ausgabe #54. ulrike hauffe
programmierte frauenarmut macht krank!
Krank? Selber schuld. Gesund? Gut gemacht! Es greift ein Bild von Krankheit und Gesundheit um sich, das immer mehr die Verantwortung für beides beim Individuum sieht. Nicht umsonst greifen besonders Frauen gerne zu Ratgebern wie „Krankheit als Sprache" oder „Was dir deine Krankheit sagen will". Die Kernbotschaft solcher Publikationen lässt sich auf einen Nenner bringen: Wer nur genug Optimismus und innere Ausgeglichenheit „herstellt", bekommt auch seine Krankheiten in den Griff.
Dabei ist eine Erkenntnis leider schlicht: Je ärmer Frauen sind, je prekärer ihre Lage ist, desto krankheitsgefährdeter sind sie. Der Zusammenhang von Armut und Gesundheit ist vielfach belegt. Armut ist eines der größten Gesundheitsrisiken für alle Menschen. An bestimmten Stellen sind insbesondere Frauen strukturell benachteiligt, so dass sie leicht in Armut abrutschen – wir sprechen hier von „programmierter Frauenarmut".
Die geschlechtsspezifischen Ursachen und die unterschiedliche Betroffenheit von Frauen und Männern bleiben bei der Armutsdiskussion häufig ausgeblendet. An vier biografischen Momenten im Leben von Frauen werden ihre spezifischen Armutsrisiken sowie deren strukturellen Ursachen im Lebenslauf besonders deutlich:
- Ausbildung und der Übergang in den Beruf
- Kinder als Armutsrisiko
- Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung sowie schließlich
- Altersarmut und Pflegebedürftigkeit.
Mangelnde Bildungsrenditen von Frauen
Mädchen haben in der Regel zwar höhere Bildungsabschlüsse, doch können sie diesen Vorsprung beim Übergang in den Beruf nicht nutzen, im Gegenteil. Die Erwerbsbiografien von Frauen verlaufen anders als die von Männern. Das beginnt bereits mit der Berufswahl: Typische Frauenberufe wie z.B. Pflege, Arzthelferin, Friseurin bieten nur wenig Aufstiegsmöglichkeiten und geringere Verdienste als die
klassischen handwerklichen und technischen Ausbildungsberufe. Soziale und personenbezogene Dienstleistungsarbeit ist in Deutschland unterbewertet. Dies hat seine Ursache auch darin, dass die so genannten Care-Tätigkeiten traditionell von Frauen getan wurden und werden – und zwar umsonst. Zudem gelten Frauen in einem männlich dominierten Alleinverdiener-Modell, auf das die hiesigen Steuer- und Sozialsysteme immer noch orientiert sind, nur als Zu-Verdienerinnen. Die Aufwertung dieser Arbeit ist mehr als überfällig.
Weitere Gründe für die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt sind Unterbrechungen der Erwerbsbiografie durch Kindererziehung, Pflege von Angehörigen sowie Teilzeitbeschäftigung und prekäre Arbeit – alles zentrale Merkmale weiblicher Beschäftigung.
Der Exklusion der Mütter vom Arbeitsmarkt
Familienpolitik bedeutete bisher in Deutschland vor allem Geld statt Infrastruktur. Das ändert sich gerade, aber die Zustände sind zäh. Gerade in Westdeutschland ist Kinderbetreuung für alle Altersklassen vorwiegend ein Teilzeitangebot, und hier steht die Armutsfalle: Vollzeit erwerbstätig zu arbeiten ist vielen Müttern von vornherein nicht möglich. Die Erwerbstätigkeit von Müttern muss somit konsequent und viel mehr als bisher gefördert werden. Dazu zählt natürlich die Bereitstellung qualitativ guter Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Ganztagsangeboten, auch für Schulkinder.
Notwendig ist an dieser Stelle eine breite gesellschaftliche Debatte über unsere Arbeitszeitmodelle – mehr noch: über die Wertigkeit von Erwerbs-, Familien- und Care-Arbeit und vor allem auch über den finanziellen Wert, den wir ihr zuschreiben. Solange die Teilhabe an Erwerbsarbeit, aber auch Karrieremöglichkeiten vor allem von den zeitlichen Ressourcen der Einzelnen abhängen, werden wir die Orientierung auf das Alleinverdiener-Modell mit seiner vorprogrammierten Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten nicht verändern können. Hier ist nicht nur der Staat gefragt, der – gerade jetzt – mit Hochdruck die Betreuungsinfrastruktur aufbaut, sondern auch Personalverantwortliche Unternehmen müssen sich Gedanken machen, welche Bedeutung sie Kinderbetreuung beimessen, um ihren Beschäftigten attraktive Arbeitsplätze bieten zu können.
Armut trotz Arbeit / Armut durch Arbeitslosigkeit
Inzwischen ist jeder zweite Vollzeit-Job in Deutschland eine Beschäftigung mit Niedriglohn. Dies gilt zunehmend auch für den tarifgeschützten Bereich. Dass von dieser Entwicklung überproportional viele Frauen (zwei Drittel aller zu Niedriglohn Beschäftigten sind Frauen) betroffen sind, liegt unter anderem daran, dass die oft von Frauen bevorzugten Berufsbilder als klassische „Zu-Verdienerinnen"-Berufe definiert und entsprechend gering dotiert sind.
Die so genannten Mini-Jobs sind nach wie vor im Kommen. Etwa zwei Drittel aller Mini-Jobber sind Frauen. Diese Jobs sind in mehrerer Hinsicht prekär, denn sie liegen in der Regel im unteren Einkommens- und Stundenbereich, d.h. ermöglichen keine Existenzsicherung. 92% der geringfügig Beschäftigten arbeiten zum Niedriglohn. In Mini-Jobs herrscht hohe Fluktuation, Aufstiegsmöglichkeiten gibt es kaum. Entgegen politischer Behauptungen bieten Mini-Jobs meist keine Brücke in den sog. ersten Arbeitsmarkt, sondern eine Sackgasse
Frauen leben länger – aber wovon? Altersarmut und Pflegebedürftigkeit
Zwar sind in den letzten Jahren einige Punkte bei den Rentenregelungen für Mütter verbessert worden, doch eigenständige Frauenrenten liegen im Durchschnitt weit unter denen der Männer. Auch im Hinblick auf Betriebsrenten und private Altersvorsorge sind Frauen schlechter abgesichert. Hier sind Boni für Kindererziehung und Pflegearbeit sowie eine generelle Versicherungspflicht in der Allgemeinen Rentenversicherung erste notwendige Schritte.
Dem Risiko, pflegebedürftig zu werden und der Notwendigkeit, Pflege im familiären Bereich oder aber als niedrig bezahlte Tätigkeit zu übernehmen, unterliegen in hohem Maße Frauen. Dass häusliche Pflege im familiären Bereich funktioniert, liegt vor allem an der noch niedrigen Erwerbstätigkeit älterer Frauen und ihrer Bereitschaft, ihre Erwerbsarbeit aufzugeben oder zu reduzieren – trotz der negativen finanziellen Konsequenzen, die sie zu tragen haben. Gerade eine veränderte Beschäftigungsstruktur, in der die Erwerbstätigkeit auch älterer Menschen zur Regel wird, wird hier neue Konzepte notwendig machen.
Fazit
Frauen sind durch ihre spezifischen biografischen Situationen also strukturell benachteiligt und unterliegen in höherem Maß als Männer dem Risiko, in Armut zu geraten.
Was hat das alles mit Gesundheit zu tun? Obwohl Frauen in den Industrieländern statistisch eine höhere Lebenserwartung haben als Männer, ist sie bei arbeitslosen Frauen niedriger als bei Männern insgesamt. Sozial benachteiligte Frauen nutzen selten präventive Gesundheitsangebote, sie weisen einen hohen Alkohol- und Tabakkonsum auf und ernähren sich häufig unzureichend. Weitere Gesundheitsbelastungen liegen in den meist schlechteren Wohnverhältnissen, der niedrigeren Qualifikation und schlechteren Arbeitsbedingungen. Dazu kommt die größere Wahrscheinlichkeit, Kinder allein aufzuziehen und die häusliche Gewalt als eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen.
Gesundheitsförderung für Frauen muss sich an deren Lebenswelten und Lebensphasen orientieren. In der Praxis bedeutet das, Modelle zu entwickeln, mit denen vor allem jene Frauen erreicht werden können, die den geringsten Zugang zu Ressourcen haben: armutsgefährdete und von Armut Betroffene, Frauen mit niedriger Bildung, Alleinerziehende, Erwerbslose, alte Frauen und Migrantinnen.
Die strukturellen Ursachen sind also sehr prägend und mächtig. Aber das ist kein Grund zu resignieren – im Gegenteil: Wir alle haben viele Möglichkeiten, uns einzumischen und so auch auf Strukturen einzuwirken! Frauengesundheitszentren sind ein wunderbares Beispiel, scheinbar übermächtigen Verhältnissen etwas entgegen zu setzen: Kompetenz, alternatives Wissen, Engagement, parteiisch für Frauen. Ich gratuliere dem Frauengesundheitszentrum Graz von ganzem Herzen zum Jubiläum und rufe euch aus dem Norden zu: Weiter so!
Ulrike Hauffe
Ulrike Hauffe ist Landesbeauftragte für Frauen des Landes Bremen und Leiterin der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau.