ausgabe #82. bericht. christine fürst
geteilter raum begegnungszone
Es sei viel besser geworden als anfänglich vermutet bzw. erwartet, attestiert ein Fahrradpolizist auf der MaHü. „Es“ ist die die im August 2015 eingerichtete Begegnungszone und MaHü nennen die Wiener*innen die belebteste Einkaufsmeile der Stadt, die vom Ersten Bezirk bis hinaus nach Penzing reicht. Es gebe jedenfalls kaum Probleme, so der Ordnungshüter. Der gesprächige Trafikant im Eingangs/fahrtsbereich der Zone meint hingegen, dass es immer wieder zu Zusammenstößen, vor allem von Radfahrer*innen mit Fußgänger*innen, komme. Die Wahrnehmungen von Begegnung unterscheiden sich also nach wie vor deutlich.
Die Begegnungszone am Anfang der inneren Mariahilferstraße in Wien – gekennzeichnet durch das entsprechende Verkehrszeichen – verspricht eine Art von Symbiose zwischen den motorisierten und den anderen Verkehrsteilnehmer*innen.
In der Wiener Mariahilferstraße fand mit 1. August 2015 eine Transformation des öffentlichen Raumes in eine Fußgänger*innen- und Begegnungszone statt, aber wie sehen es die Straßennutzer*innen heute? Die Begegnungszone und die Fußgängerzone weisen ähnliche Strukturen der Raumnutzung auf, Begegnungszonen unterscheiden sich aber durch das ständige Zusammentreffen eines gedachten gleichberechtigten Miteinanders von Menschen in Kraftfahrzeugen, Personen mit unterschiedlichsten Bewegungshilfsmitteln und jenen, die per pedes den Straßenraum benützen.
Die divergierenden Aussagen des Fahrradpolizisten und des Trafikanten ließen in mir den Entschluss reifen, selbst in die unterschiedlichen Bewegungsrollen zu schlüpfen und die MaHü so aus den verschiedenen Nutzungsperspektiven zu erkunden.
Es sei viel besser geworden, auch für Radfahrer, sagt die Anwohnerin Katharina. Etwas besorgt ergänzte sie „[…] es gibt schon noch ein paar Deppen, die zu schnell fahren“, denn wenn sich die Fußgänger beschwerten, könne die heiß ersehnte Änderung womöglich nicht lange halten. Sie sei begeistert von dieser Verkehrslösung, selbst ihre Kinder könnten jetzt diese Strecke mit dem Fahrrad gefahrloser passieren. Leo wiederum benützt als Radfahrer jetzt auch lieber die MaHü, weil sie schöner geworden sei und er findet es gut, dass sich Radfahrer*innen, Fußgänger*innen, Rollerfahrer*innen und Autofahrer*innen den Platz teilen.
Ich schwinge mich also aufs Rad. Um die belebte Mittagszeit verlangt es mir streckenweise große Konzentration ab, mir im Gewirr der Verkehrsteilnehmer*innen einen Weg durch diese Zone zu bahnen. Ganze drei Mal kann ich Zusammenstöße mit Fußgänger*innen, die unvermutet hinter parkenden Lieferwagen hervorschießen, gerade noch verhindern.
Ähnlich ergeht es der Rollerfahrerin Lea, die meint, es brauche viel Geduld, da sie oft von den Radfahrer*innen nicht gesehen werde. Sie müsse Slalom fahren und alles sei sehr hektisch, außer sie sei ganz in der Früh unterwegs, ab zehn Uhr werde es beschwerlich.
Der Autofahrer Rudi hingegen beklagt sich, dass er nicht wirklich weiterkomme, früher hätte er leichter durchfahren und auch parken können.
Für die Paketzusteller*innen und Lieferant*innen wiederum habe es sich die Situation absolut verbessert, meint Bogdan, der früher mindestens eine halbe Stunde oder noch länger einen Parkplatz suchen musste. Jetzt gibt es Ladezonen und er kann einfach stehen bleiben. Als ich die Strecke nun selbst mit dem Auto erprobe, stelle ich fest, dass es einer erhöhten Aufmerksamkeit als gewöhnlich bedarf, um die kreuz und quer erfolgenden Begegnungen schnell zu erfassen und blitzartig zu reagieren.
Claudia, Bewohnerin einer Nebenstraße der MaHü schildert einen neuen Eindruck von Urlaubsflair. Für sie als Anwohnerin sei es aber schlechter geworden, da die Buslinie 13 A jetzt durch ihre Straße fährt und sie sich durch die Häufigkeit gestört fühlt.
Bei meiner letzten Tour, die ich als Fußgängerin unternehme, kommt in mir zeitweilig ein Gefühl der Unsicherheit auf, da teilnehmende Autofahrer*innen die Geschwindigkeitsbegrenzung ignorieren und mich als Fußgängerin in meine schwächere Position verwiesen.
Kann dieses Zusammenspiel der Verschiedenartigkeit der Verkehrsteilnehmer*innen also nach drei Jahren der Erprobung zu einem gleichberechtigten Miteinander führen?
In Österreich besteht seit 1. April 2013 die Möglichkeit zur Schaffung von Begegnungszonen zur Verkehrsberuhigung, was eine Sensibilisierung aller Verkehrsteilnehmer*innen für die jeweiligen Bedürfnisse und den gegenseitigen Respekt voraussetzt. Der § 76 c der STVO besagt, dass die Lenker*innen von Fahrzeugen dabei Fußgänger*innen weder gefährden noch behindern dürfen, der/die FußgängerIn hat allerdings nicht automatisch Vorrang, sondern alle Verkehrsteilnehmenden sind gleichberechtigt, Fußgänger*innen können die gesamte Fahrbahn benützen und dürfen dabei nicht den Fahrzeugverkehr mutwillig behindern. (1) Nicht nur in Wien werden Begegnungszonen oder „shared spaces“ errichtet, sondern schon seit Mitte der 1990er Jahre wurden diese Zonen weltweit zum Experimentierfeld in der Stadt, um den verschiedensten Interessen der Fortbewegunng im Stadtraum gerecht zu werden.
Der Eindruck eines reibungslosen Zusammenspiels wich nach der Erprobung der unterschiedlichen Bewegungsmethoden der Erkenntnis, dass für ein tatsächlich funktionierendes Miteinander von allen Verkehrsteilnehmer*innen ein Mehr an Rücksicht und Vorausschau gefordert sein wird. Nur so kann gemeinsam geteilter Raum funktionieren.
Christine Fürst
(1) Vgl. STVO: www.jusline.at/gesetz/stvo/paragraf/76c (Zugriff 18.06.2018)