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ausgabe #32. online ausreisser. christoph aistleitner

Die Innenwelt, die Außenwelt

 

Der Mensch hat zwei Möglichkeiten, sich ins Innere zurückzuziehen – räumlich und geistig – und diese beiden Möglichkeiten sind eng miteinander verbunden. Wer dem Äußeren körperlich entsagt, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit früher oder später auch geistig tun, und vice versa. Und wer erst so richtig in sich gegangen ist, den lockt kein Hund mehr hervor.

Außerhalb unseres Körpers ist die Umwelt, und wenn wir den Mensch als soziales Wesen verstehen, das sich durch Interaktion mit anderen Menschen definiert, ist das Äußere jener Raum, in dem der Mensch in Kontakt zu anderen Menschen tritt oder treten muss. Wer aus seiner Wohnung nach draußen tritt, findet widrige Umstände: Lärm, Schmutz, schlechtgelaunte Zeitgenossen – was wäre verlockender, als gleich zuhaus zu bleiben?
Der Mensch tritt nur nach draußen, wenn er muss, wenn er also an irgendeinem Ort körperlich anwesend sein muss, um etwas durchzuführen, das sich nicht online erledigen lässt, von zuhause aus. Das Äußere ist in erster Linie Transitraum – man durcheilt es, um nach Hause zu kommen, oder zumindest in die zweitklassige Innerlichkeit eines Cafes oder Beisls. Da die Außenwelt vor allem als Transitraum genutzt wird, wird sie auch als solcher gestaltet, und da sie als solcher gestaltet wird, wird sie auch als solcher genutzt, allem Gerede von wegen „Aufenthaltsqualität“ zum Trotz.
Und jenen, die diesen Transitraum durchqueren müssen, wird mithilfe der Technik der Außenraum zum Innenraum: sei es in milder Form bei Fußgängern, die mithilfe des iPods die Außenwelt wenigstens nicht zu hören brauchen, oder bei den Fahrern jener trendigen Stadt-Geländewagen-Panzer, die die Außenwelt nicht zu hören und auch nicht zu fühlen, und auch nur kaum zu sehen brauchen. Und da man am Kühler eines SUV wie eine Fliege zerklatschen kann, ist die Außenwelt nicht nur unangenehm, sondern obendrein auch noch lebensgefährlich; wer sich selbst oder gar seine Kinder solchen Gefahren aussetzt, handelt grob fahrlässig, und sollte lieber fahren. Und so bleibt nur, zwischen den Innerlichkeiten von Wohnung, Auto, Büro und Fitnesszentrum zu pendeln, und durch getönte Scheiben auf jene wenigen Verrückten zu glotzen, die in lebensfeindlicher, verdreckter, und obendrein nicht-klimatisierter, vielleicht zu kalter oder vielleicht zu heißer Luft stehen und zu warten scheinen, ohne selbst zu wissen, worauf - - -

Wer schon wider Willen immer wieder körperlich nach draußen muss kann sich durch einen geistigen Rückzug helfen. Auch wenn die Sinnesorgane mit neuen Eindrücken belästigt werden, kann das Gehirn die Aufnahme verweigern, und stattdessen dumpf durch den Tag treiben. Wer sich die innere Ruhe bewahren will, muss rechtzeitig den nötigen Willen zur geistigen Abstumpfung aufbringen, um auf der Straße, in der Straßenbahn, im Supermarkt nicht durch die Verhältnisse und die Unglücke anderer irritiert zu werden. Und wenn es sich manchmal nicht vermeiden lässt, die Innerlichkeit von der eigenen Person auf eine größere Gruppe zu übertragen, wie es in Staatsgebilden nötig ist, dann wird auch dort ein Inneres konstruiert, in dem man sich einkuschelt, und aus dem heraus man dann, unter „mir san mir“-Rufen, mit dem Finger auf alle zeigt, die draußen und „anders“ sind.
In einem Land, das von einer Zeitung regiert wird, die das Prinzip der Innerlichkeit perfekt verinnerlicht hat, und die ihre Leser Tag für Tag versichert, im Inneren zu sein, und ihnen immer nur das vorsetzt, was sie an Meinungen und Vorurteilen bereits in sich hatten, darf man sich nicht wundern, dass ständig neue Mauern ums Innere gezogen werden, um ein Äußeres abzuwehren, von dem man nichts weiß und nichts wissen will.

Um versöhnlich zu enden: was soll man tun? Zunächst: draußen sein. Interagieren. Sich auseinandersetzen. In der Öffentlichkeit sein. Den öffentlichen Raum benutzen und besetzen. Außenräume davor bewahren, zu Innenräumen zu werden. Und jenen, die die Außenwelt nur von innen kennen, zeigen, wie sie ist: riesig groß, aufregend, spannend, extrem interessant. Und das Beste: man kann sie verändern.

Christoph Aistleitner

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