ausgabe #29. interview langversion. ulrike freitag
Ein Löwe muss töten um sich zu ernähren
Ulf Naumann ist Vorsitzender des Vereins tierbefreier e.V. und engagiert sich bereits seit 15 Jahren im Aktiv Tierschutz. Mit Ulrike Freitag hat er ein Email-Interview über Gerechtigkeit, Leid und Doppelmoral geführt.
ausreißer: Was ist das/sind die zentralen Ziele der Tierbefreiungsbewegung und des tierbefreier e.V.?
naumann: Es geht darum, dass die Bedürfnisse von Tieren beim eigenen Handeln entsprechend berücksichtigt werden müssten, was zur Folge hätte, dass Tiere als individuelle Subjekte gesehen werden. Das bedeutet, dass Tiere nicht zur Ausbeutung freigegeben sind und Menschen ethisch gesehen nicht das Recht haben, sich über die Bedürfnisse von nichtmenschlichen Tieren hinwegzusetzen. Tiere wollen leben, frei von Angst und Schmerz.
Genau dies wird aber von einem großen Teil der Gesellschaft absichtlich massiv missachtet.
ausreißer: Gab es für Sie ein auslösendes Moment, sich aktiv im Tierschutz zu engagieren?
naumann: Ja. Als Biologiestudent vor 15 Jahren sollte ich im Rahmen von Pflichtpraktika Tierversuche und Sektionen an extra getöteten Tieren vornehmen. Die Art und Weise, wie hier mit Tieren umgesprungen wurde, hat dazu geführt, dass ich mich mehr auf diesem Gebiet engagiert habe.
ausreißer: Was ist Ihre Funktion innerhalb des Vereins?
naumann: Ich bin Vorsitzender, kümmere mich um Medienarbeit und in der Vergangenheit auch um Aktionsplanungen. Es handelt sich um einen in Deutschland ansässigen Verein mit rund 700 Mitgliedern.
ausreißer: Wie zeitintensiv ist es, sich in diesem Bereich zu engagieren?
ausreißer: Brotjob vs. Engagement?
naumann: Wie gesagt, ist es nicht leicht, beides zu vereinen. In meiner Ausbildung hatte ich erheblich mehr Zeit, mich zu engagieren, als es jetzt mit festem Arbeitsplatz ist. Wenn man sein Engagement zum Arbeitsplatz machen möchte, wird es heikel. Denn dann ist man meist sowohl auf schnelle Erfolge angewiesen, als auch darauf, einen Standpunkt zu vertreten, den möglichst viele Menschen vertreten. Und weder das eine noch das andere ist meist möglich, wie wir im Laufe des Interviews noch sehen werden.
ausreißer: Wie würden Sie das Thema Gerechtigkeit ethisch in die Tierfrage einbetten?
naumann: Bei der moralischen Frage, wie Menschen sich gegenüber nichtmenschlichen Tieren verhalten müssten, geht es vor allem um den Grundsatz Gleiches oder Ähnliches auch gleich oder ähnlich zu behandeln. Biologisch gesehen ist der Mensch ebenfalls ein Tier. Er hat zwar eine intellektuelle Fähigkeit, die nichtmenschliche Tiere nicht besitzen, aber diese Fähigkeit ist irrelevant bei der Frage, wie Interessen und Empfindungen berücksichtigt werden müss(t)en. Schmerzen sind Schmerzen, egal, wer sie verspürt. Intelligenz ist kein Kriterium dafür, Schmerzen (oder Angst, Lebenswillen etc.) die verspürt werden, bei dem einen (Mensch) anders zu berücksichtigen, als bei dem anderen (Tier). Tiere leiden, verspüren Angst und Schmerz, wollen leben. Dass der Mensch diese Empfindungen und Interessen bei Tieren nicht entsprechend berücksichtigt (anders als beim Menschen, obwohl die Empfindungen und Interessen gleich oder ähnlich wie beim Menschen sind), ist keine ethisch gerechte Grundlage.
ausreißer: Was sagen Sie zum oft vorgebrachten Argument, dass Tiere sich selbst nicht wehren können und man deshalb für sie Partei ergreifen muss?
naumann: Tiere sind in unserer Gesellschaft Opfer vorsätzlicher und systematischer Gewalt. Dagegen können sie sich tatsächlich nicht wehren. Diesbezüglich gilt es, Partei für sie zu ergreifen.
ausreißer: Viele Menschen können nicht nachvollziehbar, mit welchen Mitteln für Ziele gekämpft wird (Tierbefreiung, aggressiv wirkendes Vorgehen bei Anti-Pelz Veranstaltungen etc.). Ist hier das Risiko, dass (große) Teile der Bevölkerung sich aus Unverständnis gegen einen Wenden, anstatt bewusster über Umgang mit Tieren nachzudenken und dann auch danach zu handeln, groß?
naumann: Bei der Tierrechtsbewegung handelt es sich nicht um den klassischen karitativen Tierschutz. Es wird nicht mehr appelliert, man möge doch bitte etwas weniger grausam mit Tieren umgehen, sondern es gibt klare Forderungen, dass vorsätzliche Gewalt gegenüber Tieren (=Schwächeren), nicht akzeptabel ist und dies eine Konsequenz im Handeln haben muss. Es wird gegen ein extremes Ausmaß an ethischem Unrecht angegangen, entsprechend wird auch häufig entschieden aufgetreten. Es wäre nicht angemessen angesichts massiv ausgeübter Gewalt und verursachter Leiden lediglich zaghaft zu appellieren. Dies stößt zwar bei einem (ggf. großen) Teil der Bevölkerung nicht auf Wohlwollen, aber darum geht es auch nicht. Eine Demonstration ist keine Diskussionsveranstaltung, es ist ein Zeichen, dass es einen Widerstand gegen etwas gibt. Ein direkter Erfolg ist meist gar nicht messbar, denn es geht nicht darum, möglichst zügig ein paar kleine tierschützerische Reformen durchzubekommen. Bei Widerstandsbewegungen in der Vergangenheit waren es immer die radikaleren, konsequenteren Fraktionen, die den Maßstab gesetzt haben. Das Gros an Gemäßigten zog im Laufe der Zeit immer nach und die Masse der Bevölkerung irgendwann auch immer mehr. Viele der konsequent Engagierten dieser Bewegungen haben einen tatsächlichen, maßgeblichen Wandel selber gar nicht mehr erlebt.
Wenn man sich im Übrigen anschaut, welche Fortschritte der Veganismus in der Gesellschaft in den letzten 30 Jahren gemacht hat, kann man positiv überrascht sein. In der Zeit, in der die Forderungen radikaler und das Auftreten entschiedener wurde, hat sich bereits jetzt einiges getan, was sicherlich nicht dem klassischen Tierschutz, der ja häufig noch nicht einmal den Vegetarismus fordert, zu verdanken ist.
ausreißer: Wenn man über diverse Aktionen (wie auch oben angeführt) liest, fragt man sich, wie diese Mittel – die man ja durchaus nicht jedem zum Erreichen seiner beliebigen selbst gesetzten Ziele zugestehen würde – gerechtfertigt werden?
naumann: Man muss sich anschauen gegen was angegangen wird, wo die tatsächliche Gewalt, sofern man bei sogenannten Direkten Aktionen von Gewalt sprechen möchte, liegt. Auf der einen Seite wird mit grausamer Gewalt unvorstellbares Leid verursacht: Mehr als eine Milliarde Tiere werden jedes Jahr allein in deutschen (für Österreich liegen mir momentan auch für die folgenden Beispiele keine Zahlen vor) Schlachthöfen umgebracht, nachdem sie ihr Leben lang qualvoll "gehalten" wurden (eine Zahl, die das menschliche Gehirn in seiner Dimension gar nicht erfassen kann), mehr als eine Million Tiere werden in Tierversuchen getötet oder zu Tode gequält, hunderttausende Tiere werden auf der Jagd an-, er- und zerschossen. Die Liste ließe sich mit den Beispielen Zirkus, Pelz, Zoo usw. fortführen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die direkt dagegen angehen, indem sie beispielsweise das zerstören, was sonst nichts als Qual und Leid verursacht, z.B. Schlachthofgeräte, Tierversuchsinstrumentarium etc. Die tatsächliche Gewalt, gegen die angegangen wird, ist so immens, dass Direkte Aktionen moralisch gesehen absolut verhältnismäßig sind. Im zwischenmenschlichen Bereich wird Gewalt nicht nur als legitim, sondern sogar als notwendig angesehen, wenn man beispielsweise den Angriff eines anderen, z.B. auf ein Kind, nicht anders abwehren kann. Die Anwendung von Gewalt, um einen Angriff auf jemand anderen zu stoppen, ist dabei gesetzlich gedeckt, das nennt sich dann rechtfertigender Notstand. Da Tiere Empfänger von Gewalt in einem unglaublichen Ausmaß sind, und Leiden und Schmerzen ebenso oder ähnlich wie der Mensch verspüren (und genauso den absoluten "Willen" zu leben haben), sind Direkte Aktionen legitim. Dabei ist es unerheblich, ob nun Tiere befreit werden, Leiden verursachende Gegenstände zerstört werden, oder aber auch wirtschaftliche Sabotage durchgeführt wird, bei dem Unternehmen getroffen werden, die ihr Geld durch Gewalt auf dem Rücken von gequälten Tieren "erwirtschaften".
ausreißer: Wie Sie vermutlich wissen, wurden österreichische Tierschützer unter einem Paragraphen für organisierter Kriminalität (§28 StGB) angeklagt, wie schätzen Sie die rechtlichen Risiken für aktive Tierschützer ein? Gibt es hier einen Graubereich, innerhalb dessen agiert werden kann? Bzw. was sagen Sie zum Fundamentalismus-Vorwurf gegen als militant eingestuften Tierschützer? Wird dieser Eindruck auch durch jene spezielle Ästhetik, wie sie auf diversen Homepages (z.B. ALF) verwendet wird – und die sicher nicht zufällig an jene der RAF erinnert –verstärkt?
naumann: Beim Fundamentalismus zählen keine rationalen oder ethischen Argumente. Hier wird für eine Position häufig fanatisch oder blind gekämpft, ohne diese auf Logik zu überprüfen. Insofern trifft dieser Vorwurf nicht zu. Der Begriff „radikal“ bedeutet hingegen ganz etwas anderes, nämlich konsequent zu sein. Diese Bezeichnung trifft also zu, hat aber in dem Zusammenhang keine negative Bedeutung. Die ALF und die RAF haben nichts gemeinsam, es gibt auch keine ähnelnde Ästhetik. Zunächst muss festgehalten werden, dass sich jede autonom agierende Gruppe das Kürzel ALF geben kann, wenn sie sich an Richtlinien halten, die irgendwann in den 70ern entstanden sind. Dazu zählt unter anderem das Ergreifen aller notwendigen Vorsichtsmaßnahmen, damit weder Mensch noch Tier während der Aktionen Schaden nehmen.
Das Kürzel wird weltweit verwendet, kann aber höchstens als Sammelbezeichnung oder Philosophie für bestimmte Direkte Aktionen gesehen werden, nicht als Name einer hierarchisch strukturierten Organisation. Bisweilen wird als Symbol für eine radikale Tierrechtsforderung ein schwarzer Stern verwendet, dann häufig mit Faust und Pfote versehen. Ein fünfzackiger Stern wird heutzutage in verschiedenen Bewegungen als Symbol für Widerstand gegen Unterdrückung und Ausbeutung angesehen. Möglicherweise meinen Sie dies mit spezieller Ästhetik.
Das §278 Verfahren in Österreich ist ein Gesinnungsverfahren. Die Polizei hat sich einfach rund 30 Tierrechtler herausgesucht, die sie als radikal einstuft. Diese hat sie nach dem Motto „irgendeinen Dreck werden die schon am Stecken haben“ lange überwacht, in deren Wohnungen herumgewühlt, persönliche Dinge beschlagnahmt usw. Da sie trotzdem nichts Handfestes haben, wurde dann vor allem danach geschaut, wer von der ethischen Einstellung her Direkte Aktionen für legitim hält. Dies ist weder ein Verbrechen, noch ist es überhaupt etwas strafrechtlich Relevantes. Es gibt nicht wenige Menschen, die Direkte Tierrechtsaktionen gutheißen, die aber selber keine durchführen. Eine Meinung kann und darf jedoch nicht kriminalisiert werden. Aber selbst diese Meinung teilen nicht alle Beschuldigten. Außerdem wurde auch danach geschaut, wer sich an Aktionen des zivilen Ungehorsams beteiligt, beispielsweise an Ankettungen bei Pelzgeschäften oder Jagdstörungen. Dies sind einfache Regelbrüche, die Tierrechtler öffentlich durchführen. Es sind Aktionsformen, die viele NGOs anwenden und die kaum ausschlaggebend für den Tatvorwurf einer kriminellen Organisation sein dürfen.
Trotz allem hat die SOKO schließlich in den Abschlussberichten, die derzeit beim Justizministerium liegen, 17 dieser Tierrechtler der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation bezichtigt. Darunter bin auch ich und unser ehemaliger zweiter Vorsitzender, wir haben derzeit beide unseren Wohnsitz in Österreich. Neben dem Fehlen irgendwelcher konkreten Tatzuordnungen ist allein der Begriff der kriminellen Organisation völlig unangebracht, denn es gibt überhaupt gar keine kriminelle Organisation. Autonome Gruppen und Grüppchen arbeiten alle selbständig, dies wird aus Bekennerschreiben und dem Selbstverständnis dieser Gruppen immer wieder deutlich. Es gibt keine hierarchische Steuerung und Struktur. Die Tatsache, dass sich der Verein die tierbefreier e.V. darum bemüht, dass die ethischen Hintergründe zu Direkten Tierrechtsaktionen in der Öffentlichkeit diskutiert werden und beispielsweise Presseerklärungen herausgibt, wenn ein anonymes Bekennerschreiben zu einer größeren Aktion eingegangen ist, sowie in der Vergangenheit diese Schreiben veröffentlicht hat, solange kein Aufruf zu Straftaten darin enthalten war, hat dazu geführt, dass der Vorstand des Vereins ebenfalls der herbeikonstruierten kriminellen Organisation zugeordnet wird.
Welchen Repressionsrisiken legal arbeitende Gruppen und Vereine, die eine mehr oder weniger radikale Position vertreten, in Zukunft in Österreich ausgesetzt sein werden, wird sich erst nach Abschluss des Verfahrens zeigen. Die Tatsache, dass 10 der inzwischen 17 Beschuldigten nach der Hausdurchsuchungswelle am 21.05.08 in mehr als 20 Wohnungen mehr als drei Monate in Untersuchungshaft gefangen gehalten wurden, ist allerdings bereits jetzt sehr besorgniserregend.
ausreißer: Immer wieder, wenn in meinem Bekanntenkreis die Diskussion auf Tierschutz bzw. auch Veganismus kommt, erzählt irgendjemand vom „Vergleich von Hühnerfarmen und KZs“, bzw. vom „Genozid an männlich Kücken“, wie stehen Sie zur Verwendung solcher, doch sehr starker und eindeutig konnotierter Metaphern?
naumann: Ich halte nicht viel von der Instrumentalisierung historischer Gräueltaten und die Verwendung solcher Begriffe ist in der Tierrechtsszene höchst umstritten. Allerdings werden die Begriffe ja nicht benutzt, um das, was historisch geschehen ist, zu verharmlosen, sondern um den Menschen zu veranschaulichen, welches Ausmaß die Gewalt, die Tieren angetan wird, hat.
ausreißer: Wie schätzen Sie das Verhalten der Menschen zu lebenden Tieren/Haustieren und der im Supermarkt erhältlichen Fleischware ein?
Das Verhalten vieler Menschen ist von einer Doppelmoral geprägt. Bei dieser speziesistischen Sichtweise geht es nicht um die Bedürfnisse oder Interessen der Tiere. Tiere werden vielmehr nach eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen kategorisiert, beispielsweise in sogenannte Haustiere, die es zu schützen gilt und „Nutztiere“, die man essen, tragen und sonst wie ausbeuten darf. Um die Tiere selber geht es gar nicht.
ausreißer: Im Anschluss daran, kann man auch Fleisch essen und aktiver Tierschützer sein oder schließt sich das gegenseitig aus?
naumann: Nein, man kann nicht vorgeben, sich für Tiere bzw. gegen deren Ausbeutung einzusetzen und gleichzeitig deren Tötung (inklusive der Quälerei durch die vorherige „Haltung“) in Auftrag geben. Allerdings bezeichnen sich viele Menschen als Tierschützer, obwohl sie ihren „Schutz“ nur auf wenige Arten beschränken. Es macht daher mehr Sinn von Tierrechtlern zu sprechen, wenn es um Menschen geht, die sich gegen die Ausbeutung von nichtmenschlichen Tieren einsetzen.
ausreißer: Schlagwort Tierversuche. Kaum jemand bleibt unberührt, wenn Berichte über gemarterte Labortiere im TV gesendet werden. Doch welche gerechteren Alternativen zu Medikamentenversuchen an Tieren sehen Sie?
naumann: Solange Tiere als Ressource und Wegwerfmessinstrumente angesehen werden, so lange werden auch Alternativen zu Tierversuchen nur ein Schattendasein führen. Es wäre naiv zu glauben, dass die medizinische Forschung ohne Tierversuche am Ende wäre. Es ist immer wieder erstaunlich, welche wissenschaftlichen Methoden entwickelt werden, wenn die Notwendigkeit dessen gesehen wird. Man muss nur wollen, das hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt. Wäre es einfach nicht akzeptabel oder möglich, Tiere für Versuche zu verwenden, gäbe es mit Sicherheit bereits hervorragende andere Möglichkeiten. Aus meiner Zeit bei SATIS (Studentische Arbeitsgruppen gegen Tiermissbrauch im Studium) fällt mir dazu folgende Geschichte ein, bei der es zwar nur um die Ausbildung geht, aber das Prinzip wird verdeutlicht: Es gab einmal bestimmte Versuche an Fröschen in der Ausbildung von Biologiestundenten. Der Versuch könne auf jeden Fall nicht ersetzt werden, er sei zum Erreichen des Ausbildungsziels unbedingt notwendig, hieß es seitens der Professorenschaft. Als der Handel mit diesen Fröschen gesetzlich verboten wurde (m.W. aus Artenschutzgründen), war es auf einmal doch möglich, auf den Versuch zu verzichten, statt dessen wurden Alternativen zum Erreichen des Lehrziels eingesetzt.
ausreißer: Und wie sieht es mit der Einnahme von solchen (teilweise auch lebensnotwendigen) Medikamenten aus bzw. von jenen die auf Milchpulverbasis verabreicht werden, bzw. aus tierischen Stoffen hergestellt werden? Ist es hier im Extremfall schwierig Wertvorstellung vor dem – privaten, emotionalen Wunsch – das Überleben Nahestehender zu ermöglichen abtrennen?
naumann: Es werden zwar viele Tierversuche gemacht, man darf aber nicht glauben, dass es Medikamente wegen der Tierversuche gibt. Bei manchen kann man froh sein, dass es sie TROTZ Tierversuchen gibt, denn Medikamente haben häufig bei verschiedenen Tierarten unterschiedliche Wirkungen. Hätte man Penicillin als es vor knapp hundert Jahren entdeckt wurde, anhand der heute üblichen Tierversuche getestet, wäre es nicht zugelassen worden. Medikamente sind oft wichtig für Menschen, den Betroffenen bleibt häufig nichts anderes übrig, als sich dafür zu engagieren, dass Tierversuche nicht vorgeschaltet werden.
Auch Hilfsstoffe in Medikamenten wie Milchbestandteile (Laktose), Gelatine etc. sind in der Regel völlig überflüssig, mindestens jedoch ersetzbar. Es ist im Grunde genommen traurig, dass einem überall versteckt Produkte untergejubelt werden, die auf Gewalt basieren, grade wenn jemand z.B. auf ein bestimmtes Medikamente angewiesen ist, das aber z.B. nur in Gelatinekapseln zu bekommen ist, anstatt z.B. in pflanzlichen Zellulosekapseln. Derjenige, der auf das Medikament angewiesen ist, hat in der Regel keine Wahl. Er profitiert aber nicht von der Gewalt, die gegen Tiere ausgeübt wurde, da darauf genauso gut verzichtet werden könnte und müsste. Bei normalen Konsumgütern, z.B. Kosmetika, Lederschuhe etc., ist es etwas anderes, da kann man entweder auf tierversuchs-/lederfreie Produkte zurückgreifen oder auf bestimmte Produkte eben einfach verzichten. Da immer mehr Menschen nicht bereit sind, Tierquälerei für ihren Konsum zu akzeptieren, ist das Angebot an veganen Produkten in den vergangenen 20 – 30 Jahren enorm gestiegen.
ausreißer: Sehen Sie einen Unterschied im Umgang von Tieren, die mehr oder weniger als höher entwickelt (bzw. dem Menschen und dessen kognitiven Fähigkeiten ähnlicher) sind als gerechtfertigt an?
naumann: Die Frage ist, ob ein Wesen leidensfähig ist. Die kognitive Fähigkeit spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.
ausreißer: Erhebt die Fähigkeit zur Selbstreflexion, zur Erschaffung von Kultur etc. den Menschen über das Tier? Bzw. wie können Menschen und Tiere (polemisch: auch im Hinblick auf das Fressen und Gefressen werden) gleichberechtigt sein?
naumann: Es kommt darauf an, was verglichen wird und was ethisch bezüglich der eigentlichen Frage relevant ist. Ein nichtmenschliches Tier braucht weder Wahlrecht noch ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Geht es um das Empfinden von Leiden und Schmerzen oder um den Willen zu leben, dann ist jedoch weder Intelligenz noch Kultur relevant. Würde man Intelligenz als ein Kriterium ansehen, dann hätte ein intelligenter Mensch mehr Recht auf körperliche Unversehrtheit als ein wenig intelligenter Mensch.
Ein Löwe muss töten um sich zu ernähren. Der Mensch jedoch nicht. Er kann erkennen, welche Konsequenz sein Handeln hat und weiß, ob es Quälerei und Töten zur Folge hat oder eben nicht. Da er problemlos ohne dies leben (Stichwort „Veganismus“) kann, bleiben beim Thema Ernährung letztlich nur kulinarische Vorlieben als Argument. Moralisch gesehen hat dieses Argument aber kein Gewicht, um zum Schwerpunktthema dieser Zeitung „Gerechtigkeit“ zurückzukommen. Im Übrigen ist es viel leichter vegan zu leben, als man es sich evtl. vorstellt.
ausreißer: Haben Sie noch ein Schlussstatement?
naumann: Wer sich generell mehr mit Tierrechtsthemen auseinandersetzen möchte, findet unter www.die-tierbefreier.de viele weiterführende Informationen.