ausgabe #38. online ausreißer. aktionstext
Die ULF: Gegen die herrschende Ordnung…
Im Juni 2010 fanden PassantInnen zahlreiche Exemplare des folgenden Bekennerschreibens der ULF (Urban Liberation Front) in der Grazer Innenstadt:
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Wir, eine Zelle autonomer StadtbefreierInnen der U.L.F. – Urban Liberation Front - , werden heute am 26. Juni um 16 Uhr 30 Uhr am Hauptplatz vor der Weikhard-Uhr Symbole staatlicher Gewalt sprengen.
Wir setzen damit ein Zeichen aktiver Gewaltfreiheit gegenüber einer Obrigkeit, die sich über Grundrechte hinwegsetzt und Menschenleben zerstört. Wir setzen damit auch ein Zeichen gegenüber einer Mehrheit, die Beifall klatscht oder schweigt, weil es ja nur Menschen ohne EU-Pass trifft, oder Menschen, die sich für Antifaschismus, Antirassismus, Tierrechte oder eine emanzipatorische, befreite Gesellschaft einsetzen, oder Menschen, die einfach nicht das Privileg haben, mit ihrer Existenz der kapitalistischen Verwertungslogik zu entsprechen.
Nur wenn diese klatschende oder schweigende Mehrheit bis heute 16 Uhr 30 ihre permanente Nötigung gegenüber den erwähnten Gesellschaftsmitgliedern beendet und ihre unsolidarische Gewaltbereitschaft suspendiert, werden wir auf die Sprengung verzichten.
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Um 16 Uhr 30 stürmten mehrere Vermummte auf den Hauptplatz, um das angekündigte Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie verlasen davor diesen Text:
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Wir sind eine Zelle der ULF – Urban Liberation Front Graz-Innere Stadt. Nach der momentanen österreichischen Rechtssprechung und Gesetzeslage müssen wir uns als kriminelle Organisation bezeichnen. Denn wir sind ein Zusammenschluss mehrerer Leute, die
1) einen Einfluss auf Politik und Wirtschaft anstreben: Ja, wir wollen eine andere Gesellschaft, frei von Zwängen kapitalistischer Verwertung und staatlicher Bevormundung. Wir wollen ein Zusammenleben, in dem es egal ist, welchen Reisepass jemand besitzt. Genau ein Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung wird in Wiener Neustadt jenen dreizehn TierrechtsaktivistInnen vorgeworfen, die nun wegen gewaltfreier Kampagnenarbeit als kriminelle Organisation vor Gericht stehen.
2) lehnen wir es ab, überwacht und abgehört zu werden, und versuchen uns dagegen abzuschirmen. Manchen von uns ist sogar das Briefgeheimnis beim Email wichtig, weshalb sie auf herkömmliche Verschlüsselungsprogramme zurückgreifen. Auch das gilt in Wiener Neustadt als Indiz für eine kriminelle Organisation.
Und 3), wir können es nicht abstreiten, es geschehen überall auf der Welt, möglicherweise in der gesamten Galaxis, Sachbeschädigungen im Namen jener Ziele, die wir für erstrebenswert halten. Auch die dreizehn Angeklagten in Wiener Neustadt müssen sich in ihrem schon monatelangen Prozess Graffitis und ähnliche Aktionen unbekannter TäterInnen vorwerfen lassen, weil hinter diesen Taten dasselbe inhaltliche Anliegen stand wie es die Angeklagten mit ihren legalen Kampagnen verfolgten.
Wer sich also heute über das Frauenwahlrecht oder die allgemeine Krankenversicherung freut, sollte das nicht in der Öffentlichkeit tun: Denn dies ist das Ergebnis historischer sozialer Kämpfe, in denen nicht nur Demonstrationen durchgeführt und Petitionen eingereicht, sondern genauso Fensterscheiben eingeschlagen, Steine geworfen oder Sabotageakte verübt wurden.
Auch wir, die ULF, nehmen zur Kenntnis: Im Protest gegen Neofaschismus und Rassismus passiert die eine oder andere Sprayaktion oder so mancher überklebte Plakatständer. Und wir erheben zudem noch den Anspruch, uns darüber freuen zu dürfen, freuen darüber, dass rassistische Hetze im öffentlichen Raum auf Widerstand stößt.
Das heißt: Wir erfüllen alle Kriterien der österreichischen Justiz, uns als kriminelle Organisation zu bezeichnen. Wir sind somit nicht einfach Menschen, die ein besseres Leben möglichst für alle und jetzt gleich wollen. In den Augen des Staates sind wir hiermit ab sofort die U.L.F., die Urban Liberation Front.
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PS. Sämtliche Polizeistationen und Justizgebäude überstanden diesen Tag unbeschadet. Die AktivistInnen der ULF setzten ihre Ankündigung sehr wörtlich um und sprengten vor den Augen einer alarmierten Polizei mehrere einschlägige Plastiknachbildungen mit Wasser aus Gieskannen.