ausgabe #82. interview. gerd juritsch
"der boden, wenn das ein knackiges material ist, dann ist das halt schon supersexy."
Skateboarding als öffentliche Raumaneignung?
An einem schwülen Samstagnachmittag um circa 13 Uhr treffe ich Simon und Stefan, die sich zum Skaten und Fotografieren verabredetet haben. Nachdem wir innerhalb von zwei Stunden drei verschiedene Skatespots abgeklappert und sinnbildlich den Film im Kasten haben, landen wir am Grazer Lendplatz. Während dort Aperolspritzer in feinem Zwirn konsumiert wird und die Leute sich zu lateinamerikanischer Musik von „Silvio Gabriel“ schwingen, werden die drei Stufen vor der Mariensäule von Skater*innen regelrecht belagert. Sie sitzen am Boden herum, trinken Dosenbier und bejubeln sich gegenseitig während sie sich mit ihrer Performance lautstark in Szene setzen. Skateboarding wird am Lendplatz allgemein toleriert. Naja, zwischendurch mahnt die Polizei wegen Lärmstörung, aber es geht meist ohne Geldstrafen ab.
Alle Fotos: Stefan Lind
Das ist nicht immer so, im Gegenteil. Denn das Skateboard gilt im österreichischen Recht noch immer als „fahrzeugähnliches Kinderspielzeug“ (1). Obwohl Skateboarding primär von Jugendlichen bis hin zu Erwachsenen praktiziert wird und das performative Treiben mittlerweile als eigene Disziplin in den Kanon der olympischen Spiele aufgenommen wurde, fällt es unter §88 Abs. 1 der StVO, die das Spielen auf der Straße jeder Art verbietet, darunter eben auch Skateboarding. Ebenso sind „Spiele auf Gehsteigen oder Gehwegen und deren Befahren mit fahrzeugähnlichen Kinderspielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln [...] verboten“ (2). Das heißt, Skateboarding ist eigentlich überall verboten, außer auf speziell dafür vorgesehenen Plätzen, von denen es in der Grazer Innenstadt mittlerweile nur mehr jenen im Augarten gibt.
Der soziokulturelle Raum wird durch Skateboarding auf eine besondere Art geformt. Denn für die performativen Akteur*innen verfügt der gebaute Raum lediglich über eine objekthafte Natur, die ausschließlich aufgrund ihrer Oberfläche und Form relevant ist.
Während wir in der Kulturanthropologie und auch in anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, dem gebauten Raum eingeschriebene Ideen, Erinnerungen, Ideologien, Normen, Regeln usw., eine besondere Bedeutung zukommen lassen, haben diese für Skater*innen keine unmittelbare Relevanz. (3) Für sie zählt lediglich die Form und das Material in Verbindung zum Board bzw. das Verhältnis zwischen Stadtraum und ihren bewegten Körpern.
Wenn der Lendplatz in der Mitte frei von Autos ist, bietet der Raum eine lange breite Fläche, die aufgrund der ungeschliffenen, einen Quadratmeter großen Granitplatten sehr beliebt bei Skateboardern ist. „Der Boden, wenn das ein knackiges Material ist, dann ist das halt schon supersexy,“ meint Anton, der bereit war, ein längeres Gespräch mit mir zu führen. Er skatet schon mehr als sein halbes Leben. Für ihn ist Skateboarding eine eigene Sprache, die ihm hilft sich auszudrücken. „Das ist schon Lebensstil, du kannst nicht einfach Halbtagsskater sein.“ Neben Fragen, was Skateboarder darstellen und darstellen wollen, interessierte mich vor allem, welches Verständnis er von Straße hat und wie er gebaute Formen wahrnimmt.
Was bedeutet Straße für dich? Zum Beispiel die drei Stufen vor der Mariensäule hier vor uns. Was unterscheidet dein Verständnis von jemandem anderen, der/die keinen Bezug zum Skaten hat?
Naja, ich sehe halt nur Spots zum Skaten und wenn alles zusammen passt, dann ist das geil. Ich find es geil, dass die Leute hier so... - also ich find das nicht geil, dass die Leute jetzt direkt am Spot sitzen, aber, dass sie das nie so sehen würden. Weil das Ganze dadurch einen bestimmten Charakter hat. Beim Tennisplatz sieht jeder einen Tennisplatz oder Fußballplatz, Basketballplatz usw. Und hier siehst du sowas, das sind halt Skater. Am Fußballplatz würde sich jedenfalls keiner vors Tor setzen. [Wir lachen beide und werfen einen Blick zu den Leuten, die auf den Stufen sitzen.] Ich weiß nicht, man kann die Leute rundherum auch nicht einklinken, weil die schauen halt und sehen einen 30-jährigen Mann mit Vollbart und denken sich, was geht’n ab? Es ist auch schwer nachzuvollziehen, wenn so jemand zum Beispiel Stufen runterspringt.
Wie wählst du deine Spots aus und was ist für dich entscheidend bei der Auswahl ?
Ja, so wie hier zum Beispiel. Der Boden und die Ästhetik vom Spot, die spricht dich irgendwie an. Oder oft wirst du von Kollegen oder Freunden darauf aufmerksam gemacht. Oder ich finde sie auf Bildern und Videos [...] Auf jeden Fall das Material! Der Boden, wenn das ein knackiges Material ist, dann ist das halt schon supersexy. Oder ein ‚rougher’ Boden, damit musst du dann halt klarkommen und Kopf abschalten oder irgendwie skatebar machen. Oder sich auch die Niederlage eingestehen. [Durch Antons angenehme Selbstironie muss ich auch lachen]
Bevorzugst du eher den urbanen Raum oder bist du mehr in Skateparks unterwegs?
Keine Ahnung, das ist immer tagesabhängig. Entweder du fährst zu einem Stufenset oder auf den Lendplatz cruisen. Um ein Feeling zu bekommen, kannst du dich hier chillig einfahren. Und hier ist´s perfekt, weil drum herum was los ist und Leute da sind. Du setzt dich hin, schaust den Leuten zu, rauchst eine, skatest weiter. Dann kannst ja sagen, bist motiviert oder nicht, schauen wir dort und da hin. In einer Stadt wie Graz weißt eh schon wie-wo-was geht. Und wenn du halt irgendwo anders bist, lässt dich überraschen.
Wie findest du Spots?
Meistens zufällig. Also, wenn ich mit dem Bus fahre, oder zur Arbeit. Oder zum Beispiel wenn du vom Fortgehen heimkommst und durch die Stadt gehst. Oder durch Freunde, die einfach aus einem anderen Stadtteil von Graz kommen. Und Google Maps gibt’s auch, also zum Plazas auschecken.
Könntest du da auch Streetspots auschecken?
Naja, in so einer Stadt wie Graz nicht, aber in Barcelona zum Beispiel gibt’s das. In Graz hast du die Map im Schädel. Und dann musst halt auschecken, weil dann geht’s meistens nur sonntags und feiertags. Oder schaust, wie die Umgebung ist. Ist da ein Geschäft oder ein Lokal, sind Security’s dort, dann musst halt klarkommen. Die Grundessenz für einen guten Spot ist, dass die Materialien und die Umgebung passen und wenn dann keiner was dagegen hat, dann hat das schon mal Potenzial, dass es cool sein kann.
Gerd Juritsch
(1) Transkript einer Strafverfügung: Herr [...] hat laut Anzeige des Stadtpolizeikommandos Graz am 14.03.2012 um 23:45 Uhr auf der öffentlichen Verkehrsfläche (Landesstraße) in Graz I., auf Höhe Glacisstraße Nr.27 (Gst.-Nr. 939, EZ 50000, KG 63101 Innere Stadt) die rechte Fahrbahn in Fahrtrichtung Norden mit einem fahrzeugähnlichen Kinderspielzeug (Skateboard) befahren, obwohl dies nicht gestattet ist.
(2) vgl. StVO 1960 – Straßenverkehrsordnung §88 Abs.1&2. Spielen auf Straßen.
(3) vgl. Borden, Ian (2003): Skateboarding, Space and the City. Architecture and the Body.