ausgabe #82. bericht. anna zissler
frauenlauf findet stadt
Endlich ist es wieder soweit, der Wiener ASICS Frauenlauf findet zum 31. Mal statt. Im letzten Jahr war ich begeisterte Zuschauerin vor Ort, doch dieses Jahr überwinde ich meinen inneren Schweinhund und laufe selbst zehn Kilometer mit. Bereits beim Betreten des Festgeländes bin ich von den Menschenmassen überwältigt. Über 30.000 Teilnehmerinnen verfolgen das Ziel, eine zufriedenstellende Zeit zu laufen und dabei eine Menge Spaß zuhaben. Es ist 10:00 Uhr, noch eine halbe Stunde, dann geht es endlich los. Langsam macht sich Nervosität bei mir breit. Die gefühlten 35° Celsius lassen meine Aufregung nicht geradeweniger werden. Ich versetze mich zum 5km-Lauf vor einer zurück. Wäre ich bloß den gelaufen. Mit diesem Gedanken begebe ich mich Richtung Startblock D. Einige Frauen tun es mir gleich und sehen sich vergeblich nach Schatten um, andere wiederum nutzen nochmals die Möglichkeit die Toilette aufzusuchen. Hierfür braucht es sichtlich Geduld, denn die Schlangen vor den mobilen Toilettenkabinen sind unendlich lang, weshalb einige Frauen keine Scheu zeigen und in den an die Startstraße angrenzenden Waldstück ihrem Bedürfnis nachkommen. „Trinken nicht vergessen!“, höre ich immer wieder durch die Lautsprecher. Mittlerweile füllt sich die Straße nicht nur mit den Läuferinnen, sondern auch die Zuschauer und Zuschauerinnen nehmen neben den Absperrungen ihre Plätze ein. Das Warm-Up mit Alamande Belfor auf der Straße heizt die Stimmung unter den Läuferinnen noch einmal richtig an. Ich will jetzt endlich starten! Leider muss ich mich noch etwas gedulden, da zuerst die Elite im Startblock A laufen darf. Nun geht es Schlag auf Schlag. Jetzt bin ich richtig ungeduldig, denn mein Startblock D ist als nächster an der Reihe. Ich mache noch ein paar Aufwärmübungen und da beginnt plötzlich der Countdown: 5, 4, 3, 2, 1, …TÜÜÜÜÜÜÜT. Die Startsirene ertönt und mein Startblock setzt sich langsam in Bewegung. Es geht LOS!!! Die ersten 100 Meter erweisen sich noch als gemütliches Joggen, da aufgrund der Menschenmasse ein schnelles Laufen nicht möglich ist. Zwei Mädchen können es nicht mehr erwarten und drängen sich an mir vorbei an die Blockspitze. Nach ungefähr 400 Metern die erste Kurve, ich laufe ganz innen an einigen Läuferinnen vorbei. Langsam lichtet sich mein Starterblockfeld und ich finde zu meinem Tempo. Nach ungefähr zwei Kilometern stellt sich bei mir eine Art Flow ein. Obwohl ich einen Tunnelblick entwickle, ist es mir aufgrund der enormen Akustik in der Umgebung unmöglich, das Rundherum auszuschalten. Unglaublich wie viele Menschen, ob jung ob alt, ob männlich oder weiblich, mir bzw. uns zujubeln. Aber nicht nur die Zuschauer und Zuschauerinnen feuern uns an, auch die an der Straße positionierten Musikgruppen motivieren mit ihrem Sound zum Weiterlaufen. Ein Blick auf die Uhr, Kilometer 4. Die pralle Sonne knallt auf meine Schultern. Eine kurze Abkühlung in der Donau täte jetzt gut. Mit einem kalten Getränk in der Hand und einem schattigen Plätzchen. Schnell muss ich diesen sehr ansprechenden Gedanken verwerfen, weil ich in der Ferne eine Frau erkenne, die zu laufen aufgehört hat und sehr erschöpft wirkt. Ich versuche sie noch einmal zu motivieren indem ich ihr im Vorbeilaufen auf die Schulter klopfe und ihr zurufe: „Komm schon! Das packen wir schon.“ Sie lächelt mich schwach an und beginnt mit gesenktem Kopf erneut zu laufen. Die Zuseher und Zuseherinnen geben Beifall und versuchen sie auf diese Weise zu unterstützen. Bei Kilometer 7, nach der scheinbar unendlichen Allee, wird uns plötzlich von einem Ordner angezeigt nach rechts zu laufen. Ich schaue auf und sehe, dass ich in den Wiener Prater einlaufe. Zum Glück, denn die diversen Vergnügungsanlagen bieten mir Schatten. Nach dem bisherigen Streckenverlauf habe ich das Gefühl, eine ganz neue Welt zu betreten. Ich verlasse die eher eintönige Straßenallee und laufe in mein buntes Paradies. Wieder nehme ich sofort die Menge an Leuten durch ihre Zurufe und ihren Applaus wahr. Sie lösen in mir eine große Motivation aus und ich versuche alles zu geben, um mich nicht zu blamieren. Mit schnellen Schritten überhole ich eine Frauengruppe und zwei Mädchen, die soeben zu gehen begonnen haben. Ich blicke sie kurz an und erkenne sie wieder. Die beiden überholten mich beim Start. Das Gefühl sie wieder eingeholt zu haben, gibt mir Genugtuung. Es geht wieder raus aus dem Prater und ich laufe erneut auf der langen Hauptallee zurück Richtung Start. Endlich, eine Labestation. Ich schnappe mir einen Plastikbecher zum Trinken und einen schütte ich mir einfach über den Kopf. Das eiskalte Wasser läuft mir den Rücken hinunter. Jetzt fühle ich mich wohler. Die Labestation bringt aber auch ihre Hindernisse mit sich. Auf der Straße hat sich eine Schicht aus Bechern gebildet, welche von den Läuferinnen weggeworfen wurden. Ich schlängle mich durch den verursachten Müll. Ein erneuter Blick auf die Uhr zeigt mir, dass für mich der letzte Kilometer angebrochen ist. Vereinzelt höre ich die Moderatorinnen, die den Zieleinlauf der anderen Läuferinnen kommentieren. Meine Beine sind völlig erschöpft und wollen endlich eine Pause, doch in bin noch nicht im Ziel. Weiter, weiter, weiter! Jetzt ist es soweit, die letzte Kurve, ich biege auf die Zielgerade ein. ENDLICH sehe ich das Ziel vor mir. Nur mehr wenige Meter und alle Mühen sind zu Ende. Nur mehr 50 Meter – ich klatsche bei Zuschauern ab. Während der letzten 20 Meter habe ich das Gefühl von den Besuchern ins Ziel getragen zu werden. GESCHAFFT! Ein überwältigendes Gefühl überkommt mich und ich muss trotz aller Anstrengung nur noch grinsen. Mit Stolz und einer wunderschönen Erfahrung reicher nehme ich meine Medaille entgegen und beginne mit anderen Läuferinnen im Zielbereich Fotos zu machen.
Anna Zissler