essay. diagonale 2005. erwin fiala
Philosophisches
Überlegungen zum Phänomen Film im Namen der Bilder
oder: Was ein guter Film wäre
1) Ich frage mich, ob man wissen kann, warum ein Film Auszeichnungen, Ehrungen und Oscars bekommt? („Oscar“ heißen Hunde, aber nicht Auszeichnungen und Kennzeichnungen für „gute“ Filmepen!) Sind Filmauszeichnungen nicht Ehrungen dafür, dass man (zumindest eine Jury)es ertragen hat, ihn zu sehen?
Aber sieht man einen Film überhaupt? – Oder ist man nicht vielmehr Opfer einer filmischen Vergewaltigung, einer Vergewaltigung durch ein Bild-Staccato, das Augen und Gehirn bombardiert?
2) Filmkunst ist Kriegskunst – ein Krieg gegen Augen und Gehirn, oder besser gegen das Denken! Wer denkt schon, wenn er/sie einen Film sieht? Einen Film zu sehen bedeutet: nicht zu denken, Filme befreien von der Last des Denkens – aber was sieht man, wenn man nicht denkt?
3) Der Zuschauer muss den Film wahrnehmen (sehen) ohne wahrzunehmen, dass er ihn wahrnimmt. Die Wahrnehmung des Films ist nicht von der Wahrnehmung der Wahrnehmung begleitet, d. h. dass das Sehen eines Filmes einen blinden Fleck impliziert – dies führt zur Amnesie des Bewusstseins, zur Regression in der persönlichen Entwicklung. Wir sehen Filme als würden wir wie Säuglinge an warmen, weichen Brüsten Milch und Honig saugen. Geschlechtslos saugen wir an der filmischen Bilderflut, die der wirkliche Tod des Bildes ist. Der Film ist der Tod der Bilder! Obwohl die Filmindustrie und die „Filme-Macher“ immer mehr Bilderfilme erzeugen, gibt es immer weniger Bilder. Die inflationäre Anbetung der Bilder (Idolatrie) ist die eigentliche Bildervernichtung (Ikonoklasmus).
4) Um den „Wert“ eines Bildes wieder „sehen“ zu können, müsste man den Film verbieten. Man kann nur hoffen (da ein Verbot nicht möglich ist), dass in einem der Filme (vielleicht in der Pause zwischen den Vorführungen, wenn gerade kein Film im Filmfestival läuft) auch ein Bild auftaucht – wie „ein Blitz aus heiterem Himmel“ (Mary McCarthy). Ich bitte das Filmfestival-Komitee um die Möglichkeit eines Bildes, das nicht erscheint, um ein Bild wirklich erscheinen zu lassen!
Drehbuchanweisung:
A) Der Kameramann nimmt das Bild auf, das er nicht aufnimmt.
B) Der Film zeigt ein Bild, das der Kameramann nicht aufgenommen hat.
C) Das Publikum ist begeistert, weil es im nicht zu sehenden Bild die schönsten Filmaufnahmen sieht.
D) Dieses Bild bleibt dem Publikum ewig in Erinnerung.
5) Obwohl die meisten Filme nur eine schlechte Verdoppelung der Wirklichkeitsbilder sind, ist unsere visuelle Lust an ihnen unstillbar. Wir genießen den pornographischen Akt der Darstellung (und die Darstellung ist die eigentliche Pornographie!), weil uns die Filmemacher zu Voyeuren haben werden lassen. Als Voyeure wollen wir wissen, wie die Wirklichkeit wirklich ist, aber ohne es wirklich wissen zu wollen.
6) Deshalb werden jene Filme ausgezeichnet, die bloß die erfundene, zurechtgemodelte Wirklichkeit zeigen (zumindest in Hollywood), aber nicht „Bilder“. Die entscheidende Frage lautet: Wie könnte der Film seine Abstraktion finden, um wie die Malerei wieder die Kraft des Bildes erstehen zu lassen (musste nicht die Malerei durch die Hölle des „Weißen Quadrates“?), so dass auch der Filmbetrachter wieder zum Bild-Seher wird? Filmemacher haben eine Verantwortung für Bilder – oder?
7) Deshalb ist das experimentum crucis für jedes Filmfestival und die „diagonale“: Gibt es unter all den Filmen auch Bilder?