ausgabe #51. bericht, langversion. christof lammer
FoodCoops
Schritte auf dem Weg zum guten Leben für alle?
Also Kaviar muss es für mich persönlich ja nicht sein. Aber die Frage, wie wir Möglichkeiten schaffen können, damit alle die wollen, Kaviar bekommen können, finde ich sehr spannend. In Österreich sind in den letzten Jahren einige FoodCoops entstanden und immer mehr Menschen wollen mitmachen oder selbst welche gründen. Können solche Projekte solidarischer Ökonomie Schritte auf dem Weg zu einem guten Leben für alle sein? Welche Möglichkeiten können wir damit eröffnen, welche Begrenzungen nicht überwinden?
Peer-Ökonomie in den FoodCoops
In den FoodCoops schließen wir KonsumentInnen uns zusammen, um gemeinsam Lebensmittel zu beziehen. Die Motive dafür sind vielfältig: das Bedürfnis nach gesunden, biologischen, qualitativ hochwertigen Lebensmitteln, die Sorge um unseren ökologischen Fußabdruck oder um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ProduzentInnen, die Hoffnung, dass die FoodCoops Keimformen für eine bessere Gesellschaft sind, in der das gute Leben für alle möglich ist.
In unseren FoodCoops treffen die Entscheidungen diejenigen, die von den Auswirkungen betroffen sind. Was alle betrifft, entscheiden wir im regelmäßig stattfindenden Plenum im Konsens, beispielsweise von welchen ProduzentInnen wir Produkte beziehen wollen. Die anfallenden Tätigkeiten teilen wir untereinander auf, beispielsweise das Erstellen und Beenden der Bestellungen, das Überprüfen der Lieferung, den Ladendienst, die Abrechnung, die Informationsbeschaffung oder die Gestaltung und Wartung der Homepage. Es gibt weder eine Trennung in Chef und Angestellte noch in Angestellte und KundInnen. Es wird auch niemand für bestimmte Tätigkeiten eingeteilt. Vielmehr werden über unterschiedliche Kanäle Hinweise hinterlassen, welche Tätigkeiten zu erledigen sind. Das passiert im Plenum, auf unserer internen Online-Kommunikationsplattform, auf einer Pinnwand in unserem Lokal und über persönliche Interaktion. Die Mitglieder entscheiden selbst, in welchem Ausmaß und in welchem Bereich sie sich einbringen wollen. Es wird also im Sinne der Peer-Ökonomie ohne direkte Gegenleistungen beigetragen und nicht getauscht, weder marktförmig noch hierarchisch oder demokratisch geplant. Das ist möglich, weil wir unser Lokal und die Ausstattung intern wie Commons verwenden. Das heißt, alle können bei uns mitmachen und die vorhandenen Dinge nutzen, solange sie sich an die gemeinsam festgelegten Regeln halten. Dabei kann aber niemand jemand anderem etwas befehlen.
Commons für solidarische Ökonomie aneignen
Nach außen sind wir mehrfach in kapitalistische Märkte eingebunden, direkt in den Immobilienmarkt, den Markt für biologische Lebensmittel und in den Arbeitsmarkt. Obwohl wir unser Lokal intern wie ein Gemeingut nutzen, mieten wir das Lokal am Immobilienmarkt. Über ein Jahr lang suchten wir nach einem für die Lagerung von Lebensmittel geeigneten Lokal, das einigermaßen erschwinglich ist. Mittlerweile ist unsere FoodCoop gewachsen und gut ausgelastet, so dass die monatlichen Fixkosten durch die Mitgliedsbeiträge, deren Höhe individuell wählbar ist, gedeckt werden können. Durch einen befristeten Mietvertrag steht unsere Selbstorganisation jedoch weiterhin auf wackeligen Beinen. Darum gibt es Überlegungen, für unsere FoodCoop ein Geschäftslokal zu kaufen, um es im Rahmen eines noch zu gründenden Netzwerks als Gemeinschaftseigentum langfristig dem Markt zu entziehen. Der Freikauf ist eine marktkonforme Aneignung der Produktionsmittel, die im Einzelfall klappen kann. Eine FoodCoop hat viele Mitglieder und ein Geschäftslokal ist keine große Immobilie. Angesichts der allgemeinen Entwicklung, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, scheint es jedoch unmöglich, dass wir uns alle Produktionsmittel auf diese Weise als Commons aneignen können. Kleine Projekte solidarischer Ökonomie, die sich Commons marktkonform aneignen, machen sichtbar, dass selbstorganisierte Produktion und Verteilung funktionieren und den Beteiligten gut tun. Wir brauchen eine starke Bewegung, die Druck auf Regierungen auf unterschiedlichen Ebenen ausübt, damit öffentliches Eigentum nicht mehr durch Meistbieterverfahren verscherbelt, sondern an selbstorganisierte Projekte verkauft oder verschenkt wird. Diese müssen in ein Netzwerk eingebunden sein, das verhindert, dass das Gemeineigentum wieder privatisiert wird.
Wenn schon Tausch, dann demokratisch geplant und ohne Markt
FoodCoops beziehen Lebensmittel über den Markt, auch wenn wir zusätzlich persönliche Kontakte mit unseren ProduzentInnen pflegen. Sowohl wir KonsumentInnen als auch unsere ProduzentInnen sind umgeben von Preisen, die sich auf den durch EU, Nationalstaaten, Unternehmen und Vereinigungen regulierten Märkten für biologische Produkte bilden.
Community Supported Agriculture (CSA) ist ein Versuch, hier etwas zu ändern, indem die Produktion von den KonsumentInnen für ein Jahr finanziert wird. An die Stelle von vielen kleinen, wöchentlichen Marktbeziehungen tritt eine größere, längere Marktbeziehung. Die Tauschbeziehungen werden ein Stück weit demokratisiert, denn KonsumentInnen und ProduzentInnen entscheiden in gemeinsamen Treffen darüber, was produziert werden soll. Noch gibt es in Österreich wenige CSA-Projekte. Sobald es mehr davon gibt, wird offensichtlich werden, dass die Höfe am CSA-Markt noch immer in Konkurrenz zueinander stehen. Wir sollten überlegen, wie die marktförmigen Tauschbeziehungen durch demokratisch geplante Tauschbeziehungen ersetzt werden können. In Situationen, in denen Tausch aus unterschiedlichen Gründen nicht durch Beiträge ersetzt wird, brauchen wir Visionen für gerechtere Verträge, beispielsweise die Idee der partizipatorischen Ökonomie (Parecon).
Sowohl Parecon als auch Peer-Ökonomie beruhen auf Gemeineigentum. Der Hauptunterschied besteht darin, dass Parecon die Verbindung zwischen Arbeit und Konsumansprüchen nicht aufheben will, während es bei Peer-Ökonomie nicht um berechnete Gerechtigkeit geht. Aus eigener Erfahrung in der FoodCoop weiß ich, dass jedoch Situationen entstehen können, in denen Gerechtigkeit für die Involvierten wieder eine Rolle spielt, beispielsweise dann, wenn die ganze Arbeit an wenigen hängen bleibt. Deshalb halte ich die Überlegungen von Parecon für relevant. Anstatt Messung komplett aufzugeben, schlägt Parecon Antworten vor, wie diese gerechter gestaltet werden könnte. Je nach Betroffenheit sollten die Menschen an Entscheidungsfindungen teilnehmen können. Ermächtigende und weniger ermächtigende Tätigkeiten sollten unter allen in ausgewogenen Tätigkeitsbündeln aufgeteilt werden, um Machtkonzentration zu verhindern. Eigentum, Leistung oder Verhandlungsmacht sollten nicht entlohnt werden, sondern nur Einsatz, gemessen in Arbeitszeit und Intensität. Während Messung immer problematisch ist, lassen sich nicht immer Situationen herstellen, in denen Gerechtigkeit für die Involvierten keine Rolle mehr spielt. An Parecon könnten wir die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen FoodCoops und ProduzentInnen ausrichten. Parecon weist den Weg bis hin zur Auflösung der Trennung zwischen KäuferIn und VerkäuferIn der Ware Arbeitskraft. Das geschieht, indem marktförmige Tauschbeziehungen durch demokratisch geplanten Tausch zwischen dem*r Einzelnen und der Gemeinschaft ersetzt werden.
Die Festung Europa und der Preis der Orangen
Parecon könnte auch Orientierung bieten, wenn es um die Veränderung der Verhältnisse zwischen ProduzentInnen und ErntehelferInnen geht. Unsere FoodCoop bezieht Zitrusfrüchte von einer Kooperative sizilianischer Kleinbauern und -bäuerinnen. Sie bezahlen den meist migrantischen ErntehelferInnen freiwillig ungefähr doppelt so viel für ihre Arbeitskraft wie am lokalen Markt üblich. Doch zu anderen Menschen nett sein ist teuer, solange es daneben weiterhin Marktbeziehungen und daraus resultierende finanzielle Vergleichswerte gibt. Auf den Märkten macht es „Sinn“ auszunutzen, dass illegalisierte MigrantInnen bereit sind, ihre Arbeitskraft billigst zu verkaufen. Daran zeigt sich, wie Fragen der Ernährung mit Fragen der staatlichen und suprastaatlichen Migrations- und Grenzpolitik verknüpft sind. Diese Fragen lassen sich nicht alleine durch FoodCoops lösen, selbst wenn wir KonsumentInnen- und ProduzentInnenseite in Projekten solidarischer Ökonomie verknüpfen. Das Einbringen in politische Auseinandersetzungen, der Einsatz für Bleiberecht und Bewegungsfreiheit für alle und überall, ist notwendig. In den FoodCoops können wir aus unserer Position als vereinzelte KonsumentInnen heraustreten. Dadurch kann über mögliche, kollektive Handlungen gemeinsam nachgedacht werden. Lasst uns versuchen, die aktuellen Flüchtlingsproteste in Europa mit der Bewegung für solidarische Ökonomie zusammenzubringen!
Zeit für solidarische Ökonomie aneignen
Neben Immobilienmarkt und Lebensmittelmarkt wirkt der Arbeitsmarkt entscheidend in die FoodCoops hinein. Wer sich an den FoodCoops beteiligen will, muss Zeit haben, die Commons zu nutzen. Momentan sind nach wie vor hauptsächlich Studierende und AkademikerInnen in den FoodCoops aktiv. Innerhalb der FoodCoop d’Speis haben wir so genannte „freie Preise“ vereinbart. Das heißt, alle können selbst entscheiden, wie viel sie zahlen wollen. In der Praxis orientieren sich die meisten Mitglieder an den als Richtwerten angegebenen Preisen. Doch selbst theoretisch wäre angestrebter sozialer Ausgleich innerhalb der FoodCoop nur in beschränktem Rahmen möglich. Nach außen muss die FoodCoop als Ganzes festgesetzte Preise an die ProduzentInnen bezahlen. Daher kann das Ziel, allen unabhängig vom Einkommen Zugang zu biologischen Lebensmitteln zu verschaffen, nicht beziehungsweise nur durch Verzicht und basierend auf gesellschaftlich relativ privilegierten Positionen erfüllt werden. Ich denke, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Forderung wäre, die sowohl die Frage der Zeit als auch die Frage des Geldes als beschränkende Faktoren zumindest relativieren würde. Wir müssen uns nicht nur Produktionsmittel als Commons aneignen, wir brauchen auch die Zeit und Freiheit, ohne direkte Gegenleistung beitragen zu können. Wollen wir FoodCoops nicht nur ein Nischenphänomen bleiben, bedarf es also auch politischen Engagements in sozialen Bewegungen.
Wenn „wir“ wollen, können wir uns in unseren FoodCoops bereits heute mit Kaviar versorgen. Doch dieses „wir“ ist gesellschaftlich gesehen relativ privilegiert. Und weil unsere solidarökonomischen Halbinseln in kapitalistische Märkte der Festung Europa eingebettet sind, untergraben billige Preise tendenziell Werte wie Solidarität und ökologische Nachhaltigkeit. Die Grenzen solidarischer Ökonomie lassen sich aber ausweiten, wenn wir uns Produktionsmittel, Bleiberecht und Bewegungsfreiheit sowie Zeit politisch aneignen. Dann kann es in den FoodCoops sozial und ökologisch nachhaltig produzierten Kaviar für alle geben.
Christof Lammer
Mehr zu FoodCoops, Peer-Produktion, Parecon und bedingungslosem Grundeinkommen gibt es hier:
FoodCoops in Österreich: http://foodcoops.at/
Albert, Michael (2006): Parecon. http://www.beigewum.at/wordpress/wp-content/uploads/008_michael_albert1.pdf
Reitter, Karl (2012): Bedingungsloses Grundeinkommen. http://www.mandelbaum.at/books/806/7417
Siefkes, Christian (2008): Beitragen statt Tauschen. http://peerconomy.org/text/peer-oekonomie.pdf
Bis Jänner 2014 sammelt eine europäische Bürgerinitiative Stimmen für ein bedingungsloses Grundeinkommen: http://basicincome2013.eu/ubi/de/