ausgabe #76. prosa. rainer willert
ein geldschein erzählt: der lange weg zu meinem gewissen
Auch Situationen, die dir nicht behagen, solltest du positiv sehen. Selbst in schalen Pfützen auf belagerten Theken, hingestreckt zwischen Aschenbechern, Ellenbogen und Gläsern, kann unsereiner nur profitieren. Mitzubekommen, wie mit der Anzahl der dick gezogenen Bierdeckelstriche der Schallpegel zwischen den Kumpanen steigen, während ihr Debattenniveau bis zur Handgreiflichkeit sinken kann, ist immer ein Lehrstück. Drum nutze den Augenblick. Schneller als du denkst kann dein Gastspiel vorüber sein. Dann schlägt die vom abwechselnden Gläserspülen und Zapfen faltige „Waschfrauenhand“ zu. Ab mit dir in die dunkle Kasse, aber selbst das ist kein Grund zum Verzweifeln. In der Regel geht´s da schnell wieder raus, hinein in neue Abenteuer, wozu ich durchaus auch ein Depot unter einer fleckigen Matratze zähle, wo du, wenn nicht gerade Flaute herrscht, hautnah erfährst, was man für Geld so alles kaufen kann.
Auf und ab geht es im Leben; wirklich schlimm wird es erst, wenn der Stillstand nicht nur mich oder dich, sondern uns alle erfasst, wenn unser liquides Zusammenspiel mit der Welt ins Stocken gerät. Anstatt Moneten gibt’s dann was auf die Nase. Nur Perverse können sich nach so etwas sehnen.
Perverse, sage ich und zähle dazu auch die Träumer unter uns, die meinen, wegen ihrer selbst begehrt zu werden. Nur weil er schön bunt ist, wird kein Schein in Zahlung genommen. Deine Anerkennung verleiht dir erst ein Pakt mit der Macht, oft symbolisiert durch ein Porträt mit dem sie dich vermeintlich schmücken. In Wahrheit ist das Abbild weit mehr als Dekoration. Die Person dahinter steht für Kontinuität, und nur dort, wo sie so jemanden nicht haben, wird es bunt, pressen sie dir Bauwerke, Pflanzen oder allerlei Getier auf die Backe. Schon bei unseren Ahnen, den Münzen, war das so, dass die schlausten der Herrscher damit begannen, ihr Abbild auf Geldstücke prägen zu lassen. Sie setzten darauf, dass ihre Söldner auf den Eroberungszügen letztlich aus Eigennutz kämpften, damit ihr Sold unterwegs für mehr als nur zum Würfelspiel taugte. Erst wenn die Krieger in der Ferne ihrem Herrscher den Sieg verschafften, hatte auch sein Wertesystem gewonnen. Die Münzen dienten dann als Vehikel, auf denen der Machtanspruch des abgebildeten Siegers in die entferntesten Winkel rollte.
Zurück zu mir und meiner letzten, langen Gefangenschaft. Was war passiert? Jemand hat mich versteckt – und vergessen, in einem ebenso vergessenen Haufen Papier, in einem Manuskript, das sich, wie ich kurz vor meinem Verschwinden auf dem Deckblatt lese, irgendwie mit dem Geld befasst. Drinnen eingeklemmt, sehe ich zunächst nur schwarz; mit der Zeit gewöhne ich mich an die Dunkelheit … „Das Geld ist promiskuitiv – steht mir direkt gegenüber geschrieben – treibt es mit jedem, ist allzeit bereit, und dazu egoman, prinzipiell amoralisch, charakterlos.“
Die kleine Sentenz, Zeit habe ich in meinem Verließ ja genug, bringt mich ins Grübeln: Promiskuität, denke ich, kein nettes Wort, trifft aber trotzdem insofern den Kern, als ich beim Zirkulieren tatsächlich keine Skrupel habe. Zurecht. Wo kämen wir da hin, wenn ich jedes Mal erst prüfen sollte, ob dieser oder jener mich überhaupt besitzen darf und ob das, was er mit mir anstellt, wohl ein gutes Ende findet. Nicht mit mir! Ich stehe auf Neutralität. Den Menschen dienen, funktionieren ohne Ansehen der Person, blind wie Justitia, das sind meine ehernen Mottos. Jawohl. Wo auch immer sie mich hinstecken. Ich tue nur meine Pflicht. Im Großen ebenso wie zum Beispiel auch als kleines Bündel, das zusammengelegt in irgendeiner Hosentasche steckt. Warm gehalten von feuchter Hand, tätscheln die Finger die Scheine, drücken sie fest in den Schritt, reiben sie durch das Tuch hindurch am Geschlecht, ziehen einen von ihnen, mich, heraus, führen mich zur Nase, die erwartungsvoll schnuppert ob ich auch schön nach Vermehrung rieche. Rieche ich? Was kümmert’s mich. Gleich reibe ich mich beim nächsten.
An solche Sachen denke ich in meinem Gefängnis, in einem, im Vergleich zu mir, nur minderwertigen Haufen Papier, der trotzdem Macht über mich hat. Was fällt dir ein mich aufzuhalten, höre ich mich ärgerlich zischen und voller Wut schiebe ich nach: Geschieht dir Recht, dass sie dich unveröffentlicht herumliegen lassen. In Wahrheit natürlich, in der Hoffnung, bald wieder frei zu kommen, wünsche ich das glatte Gegenteil. Nichts weniger als ein Wunder sehne ich herbei, einen Wettlauf der Verlage, hin zu meinem Autor und seinem verschmähten Werk …
Die Wende in diesem absurden Stück sieht zunächst so aus, dass meine Gefangenschaft stupide weitergeht. Eingeklemmt zwischen zwei Seiten liege ich da, bis – ich weiß, es klingt konstruiert, wie ein Märchen – bis ein stinknormales Krabbelkind für meine Befreiung sorgt. Anfangs von mir unbemerkt, denn ich bin gerade wieder am Grübeln, überhöre ich das näher kommende Rascheln. Und als mich die kleine Hand ergreift, geht alles ganz schnell: Zack, schon lande in einem Mund mit vier spitzigen Zähnchen. Heraus komme ich partiell lädiert und ziemlich durchweicht. Gleich danach heißt es zweihändige, ruckhaft durchgeführte Zerreißproben über mich ergehen lassen, die, wie sich herausstellt, keiner destruktiven Absicht folgen. Vielmehr werde ich dieserart für ein Spiel präpariert, nämlich glattgezogen. Das Prinzip des bald beginnenden Spiels, das das Kind unermüdlich und immer neu arrangiert, ist simpel. Groß sucht klein, könnte man es nennen. Groß ist der Papierhaufen, klein bin ich.
Peu à peu zieht, was mich betrifft, mehr Raffinesse in das Regelwerk ein: So bald ich versteckt bin, soll ich mich still verhalten, um dem Gegner, wie drollig, nicht zu verraten, wo ich gerade stecke. Mein süßer Scheißer – so habe ich meinen eigenwilligen Spielführer bald getauft – hat wohl geahnt, dass ich lieber jetzt als gleich rausmachen würde, anstatt unnütz da drinnen zu vergammeln. Unterschiedlich lange bleibe ich jeweils verborgen, und erst wenn mein süßer Scheißer so will, kommt es zu meiner „überraschenden“ Enttarnung, begleitet vom patschenden Applaus der findigen Händchen, die mich alsbald erneut verstecken, mich nach einem Weilchen – oh Wunder – finden, und die mir, so hoffe ich, irgendwann, irgendwie ein Fenster in die Freiheit aufstoßen werden.
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Anstatt der erhofften Suchgeräusche dringt rasch herbei stürmendes Getrampel an mein Versteck. Zugriff, man kennt das, zwei erziehungsberechtigte Erwachsenenhände haben unserem Spiel ein abruptes Ende gesetzt. In der üblichen Brutalität wird das spielende Bündel aus seiner kleinen Welt gerissen und, wie ich höre, fortgetragen. Frustriert erschrockenes Kindsgebrüll übertönt die abgehenden, von Schimpfen begleiteten Schritte, nicht aber das Klingeln eines Handys… Hallo? Ja natürlich, jawohl… Und dann geht alles ganz schnell. Seinen offenbar wiedererlangten Bodenkontakt nutzt mein süßer Scheißer ganz in meinem Sinne: Kaum spüre ich den frischen Luftzug durch meinen Haufen wehen, da haben mich die bekannten Fingerchen auch schon geschnappt. Der Rotz aus dem Näschen meines Befreiers ist mir wie güldener Honig, macht mich klebrig und zugleich beschwingt. Wir wälzen uns um die Wette, eine Bodenvase kippt, reiht sich glucksend ein in den Reigen … und wie es gleich weitergeht, kann man sich denken … neuerlich heranstürmendes Erziehungsgeschrei wird unterbrochen von einem erstaunten, mich betreffenden, freudigen: Oh … Und alsbald, als ob nichts geschehen wäre, hat man mich erneut in Umlauf gebracht.
Also zirkuliere ich wieder, aber anstatt ungestüm wie der junge Cassius Clay in die Vollen zu gehen, hänge ich matt in den Seilen. Und wie ich nun warte, dass der Anfall vergeht, wird alles noch schlimmer, bis, ja bis mir der kühne Gedanke kommt: Der Papierberg war mein weggesperrtes Gewissen. Freudig spüre ich mich nicken und feierlich, wie mit erhobener Schwurhand, höre ich mich geloben: Promiskuität und einfach nur funktionieren – das war einmal.
Rainer Willert