ausgabe #51. kolumne, langversion. eva ursprung
wortmülldeponie
kaviar ist out - kompost für alle...!
kaviar ist nicht nur synonym für luxus, sondern auch für unseren zynischen umgang mit anderen lebewesen: dem noch lebenden störweibchen wird der bauch aufgeschlitzt, um die eier zu entnehmen. der fisch wird anschließend weiterverarbeitet oder schwer verwundet zurück ins wasser geworfen, meist mit todesfolge. leider beschränkt diese produktionsweise empfindlich die vermehrung des selten gewordenen tieres, die meisten störarten sind inzwischen vom aussterben bedroht. kaviar für alle wird sich daher nicht ausgehen.
weniger ist mehr?
überhaupt haben wir ein problem mit den schwindenden ressourcen: erdöl wird es bei gleichbleibendem konsum nur noch vierzig jahre lang geben, schon jetzt verlagert sich die produktion auf tiefsee-bohrinseln oder die gewinnung aus ölsand. ein großteil unserer technologien ist abhängig von seltenen metallen und erden, der bedarf steigt jedoch ständig. selbst das trinkwasser wird immer knapper.
mehr werden nur die abfallhaufen aus kaputten oder veralteten computern, mobiltelefonen, spielkonsolen, bohrmaschinen, fernsehern, videorekordern, mp3-playern, walkmen, discmen, steckern, waschmaschinen, hifi-anlagen, sat-receivern, videobeamern, elektromessern, epiliergeräten, rasierapparaten, haarföns, vibratoren.
wurden die geräte früher so konzipiert, dass man sie gut und gerne zwanzig jahre lang verwenden konnte, halten sie jetzt bis knapp nach ablauf der garantiezeit. immer neuere technologien lassen ältere geräte unbrauchbar werden. ersatzteile werden erst gar nicht erzeugt oder viel zu teuer angeboten, wegwerf-billiggeräte dominieren den markt und markengeräte sind statt langlebiger oft einfach nur teurer. zum preis einer winzigen befestigungsschelle für meinen markenstaubsauger bekomme ich einen neuen no-name, der wahrscheinlich genau so kurz durchhält.
was wir daher brauchen, ist nicht kaviar, wir brauchen kompost: regenerierbare ressourcen, umweltverträglich, vernünftig, dauerhaft.
composting the city | composting the net
die diesjährige transmediale in Berlin (29.1.-3.2.2013 im Haus der Kulturen der Welt) recycelte unter dem motto Back When Pluto Was a Planet als synonym für „die gute alte zeit“ nicht nur alte technologien zu röhrenmonitor-feedbackschleifen oder der raumübergreifenden rohrpost-installation okto, es wurden auch neue ansätze zur verbindung von kunst, ökologie und technologie vorgestellt, die eine redefinition von urbanität und ruralität nach sich ziehen.
im hinterhof vom Haus der Kulturen der Welt irritieren großflächige stapel von orangen kisten, augenscheinlich mit erde gefüllt. ab und zu sprießen bereits kräuterbüschel, aber zu dieser jahreszeit kann man nur erahnen, dass hier mal mobile gemüsegärten entstehen werden. die kisten sind handlich und leicht transportierbar, modulhaft können sie zu üppig wuchernden gärten zusammengesetzt und an verschiedenen orten platziert werden. sie sind teil eines vielschichtigen projekts der nomadischen konzeptkünstlerin, netzwerkerin und filmemacherin Shu Le Cheang.
sesam öffne dich!
Cheang lud weiters unter dem titel Open, o sesami. Open, o green. Open, o fields zu einem vernetzungstreffen künstlerischer projekte aus dem grünen bereich ein. künstler*innen, bäur*innen, urbanist*innen, interventionist*innen, provokateur*innen, öko-freund*innen und -feind*innen stellten verschiedene soziokulturelle kommunale ansätze vor.
unterschiedlichste projekte kamen zum informations- und gedankenaustausch, so etwa Nomadisch Grün, die 2009 in Berlin Kreuzberg die Prinzessinnengärten initiierten und damit eine brache in einen blühenden, nachhaltigen urbanen ort für gemüseanbau und zusammenkünfte verwandelten. motto: freie kommunikationsräume, blühende gärten und biologisches gemüse für alle!
ALOTOF, A Laboratory On The Open Fields ist ein kollaboratives, langfristiges projekt, initiiert von vier organisationen aus Belgien, Frankreich und Tschechien, die sich sukzessive über ganz Europa vernetzen. dabei soll ein grenzüberschreitendes, ökologisches medienkunstlabor aufgebaut werden, eine vernetzte infrastruktur von künstlerischen forschungsstationen und basis für eine neue form von kunst und kunstproduktion in einklang mit der umwelt. so kommunizieren die großflächigen dachgärten von Okno in Brüssel mit den feldern und teichen von Yo-Yo in Tschechien: pflanzen, bienenstöcke, witterungsbedingungen etc. werden elektronisch vermessen und auf unterschiedliche parameter untersucht, die ergebnisse werden u.a. in künstlerische performances und installationen transformiert. untersucht wird auch der künstlerische umgang mit gärten in urbanen und ruralen zusammenhängen und gärten als soziopolitische orte.
The Garden of Art Tools (GOAT) in Hranice (CZ) ist etwa als freiraum-labor gedacht. ein teil des gartens wird wild belassen, ein anderer teil ist für verschiedene öko-kunst-aktivitäten wie bienenbeobachtung, experimente mit solar- und windenergie, der analyse von bodenqualität und umweltverschmutzung vorgesehen. gleichzeitig soll der garten als treffpunkt für ortsansässige fungieren, als kinderspielplatz, als ort für workshops, für wanderer, bienenzüchter, bienen, ameisen, vögel, eidechsen und schlangen.
gedanken-recycling
nicht nur materielles kann kompostiert werden, um nährboden für neues wachstum zu bilden, laut Cheang gilt das auch für immaterielles. ihre „kompost“-performance demonstriert eindrucksvoll die überführung biologischer prozesse in ein elektronisches audio-visuelles (und auch stark olfaktorisches) environment, wobei neben körperabfällen und lebensmittelresten der besucher*innen auch infodaten und netzarchive „kompostiert“ werden.
damit schreibt sie gemeinsam mit ihren kolleg*innen Ayumi Matsuzaka, Martin Howse und Tikul einen eigenen wurm-code: Matsuzaka ordnet den abfall-kompost-setzling-wachstum-nahrung-kreislauf in ihr terra-preta-kompostiersystem mit schwarzem humus ein, indem sie kohlenstaub mit gespendeten haaren, nägeln, urin und persönlichen dokumenten vermengt. mitgebrachte lebensmittelreste werden dazugemischt. würmer und verrottendes gemüse erzeugen elektrochemische veränderungen, welche Howse mittels sensoren abnimmt. dieser elektronische „wurm-code“ wird sonifiziert und als elektronischer lärm in den raum geschleudert. dazu mischen sich via computerstimmen akustisch umgesetzte texte von archiven verschiedener mailinglisten der netzkultur, scheinbar endlose textbahnen werden in den raum projiziert, die buchstaben purzeln wie fallende blätter aus den sich zersetzenden wörtern, lösen sich auf, um danach wieder neu zu „sprießen“…
Fieldworks Lab
der exilgrazer Armin Medosch kuratiert dieses jahr das artists-in-residence programm Fieldworks Lab auf der messstation Eleonore, einem kunstschiff der stadtwerkstatt Linz im winterhafen. initiator des schwimmenden labors ist der ehemalige leiter des grazer medienkunstlabors Franz Xaver. Shu Lea Cheang wird dort von 1.-14. juni eine künstliche insel mit ölkürbissen aus gleisdorf anlegen, eine patentfreie zone, die zudem alles zulässt, was der wind an samen bringt. abschließend lädt sie zu einem saatgut-tausch event ein. ausserdem wird sie die Eleonore mit einem kompostiersystem ausstatten.
http://donautics.stwst.at/lab/fieldworks
open call für künstler*innen und öko-aktivist*innen
die ergebnisse dieser residencies fließen in die ausstellung Fields ein, die Medosch gemeinsam mit Rasa Smite und Raitis Smits im rahmen der kulturhauptstadt Riga 2014 kuratiert.
bis 31.5.2013 ist es noch möglich, konzepte zur ausstellung in Riga einzureichen.
das interesse gilt künstlerischen praktiken, die politik, technologie, ökologie, gender und semiologie miteinander verbinden, sowie projekten, die von einem begriff von kunst als entscheidende triebkraft eines sozialen, wissenschaftlichen und technischen wandels ausgehen.
nähere informationen: http://renewable.rixc.lv/?p=1123
einreichungen an: fields@rixc.lv