesberger: „Die“ politische Lösung gibt es nicht. Prostitutionspolitiken im Vergleich. In: Menschenhandel heute. Kritisches Magazin gegen Ausbeutung, https://menschenhandelheute.net/2014/06/03/die-politische-losung- gibt-es-nicht-prostitutionspolitiken-im-vergleich/ (Zugriff: 10.06.2018).
(4) Vgl. Sandra Pfister: Der Kampf um „Sexarbeit“. Feministische Positionen zwischen Liberalisierung und Stigmatisierung. Hamburg 2016, S. 12-17, http://gdff.de/wp-content/uploads/2017/02/Pfister_Der-Kampf-umSexarbeit.pdf (Zugriff: 19.06.2018).
(5) Im Rahmen dieser ethnographischen Arbeit, die der Beitrag behandelt, wird die weibliche, heterosexuelle Sexarbeit fokussiert.
(6) Thomas von Aquin zit. in: Silvia Kontos: Dienst am Mann – Prostitution als sexuelle Dienstleistung? Beitrag für die Fachtagung „Die Konstruktion von Prostitution und Frauenhandel in der Praxis der NGOs“ am 9./10.12.2003. in: Prostitution: Zwang oder Beruf? Tagesdokumentation, S. 11, http://www.fim- frauenrecht.de/images/pdf/FIMTagungsdokumentation_prostitutionzwangoderberuf.pdff (Zugriff: 15.11.2017).
(7) Forschungstagebucheintrag: Gespräch mit Benja, 18.01.2018.
(8) Forschungstagebucheintrag: Gespräch mit Merle, 12.04.2018.
(9) Vgl. Steiermärkisches Prostitutionsgesetz https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrStmk&Gesetzesnummer=20000301 (Zugriff: 19.06.2018).
(10) Vgl. Martina Löw, Renate Ruhne: Prostitution. Herstellungsweisen einer anderen Welt. Frankfurt am Main 2011, S. 71-81.
(11) Vgl. Martina Löw, Renate Ruhne: “Eine umfangreiche Konzeption, die Dirnen von den Straßen zu holen“. Zur Verhäuslichung der Prostitution in Frankfurt/Main. In: Sabine Granz, Martin Lücke (Hg.): Verhandlungen im Zwielicht. Momente der Prostitution in Geschichte und Gegenwart. Bielefeld 2006, S. 177-208., hier S. 177-178.
(12) Juni 2018.
(13) Interview mit Chris, 25.20.2016.
(14) Löw, Ruhne: “Eine umfangreiche Konzeption, die Dirnen von den Straßen zu holen“. S. 202.
(15) Vgl. Ebd.


Die Zeichnungen sind im Rahmen der Forschung zum Thema „Bilder im Kopf“, an der Ortweinschule – Meisterschule für Kunst und Gestaltung von Schüler*innen der Schwerpunkte Schmuck- und Metallgestaltung und Keramische Formgebung im Oktober 2017 entstanden.
Copyright verbleibt bei den Künstler*innen.


Sabrina Stranzl

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