ausgabe #54. interview. evelyn schalk
Mensch statt Profit!
Interview mit Peter Steindorfer, ehem. Ärztlicher Direktor sowie Vorstand der Chirurgischen Abteilung des LKH Graz West
ausreißer: Sie haben sich immer wieder kritisch zu den Entwicklungen im Gesundheitssystem geäußert. Fakt ist: Die soziale Ungleichheit nimmt zu, eine Zwei (oder Mehr)-Klassenmedizin ist die Folge – was tun?
Peter Steindorfer: Das ist ein gesellschaftspolitisches Problem. Es beginnt schon im Kindesalter, im Verhalten, wie man zur eigenen Gesundheit steht, auf welcher Basis man sich ernährt bzw. dies überhaupt möglich ist. Sich gesund ernähren kann man heute nur, wenn man einer höheren Einkommensschicht angehört. Wenn man auf die Preisliste schaut und ein Kilo Fleisch kostet € 2,70 wundert es mich nicht, wenn Leute mit Minimaleinkommen das kaufen, statt zu gesunden Produkten zu greifen. Das ist Ausdruck einer Amerikanisierung unserer europäischen Gesellschaft, also sind ein zunehmender Teil der Arbeitnehmer „Working Poor“. Dies betrifft nicht nur das Gesundheitssystem, sondern beginnt mit der sogenannten Bildungsreform, von der man ständig spricht. Tatsächlich meint man Ausbildungsreform, die dominiert ist von den Bedürfnissen der Wirtschaft. Das heißt, ich produziere im neuen (Aus-)Bildungssystem nicht gebildete Leute, die über ein hohes Maß an Kreativitätspotential verfügen, sondern zweckgebundene, schmalspurig ausgebildete Fachkräfte – aber das ist durchaus gesellschaftspolitisch gewünscht. Damit ist man schneller, Lernvorgänge und soziale Kommunikation werden auf die neuen Medien reduziert. Statt an Universitäten werden nun in „Think Tanks“ interdisziplinär, von so genannten Experten neue Gesellschaftmodelle erarbeitet. Waren die Geisteswissenschaften bis in die 1970er die sogenannten „Key Sciences“, also die Schlüsseldisziplinen der Wissenschaft, hat man nun die Wirtschaftswissenschaften als solche etabliert. Trotz der missglückten Wirtschaftsreform des Milton Friedman und der „Chicago Boys“ im Chile des Diktators Pinochet sind weiterhin sogenannte wissenschaftliche Mathematikmodelle bis heute Grundlage für wirtschaftspolitische Entscheidungen. Deshalb spreche ich den Wirtschaftswissenschaften den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit komplett ab, denn sie basieren auf hypothetischen Modellen, sind also eher ein Schätzverein! Sonst hätten wir ja auch keine Finanzkrise... Wenn Egoismus und rascher Gewinn das gesellschaftliche Werteparadigma darstellt darf man sich nicht wundern, wenn man sich geldgierige Investmentbanker als anstrebenswertes Berufsziel einhandelt. Das betrifft alle Sparten des Berufslebens, also auch die Medizin. Das Unbehagen in der Bevölkerung ist spürbar, trotzdem ist ein Paradigmenwechsel (noch) nicht erfolgt.
ausreißer: Wie wirkt sich das konkret auf das Gesundheitswesen aus?
Peter Steindorfer: Die Gesundheitspolitik macht einen Riesenfehler nach dem anderen, weil sie nach dem Diktat der sogenannten Finanzierbarkeit in eine Richtung geht, die von den USA bereits beschritten wurde. Schrecklich! Das sind Dinge, die lassen sich eigentlich nur mehr mit Horror vor Augen führen. Bei den Gesundheitsausgaben nehmen die USA den ersten Platz ein. Dort werden 17,4 % des Bruttoinlandprodukts für eine schlechte flächendeckende medizinische Versorgung ausgegeben. Es besteht dort eine topografische Zweiklassenmedizin mit extremen Unterschieden in der Versorgungsqualität je nach Wohnsitz und natürlich auch nach Einkommen. Ein wesentlicher Bestandteil der steigenden Armut ist der chronisch kranke Patient, der sich trotz Einkommens teure medizinische Versorgung auf Dauer nicht leisten kann. Deshalb rangieren die USA beim sogenannten Fairness-Index (Finanzielle Fairness = Durchschnittseinkommen : Gesundheitsausgaben) auf dem 55.Platz. In diesem System stehen nicht mehr die Patienten im Vordergrund, sondern nur mehr die Macht der Lobbies, was Präsident Obama große Schwierigkeiten bei der Umsetzung seiner Gesundheitsreform einhandelte. Die Pharmaindustrie verdient sich krumm und blöd, das sind Großkonzerne, die Off-Shoring, also die Auslagerung ihrer Produktion in Billiglohnländer, professionell betreiben. Was das bedeutet, sieht man ja in allen anderen Bereichen auch. Wo ist also Reform möglich? Wenn ich den (Medizin-)Universitäten eine Pseudofreiheit gebe, eine Vollrechtsfähigkeit umhänge und sage „Schaut's wo ihr bleibts, sucht's euch euer Geld selber“ sind wir beim Stronach-Motto: „Wer das Geld hat, der schafft an.“ Die Universitäten sind der Endpunkt des Bildungssystems, das sich in die Geiselhaft der Wirtschaft begeben hat und das ist mehr als bedenklich.
ausreißer: Also weg von staatlichen Möglichkeiten der Regelung hin zum rein ökonomischen Agieren, u.a. von der Pharmaindustrie gesteuert...
Peter Steindorfer: Eine sogenannte Kontrolle ist im System enthalten, indem man pseudoobjektive Gremien schafft, wie den Universitätsrat (entspricht dem Aufsichtsrat eines Unternehmens), der nach parteipolitischen Gesichtspunkten besetzt ist. Ökonomisch würde ich ja noch gelten lassen, denn das hat noch immer ein gewisses Maß an „Mensch im Mittelpunkt“ im System. Für Produktionsbetriebe werden Kennzahlen festgelegt, um Benchmarkwerte zu schaffen, die eine Vergleichbarkeit der Produkte als Ziel hat. Dies eins zu eins auf die Gesundheitssysteme umzulegen kann nicht funktionieren. Wenn in einem Produktionsbetrieb die Stückzahl die Kennzahl ist, würde man meinen, der in kürzester Zeit die höchste Stückzahl schafft, ist der beste. Wenn dieser aber eine Verwurfrate von vielleicht 50% hat, dann ist er lediglich ein Materialvernichter. In einem sozio-biologischen System sind aber keine linearen Antworten möglich, weil es viel zu komplex ist. Wenn man z.B. ein Präparat gegen Herzrhythmusstörungen testet, wäre ein sog. Surrogatparameter (=Ersatzmessgröße), dass der Patient wieder rhythmisch werden muss. Das schafft vielleicht ein Medikament bei 100 % der Patienten, wenn von diesen dann aber womöglich die Hälfte stirbt, ist das kein wirklich gutes Ergebnis. Die Effizienz (Behebung der Rhytmusstörung) des Medikaments ist hervorragend, die Effektivität (50% Letalität) ist aber katastrophal. Evidenz zählt und wie die Kennzahlen definiert sind: Gut für den Patienten oder gut für die Wirtschaft? Das ist die eigentliche Frage.
ausreißer: Wohl meist eine Kostenfrage, oder?
Peter Steindorfer: Das ist genau der Punkt. Geht es um die Finanzierung medizinischer Forschung, wird jemand nur Geld dafür hergeben, wenn er auch selbst was davon hat. D.h. es läuft wieder aufs kommerzielle System raus: Der schafft an, der das Geld hergibt und danach werden dann Forschungsschwerpunkte ausgerichtet. Klar, die Firmen interessiert keine Fragestellung, die nicht ihre Produkte betrifft. Deshalb würde ich auch nie dafür plädieren, dass die Universitäten freie Wirtschaftskörper sind und nach den Gesetzen des Marktes agieren sollten. Man kann den Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen, die wissenschaftliche Unabhängigkeit zu garantieren.
ausreißer: Starke Auswirkungen hat die Frage der Profitmaximierung ja bei der Markteinführung neuer Medikamente.
Peter Steindorfer: Es gibt genug Beispiele für „Scientific Fraud“, also wissenschaftlichen Betrug. Die Kosten eines neuen Produkts setzen sich zusammen aus der Grundlagenforschung, der klinischen Prüfung und der Marketing-Strategie. Es hat immer geheißen, letztere macht einen kleinen Prozentsatz aus, das stimmt aber nicht. Es gibt durchaus Graubereiche, die von den Marketingabteilungen dominiert werden und unter dem Feigenblatt Forschung agieren. Als Negativbeispiel ist ein Skandal zu nennen, der die Therapie von Brustkrebspatientinnen weltweit beeinflusst hat. Eine südafrikanische Studie aus den 1990ern, die für hochdosierte Chemotherapie bei Brustkrebs eine Ansprechrate von 95% angab, wurde in den renommiertesten medizinischen Fachjournalen publiziert und auf allen Krebskongressen als der neue Therapiestandard präsentiert. Die Verkaufszahlen der Medikamente, die für diese Therapie in Frage kamen, sind natürlich hochgeschnellt. Bis die Kontrollstudien die Ergebnisse anzweifeln ließen, hat es 10 Jahre gedauert. Ein externes Audit an der onkologischen Abteilung deckte einen riesigen Betrug mit gefälschten Krankenakten auf. 10-20% therapieassoziierten Todesfälle wurden festgestellt. Mindestens 30.000 amerikanische Patientinnen hatten sich dieser Therapie unterzogen. Aus Europa gibt es keine genauen Daten. Pro Patientin kostete die Behandlung etwa 100.000 US$ - man kann sich bei solchen Profiten vorstellen, dass Konzerne alles daran setzen, Negativergebnisse zu verhindern. Aber auch bei positiven Ergebnissen geht es darum, dass die Transparenz der Finanzierung und eine mögliche Abhängigkeit vom Sponsor nachgewiesen werden muss, wie es nicht bei allen wissenschaftlichen Studien der Fall ist. Ein weiteres Beispiel ist die Hormonersatztherapie: Lange wurde bagatellisiert, dass ein Zusammenhang zwischen hoher Brustkrebsinzidenz und der Östrogen-Behandlungen im Rahmen des Wechsels der Frau besteht. Da wurden abschwächende Studien gekauft, Konkurrenzprodukte schlecht gemacht etc., die negativsten Auswüchse des kommerziellen Marktes haben zugeschlagen. 70 Millionen Verschreibungen seit 1992 zu einem Durchschnittspreis von 274 US$ ergaben 19 Mrd bis 26 Mrd US$ Gewinn – mit einem einzigen Produkt für Hormonersatztherapie! Wenn Sie sich das anschauen, wissen Sie auch, dass 2 Mio US$ für den „Einkauf“ einer oder mehrerer Einzelpersonen als „Key Opinion Leader“, also jemandem, der mit seinem „guten“ Ruf für das Produkt bürgt, dabei keinen Betrag darstellt...
ausreißer: Das heißt aber, es gibt für PatientInnen trotz aller mittlerweile zugänglichen Informationsquellen kaum eine Möglichkeit, sich ein unabhängiges Urteil zu bilden..?
Peter Steindorfer: Zurück zum Ausgangspunkt: Es ist ein gesellschaftspolitisches Problem. Wissenschaftliche Redlichkeit, Resozialisierung des Kommunikationselements wären nötig. Es kann sich nicht alles nur auf Internet-Basis abspielen. Der Mensch ist ein soziales Wesen und wünscht sich das ärztliche Gespräch. Dieses erfordert aber Zeit, die im Kerngeschäft der Medizin - der Patientenbehandlung – dem Personal immer weniger zur Verfügung steht. Die Medizin ist auch ein haptisches Fach, das Berührung erfordert, die Aura von einem anderen Menschen spüren lässt, die Kommunikation auf nicht nur intellektueller, sondern auch humaner Basis pflegt wo der Funke zwischen zwei Menschen überspringt. Das schafft durch das ärztliche Gespräch und die klinische Untersuchung die Basis für das Vertrauen des Patienten. Dieses lässt sich durch das Internet nicht ersetzen. Da muss man ganz an den Anfang zurückgehen. Das heißt: wissenschaftliche und berufliche Redlichkeit, menschliche Beziehungen zueinander, Effektivität statt Effizienz und nicht der kommerzielle Druck der Pharmaindustrie oder die “publish or perish“- Mentalität, wo nur die Publikationslisten wichtig sind.
ausreißer: Das beginnt aber wiederum bereits während der Ausbildung...
Peter Steindorfer: Klar, wenn verlangt wird, in kürzester Zeit und vorausschauender Effizienz das Studium zu absolvieren, liegt mit der immer professionelleren Nutzung des Internets die Verlockung von „copy and paste“ nahe. Aktiver Wissenserwerb, der im Schnitt 7-13 Wiederholungen bedarf, damit Wissen in vernetzter Form auch abrufbar ist, ist teilweise negativ besetzt (Strebertum) und führt zu einem „Internet-Analphabetismus“. Klar vergessen sie rasch wieder, was sie reinkopiert haben, ist ja nicht ihr eigenes Wissen. Ohne steuernde Maßnahmen Richtung gesunde Relation von „Life Science“, die auf den Patienten, die Person Mensch ausgerichtet ist, statt auf reine Wirtschaftlichkeit, wird sich nichts ändern. Dazu zählen u.a. auch die Arbeitsbedingungen, das gehört ja alles zusammen. Wenn ich an einer Steuerungsschraube in diesem komplexen System drehe, ändert sich so viel, dass ich gar nicht überschaue, was ich an anderen Stellen damit anrichten kann. Diese Steuerung des Gesundheitssystems darf man nicht externen, sogenannten „Gesundheitsökonomen“ überlassen, die eben das Ergebnis liefern, welches der Auftraggeber (meist die Politik) wünscht. Das ist ungefähr so, wie die Banker, die selbst für die Wirtschaftspolitik ihre eigenen Kontrollinstanzen abgeben, wie z.B. der Banker Ackermann für Kanzlerin Merkel, um nicht österreichische Verhältnisse wie das Beispiel Hypobank zu strapazieren. So wie es systemrelevante Banken in Wirklichkeit nicht gibt, sowenig kann ich systemrelevante Entscheidungen in der Gesundheitspolitik von der Bildungs- oder Pensionspolitik trennen, das sind alles Dinge, die eng miteinander verknüpft sind.
ausreißer: Wo kann ein kritischer, reflektierter Patient selbst ansetzen?
Peter Steindorfer: Nach wie vor genießt der Arztberuf in der Bevölkerung ein hohes Ansehen, auch wenn das oft in den Medien anders transportiert wird. Diese sind ja auch in der Geiselhaft von Quoten & Co., also eines kommerziellen Systems, auch das sollte sich wiederum in Richtung Qualitätsjournalismus ändern. Was passiert also mit dem Individuum Patient? Es gibt den sogenannten Behandlungsvertrag, dieser sollte immer stattfinden zwischen einem in allen Entscheidungsbereichen freien Arzt und einem freien, mündigen Patienten, das ist die Grundvoraussetzung. Dazu gehört es das Vertrauen zwischen diesen beiden Betroffenen aufzubauen, dem Leistungserbringer (Arzt) und dem Leistungsempfänger (Patient), wenn man dieses schon herunter brechen will auf die wirtschaftswissenschaftlichen Sprachmuster. Was jedoch nicht zutreffen kann, denn wir haben keine Kunden, der Patient geht ja nicht freiwillig in ein Krankenhaus, weil's da so toll ist und füllt danach als Kunde eine Beschwerdeliste aus, wo alles, was ihm nicht gepasst hat, vom Essen bis zum Kommunikationston einer Krankenschwester in der Nacht, die völlig überfordert 30 Patienten zu betreuen hat, einträgt. So läuft das nicht! Für das nötige das Vertrauen braucht es erstens Kompetenz im Kerngeschäft, das muss man voraussetzen können, denn der Patient weiß ja nicht, wer ein guter Arzt ist und wer ein schlechter. Der zweite Punkt ist Zeit. Wenn aber heute das Kerngeschäft nicht nach der Effektivität, sondern der Effizienz analysiert wird, mit einem Schreibtischmodell, das Durchschnittszeitparameter festlegt, z.B. für ein ärztliches Aufklärungsgespräch, das ich aber vollkommen individuell steuern muss. Denn so etwas ist nicht von vorneherein parametrierbar, ein Patient begreift sofort, einem anderen muss man etwas drei- oder viermal erklären, weil er sich in einer psychischen Ausnahmesituation, z.B. bei Krebs, befindet. Dafür kann ich nicht den Durchschnittszeitaufwand festsetzen, wofür dann soundso viele Personalminuten zur Verfügung stehen und wenn ich die dann in 24 Stunden reinpresse, kriege ich ausgebrannte, überforderte Ärzte, die Angst haben zu versagen. Wenn ständig Personal reduziert wird, kann das nicht gut gehen. Doch auf diesem Weg befindet sich das Gesundheitssystem gerade. Beispiel Deutschland: Durch die Überalterung und die Teilprivatisierung des Gesundheitssystems ist es in öffentlichen Spitälern, besonders im operativen Sektor, zu einem derartigen Personalmangel gekommen, dass das Arbeitszeitgesetz sowieso nicht eingehalten werden kann, weil in diesem Fall die Versorgung zusammenbrechen würde! Das muss man sich einmal vorstellen. Ich kann eben nicht sagen, ich sperre jetzt zehn Spitäler zu, denn das ist der wirtschaftliche Lauf, sondern muss hinterfragen, welche Funktionen werden dadurch dann nicht mehr erfüllt.
ausreißer: Das haben wir doch auch gerade in Griechenland...
Peter Steindorfer:...ja, oder in den USA, ich war selbst drüben, als in Orange County das Krankenhaus zugesperrt hat – das Einzige in einem Einzugsgebiet von der Einwohnerzahl der halben Steiermark, das kann man sich gar nicht vorstellen, was das heißt.
ausreißer: Welche Möglichkeiten haben bzw. hatten Sie in Ihrer Position..?
Peter Steindorfer: Ich in meiner Position bin kein typischer Vertreter der Spezies meines Berufsstandes.
Kritisch und analytisch zugleich habe ich versucht in meinem eigenen Einflussbereich die Voraussetzungen zu schaffen, dass zufriedene MitarbeiterInnen ihre Arbeit mit Menschlichkeit und Qualität am Patienten erfüllen können.
ausreißer: Haben Sie in Ihrem Wirkungsbereich den Spielraum, sich solchen Entwicklungen entgegenzustellen oder sehen sie einen solchen nicht?
Peter Steindorfer: Ich habe es gemacht, ich hab mich bestimmten Dingen entgegengestellt, mit der Folge, dass ich gewisse Funktionen nicht mehr ausgeübt habe, wenn sie unvereinbar wurden. Ich war ja erst Direktor dieses Krankenhauses und hab diese Funktion dann zurückgelegt, weil aus gewissen Bereichen Druck auf mich ausgeübt wurde, den ich mir nicht mehr gefallen ließ. Ich wollte nie in einer Situation sein, wo ich mich in politische Abhängigkeit begebe. Ich bin auch bei keiner Partei und bei keinem Männerbund, oder was sonst noch dem üblichen Karriereweg dient. Für mich war der Weg in der Karriere „per aspera ad astra“, mit der Folge, dass ich mich mit Ihnen heute so unterhalten kann ohne darüber nachdenken zu müssen, ob mir irgendwer daraus einen Strick dreht. Das ist das maximale Maß an Freiheit. Das pflege ich auch in meiner Abteilung, die Leute in ihrer Entwicklung ja nicht einzuschränken, die Jüngeren zu fördern. Ich nehme für mich nicht dieses alte Bild des Primararztes in Anspruch, der der ist, der alles weiß und alles kann und die da unten sind die Untergebenen. Dieses feudalistische System ist anachronistisch. Maximale Freiheit heißt aber auch, dass die Eigenverantwortung für den Einzelnen steigt und das ist in Österreich nicht immer gewünscht. Hierarchie braucht es nur im Sinne einer Qualifikationshierarchie. Der Chef war dann gut, wenn seine Leute besser werden als er selber. Deshalb muss man sich aber auch beizeiten zurückziehen, loslassen, denn um eine Beziehung aufrecht zu erhalten, muss man Freiheiten zulassen, sonst funktioniert das nicht. Die Generation von heute baut die Straßen, auf denen die nächste Generation fahren wird, hat Konfuzius schon im 6.Jht. v. Chr. gesagt. Das sollten sich einige Leute zu Gemüte führen, dann würden sie merken, was sie für einen Blödsinn machen.
ausreißer: Wie weit gehen die Verstrickungen von Krankenhaus und Pharmaindustrie beim Medikamenteneinsatz?
Peter Steindorfer: Wir haben als eine der ersten Krankenhäuser der Steiermark eine Arzneimittelkommission eingeführt, die die Wirtschaftlichkeit bezogen auf die Anwendungen abwägt. Wichtig ist die die Unabhängigkeit der Kommission. Nicht: Da kommt jetzt der Pharmavertreter XY und bezahlt den Einsatz seines Medikaments als Anwendungsbeobachtung, wie das gang und gäbe war. Das haben wir abgestellt.
ausreißer: Stichwort Generica – Fluch oder Segen?
Peter Steindorfer: Da Generica auf derselben Wirksubstanz basieren, brauchen sie nicht dieselben Prozesse bei ihrer Zulassung zu durchlaufen, wie ein neues Medikament, dadurch werden sie billiger. Aber auch Forschungen bzgl. Bioverfügbarkeit des Medikaments fehlen, oder der Nachweis, wie die Pharmakodynamik, also der Abbau der Abfallprodukte aus dem Stoffwechsel, die ja auch eine Wirksamkeit haben können, verläuft. Das kann aber unerwartete Auswirkungen haben. Wenn ich mir weiters anschaue, wo Generica teilweise produziert werden, muss man das sowieso sehr kritisch hinterfragen. Man muss alles hinterfragen, ohne das geht es nicht. Es werden künstlich Knappheiten geschaffen in der Medikamentenproduktion, sodass man erst einmal warten muss, bis man das betreffende Medikament bekommt oder auch nicht, dann kommt das Ersatzprodukt zum Einsatz. Das wird von manchen Firmen, die den Ersatz auf den Markt werfen, bewusst so gemacht, um höhere Umsätze zu erzielen. Generica in Österreich unterliegen aber, gleich wie die Primärmedikamente, jedenfalls dem Arzneimittelgesetz. Dies ist bei Medikamenten, die etwa im Internet bestellt werden nicht der Fall. Damit setzt sich der Konsument dieser Arzneiware potentieller Gefahr von Arzneimittelfälschungen aus, die keinerlei Sicherheit bieten. Diese sind sonst wo gefertigt worden, wo sie keinerlei Nachweis einer Arzneimittelzulassung erbracht wird oder diese auch gefälscht wurde. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehen davon aus, dass weltweit etwa 10% aller Medikamente Fälschungen sind, Tendenz steigend. Nach Angaben der EU-Kommission ist seit 2005 (30 Mrd.€) die Rate der gefälschten Medikamente um rund 400% gestiegen (2012: auf 120Mrd €).
ausreißer: Der Patient ist bei der Medikamentenauswahl aber wiederum auf das Vertrauen in den Arzt angewiesen...
Peter Steindorfer: Der kritische Arzt hinterfragt ja auch und informiert sich. Wir sind in der glücklichen Situation eine von PharmazeutInnen professionell geführte Krankenhausapotheke zu haben, die uns in kritischen Fragen berät.
ausreißer: Sozialleistungen werden gegeneinander ausgespielt, ihre Berechtigung gar infrage gestellt, und damit der Wert der Menschen generell...
Peter Steindorfer: Bildung, Gesundheit, Umgang mit Randgruppen und alten Leuten – das sind die vier Kriterien, die einen Sozialstaat ausmachen. Wenn wir diese sozialen Errungenschaften nicht erkennen, ist es wirklich schlimm. Auch dass darin eine Chance der Beschäftigungspolitik liegt und man in die Qualität investieren muss. Investitionen in Qualität der MitarbeiterInnen macht ein System billiger, nicht Controlling Institutionen, welche von außen auf Basis von Kennzahlen kontrollieren. Alleinige Kontrolle des Systems von außen ohne die inneren Qualitätsentwicklung zu berücksichtigen, ist keine Strategie, die auf lange Frist gut geht. Immer mehr Leistungen von immer weniger Personal in immer kürzerer Zeit wird über kurz oder lang zu überforderten Leistungsträgern führen. Dies führt wiederum zur Zunahme der Fehlerhäufigkeit. Dabei helfen auch keine Analysen der „Mitarbeitetzufriedenheit“, wenn die Arbeitsbelastung des einzelnen Mitarbeiters immer höher wird.
ausreißer: Da hängt es dann wiederum oft an Einzelpersonen, sich dagegen zu stemmen...
Peter Steindorfer: Das ist jetzt Laotse, der gesagt hat: Um zu den Quellen der Weisheit zu gelangen, muss man gegen den Strom schwimmen. Die verlangt aber heutzutage eine fast unmenschlich anmutende Hartnäckigkeit und Ausdauer sowie eine unösterreichische Zivilcourage.