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ausgabe #70. textprojekt. gerhard ruiss

mit zwei funkhaushälften zu höchsten küniglberghöhen

Funkhausanthologie – Ein Textprojekt zur Wiedererrichtung des Funkhauses in Wien


Der ORF besitzt als Nachfolger der 1924 gegründeten RAVAG, der „Radio Verkehrs AG“, ein 1958 von der RAVAG geerbtes Funkhaus. Vielmehr bald nicht mehr, jedenfalls nicht nur er allein. Er hat es verkauft, bis auf ein paar Restbestände. Erhalten bleiben soll der „Kulturtrakt“, ohne dass bisher wem die Existenz von Räumlichkeiten im Funkhaus mit dieser Bezeichnung bekannt war. Vermutlich ist dem ORF der Zuspruch als Bewahrer der Kultur lieber als der Vorwurf, er wirft seinen Hörfunk-Kultur- und Bildungsauftrag weg und ein historisch bedeutsames öffentliches Bauwerk einem Bauunternehmen als innerstädtisches privates Wohnbauprojekt in den Rachen.
Auf einmal verbleibt mehr Kultur im Funkhaus, als dort je zu finden sein hätte können und in Zukunft zu finden sein kann, wenn die Radio-Kultursender des ORF Ö1 und FM4 aus dem Funkhaus abgesiedelt und im ORF-Zentrum auf dem Küniglberg neu angesiedelt werden. Weiter seinen Platz im Funkhaus behält das Landesstudio Wien, neu eingerichtet wird ein Stadtstudio „für zentrumsnahe Aktivitäten“. Zum „Kulturtrakt“ geworden sind die erhalten bleibenden Räume des Funkhauses vermutlich deshalb, weil sie denkmalgeschützt sind und weil manche von ihnen gerade kostspielig technisch neu ausgestattet wurden und nicht, weil das Programm, das für das Restfunkhaus vorgesehen ist, als Kulturprogramm geplant wäre. Ausgenommen das Programm des neben dem Funkhaus stehenden Radiokulturhauses, in dem aber Veranstaltungen durchgeführt und keine Radioprogramme gestaltet werden und das auch von zahlenden Veranstaltern außerhalb des ORF gemietet werden kann. Immerhin nützt der ORF jede zweite Veranstaltung des Radiokulturhauses für Mitschnitte und Sendungen, exklusive vermutlich die Durchführung von Firmenevents und Werbeveranstaltungen, für die er sein Radiokulturhaus ebenfalls als Veranstaltungsort anbietet.

Nicht nur der Verkauf des Funkhauses hat für den ORF einen „erfreulichen“ Abschluss gefunden, auch die am selben Tag gezogene Bilanz des Radiokulturhauses fiel „erfreulich“ aus. Mit ihr wurde laut Karl Amon, dem letzten Rundfunkdirektor, den der ORF demnächst gehabt haben wird, ein „wichtiger Beitrag zum Kulturauftrag des ORF geleistet“.
Warum bei so vielen eher für ihren Verbleib im Funkhaus als für ihre Übersiedlung auf den Küniglberg sprechenden Voraussetzungen Ö1 und FM4 ins ORF-Zentrum auf den Küniglberg übersiedelt werden sollen, weiß kein Mensch, sind doch beide Sender für ihre enge Bindung an Kunst- und Kulturschaffende und deren „zentrumsnahe Aktivitäten“ in den Theatern, Museen, Konzertsälen und sonstigen Kunst- und Kulturhäusern bekannt, also für ihre enge Bindung an diejenigen, mit denen sie ihr Programm machen. Oder ist genau das der Grund, weil diese enge Bindung in Zukunft nicht mehr gebraucht wird, weil für Ö1 und FM4 zukünftig ein anderes Programm vorgesehen ist, weniger eigenproduziert, mehr eingekauft und mit weniger künstlerischen und kulturellen Beiträgen, die honoriert werden müssen, und mit dementsprechend weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als bisher? Nicht umsonst hat man den Platzbedarf am Küniglberg schon vorsorglich reduziert, damit nicht so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Platz finden, wie sie aus dem Funkhaus unterzubringen sind.
Eine halbe Portion Hörfunk des ORF behält den derzeitigen Standort, eine zweite halbe Portion kommt auf den Küniglberg. Auch Ö 3 verlässt seinen zuvor schon vom Funkhaus in ein eigenes Objekt im 19. Wiener Gemeindebezirk verlegten Standort, um die vom Rest des öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramms des ORF getrennte Geschäftigkeit des Senders vom Küniglberg aus fortzusetzen, und ORF Online und der Teletext übersiedeln ebenso ins ORF-Zentrum.
Die Situation erinnert an ähnliche Verkaufsvorgänge von öffentlichen Einrichtungen an private Eigentümer in der letzten Zeit wie den Erwerb des Wiener Künstlerhauses vor ein paar Monaten durch die Haselsteiner-Familienstiftung, der das Künstlerhaus jetzt zu 74 Prozent gehört. Zu höchstwahrscheinlich noch komfortableren Konditionen für den Käufer. Die Kosten für den Erwerb des Künstlerhauses nützen am meisten Haselsteiner selbst, da sie ausschließlich aus den Renovierungskosten für das Künstlerhaus bestehen. Für den Teilverkauf des Funkhauses sollen hingegen tatsächlich Gelder vom Käufer an den Verkäufer fließen und dort verbleiben, kolportierte 30 bis 40 Millionen Euro. So richtig genau weiß das aber niemand, weil der ORF nicht nur seine Funkhaus-Immobilie teilverkauft, sondern seinen Hauptstandort am Wiener Küniglberg saniert, renoviert und ausbaut und dabei Beträge in der Höhe von mehreren hundert Millionen Euro im Spiel sind, einmal abgesehen davon, dass niemand weiß, welche Teile der ORF für die nächsten Jahre rückmieten muss, weil der Vollbetrieb am Küniglberg erst ab 2020 möglich ist und ob er dann nicht den Rest des Funkhauses genauso verkauft, weil zum Beispiel das Radiokulturhaus in seinen Bilanzen nicht mehr so „erfolgreich“ ist oder das Radio-Symphonie-Orchester den ORF zuviel kostet. Die Situation erinnert genauso an die Verhältnisse vor rund 15 Jahren, als der ORF die letzte Fernseh-Kunstsendung „Kunst-Stücke“ abgedreht und zugleich auf Großflächenplakaten mit dem Slogan „ ORF – Kultur pur“ für sich geworben hat.

Am Ausverkauf des öffentlichen Raums und öffentlicher Gebäude beteiligen sich auch andere, wie z.B. die französische Regierung mit der Veräußerung des zuvor allgemein zugänglichen Wiener Französischen Kulturinstituts Palais Clam-Gallas im 9. Wiener Gemeindebezirk an das Emirat Katar zur privaten royalen Nutzung, weshalb der Teilverkauf eines öffentlichen Gebäudes wie des Funkhauses zur privaten Nutzung niemanden sonderlich aufregt. Zumindest, wenn man die Berichterstattung darüber verfolgt. Zeitungen wie die Wiener Zeitung sprechen in ihren Berichten vom Funkhausverkauf sogar von einer „Lösung“ für das Funkhaus oder wie der Wiener Kurier in einem ausführlichen Bericht gerade noch in einer Schlusszeile davon, dass es Proteste der Mitarbeiter gegen den Verkauf gab. Dem jahrelang entschiedenen Widerstand gegen den Verkauf von allen Seiten wird höchstens in der Bezirkszeitung des vom Verkauf betroffenen Bezirks ein wenig mehr Aufmerksamkeit geschenkt, ansonsten herrscht allgemeine Zufriedenheit: Ein „Investor“ hat sich gefunden, der bereit ist, zum Gelingen des Budgetplans des ORF im heurigen Jahr die dort schon fix eingeplanten benötigten Millionen für die nächste positive Bilanz beizusteuern, der Wiener Bürgermeister hat seinen Willen durchgesetzt, das Landesstudio Wien bleibt im Zentrum und wird nicht an den Stadtrand von Wien verlegt, und der ORF kann an seinen zuletzt vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Umbauplänen für das ORF-Zentrum am Küniglberg festhalten und etwas für den Konjunkturmotor Bauwirtschaft tun und seiner dafür aufgenommenen Anleihe von 180 Millionen Euro weiterhin einen Sinn geben.
Eines der ungelösten Probleme des Funkhauses war und ist, man konnte es trotz gegenteiliger verkaufsfördernd angelegter Behauptungen nicht sanieren, weil es nicht sanierungsbedürftig war und ist. Kritik am Verkauf wird auch in Zukunft nur wenig zu hören sein, so lange alle in irgendeiner Form irgendeinen Vorteil daraus ziehen, und das ist mit Sicherheit jetzt erst einmal ein paar Jahre lang der Fall. Was sich dann von den jetzigen Festlegungen als richtig herausstellt oder nicht, ist nicht mehr zu ändern.

Seit rund einem Dreivierteljahr wird mit zehn an Rundfunkverantwortliche, Medienpolitiker und Medienberichterstatter/innen verschickten Beiträgen in jeder Woche in einer Funkhausanthologie festgehalten, was mit dem Verkauf des Funkhauses verschwindet. Insgesamt 300 Beiträge wurden bisher gesammelt und bereits veröffentlicht oder werden es in den nächsten Wochen. Das vor allem inhaltlich dem Verfall preisgegebene Funkhaus soll durch eine aus Textbeiträgen unterschiedlichster Art bestehende Bausteinaktion wiedererrichtet werden. Weitere Beiträge an die Adresse gr@literaturhaus.at sind jederzeit herzlich willkommen, die bisherigen Beiträge sind unter http://www.literaturhaus.at/index.php?id=10946&L=0%2F%2F nachzulesen. Darüber hinaus ist die Herausgabe der Beiträge in einem Sammelband geplant, mit dem dem Funkhaus ein Wortdenkmal gesetzt werden soll, das selbst dann noch besteht, wenn dem Funkhaus und seinen Sendern ihre letzte Möglichkeit genommen worden ist, sich als einzigartige Einrichtungen zu beweisen.
Wer es, wie vor zwei Jahren die jetzige ORF-Geschäftsleitung zum 90. Geburtstag des öffentlich-rechtlichen Hörfunks in Österreich, geschafft hat, sein Funkhaus vor seinen Mitwirkenden und seinem Publikum zu verstecken, statt mit ihnen gemeinsam zu feiern, hat mit Sicherheit nicht vor, in acht Jahren zum 100. Radio-Geburtstag in Österreich sein Restfunkhaus und die Sendereste von Ö1 und FM4 am Küniglberg und die große Tradition und Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Hörfunks in Österreich zu feiern, auch wenn die Geschäftsführung des ORF dann eine andere als die jetzige sein wird. Vorausgesetzt der ORF besteht dann in der jetzigen Form oder überhaupt noch.



Gerhard Ruiss
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