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ausgabe #82. prosa. elisabeth sarkleti

rucksack. straße. mensch.

Der Versuch einer Verknüpfung


Während wir die Straße dazu nutzen, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen, so dient uns der Rucksack dazu, Gegenstände von einem Ort zum anderen zu transportieren. Der Rucksack ist also mit der Straße untrennbar verknüpft, ja, er verlangt sogar nach ihr, um seiner Funktion gerecht zu werden. Auf ihr begegnet er uns in allen möglichen Formen, Farben und Varianten. Mal tragen wir ihn selbst, mal sehen wir ihn an anderen Rücken, mal lehnt er an der Straßenecke, mal besetzt er einen Platz im öffentlichen Verkehrsmittel.
Für welches Modell Rucksack wir uns entscheiden, hängt nicht zuletzt von den Kriterien Funktion, Passform, Budget und Aussehen ab. Welcher Rucksacktyp bin ich? Sportlich-lässig, abenteuerlich, spontan, reisend, unscheinbar oder modern? Was sollen andere Menschen denken, wenn sie meinen Rucksack sehen? Sehen wir die Straße als Bühne, so kann der Rucksack als Requisit zur Inszenierung des Selbst eine wichtige Rolle einnehmen. Sein symbolhafter Charakter trägt dazu bei, Persönlichkeiten zu gestalten und Individualitäten zu präsentieren.
Ob aus Natur- oder Chemiefaser, Mischgewebe oder echtem Leder: Mit Hilfe eines Rucksacks tragen wir Privates hinaus in den öffentlichen Raum. Lässt so der Rucksack diese vermeintlichen Grenzen zwischen öffentlich und privat für einen kurzen Moment verschwinden oder ist sein abschirmender Stoff nur ein weiterer Zaun vor dem Eigenheim? Macht diese Ambivalenz gar einen Teil seiner Faszination aus? Ein Stück Stoff – oder welches Material auch immer – das es ermöglicht, so sesshaft, so verdeckt, so intrinsisch und gleichzeitig so mobil, so offen und so extrinsisch zu sein.
Wollen wir bestimmte Gegenstände bewusst vor der Öffentlichkeit verbergen? Es stellt sich die Frage, ob wir die selben Gegenstände in der gleichen An- und Unordnung in unserem Rucksack platzieren würden, wenn die Außenhülle des Rucksacks aus einem transparenten Material gefertigt wäre. Könnte der durchsichtige Rucksack auf einer öffentlichen Straße gar einen Gegenentwurf zum Rückzug ins Private darstellen?
Die Redewendung „aus dem Koffer leben“ lässt sich umgemünzt auf den Rucksack aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Ein Mensch, der auf die Straße als Lebensmittelpunkt und Wohnmöglichkeit angewiesen ist, wird eventuell tatsächlich wortwörtlich aus seinem Rucksack leben müssen. Steht Menschen keine Absicherung in Form einer Wohnung oder eines Zimmers zur Verfügung, kann bzw. muss ein Rucksack zumindest teilweise Raum bieten, um sich das Leben zu organisieren. Auf nicht einmal einem halben Quadratmeter müssen lebensnotwendige Alltagsdinge Platz finden. Ob unter der Bedingung des Lebensnotwendigen noch ausreichend Raum für persönliche Gegenstände und Erinnerungen bleibt, ist fraglich.

Ein reisender Mensch, der relativ frei von ökonomischen Zwängen drei Wochen seines Lebens die Straßen von Indien erkundet, um danach wieder in seine eigenen vier Wände zurückzukehren, wird dem Ausdruck des „aus dem Rucksack Leben“ wahrscheinlich eine andere Bedeutung beimessen. Im Hintergrund der lockeren Phrase steht hier die Gewissheit, dass der Zustand des „aus dem Rucksack Leben“ nach getaner Reise – oder auch früher – wieder enden wird. Mit dieser Sicherheit lebt sich´s wohl anders aus dem Rucksack, nur scheinbar so, als wüsste man noch nicht, wann dieses Leben sich wieder ändert. Als Reisender sucht man sich diesen vermeintlich abenteuerlichen Zustand bewusst aus, während man als obdachloser Mensch schließlich wenig Wahlmöglichkeiten hat.
Der Rucksack kann Menschen auch als Werkzeug für politisches Engagement auf der Straße von Nutzen sein. Er dient AktivistInnen dazu, notwendige Dinge für eine Demonstration zu verstauen. Oftmals werden gar Packlisten vor Demonstrationen erstellt. Es gilt, für etwaige Ereignisse wie Pfefferspray-Attacken gewappnet zu sein. So finden sich in Rucksäcken von AktivistInnen beispielsweise häufig Plastikflaschen mit Wasser, Verbandsmaterialien, Stadtpläne, Taschenlampen, warme Kleidung oder politische Transparente.
In welcher Form auch immer ein Mensch kurz- oder langfristig aus dem Rucksack lebt oder sich mit ihm auf öffentlichen Straßen bewegt, ein Moment ist allen Situationen gemein: Im Rucksack findet sich all das, was die Straße als öffentlicher Raum in jener Zeit des Aufenthaltes für die betreffende Person nicht bietet, sei es aus zeitlichen, ökonomischen, sozialen oder anderen individuellen Gründen.
Im Endeffekt ist ein Rucksack nur ein Stück Stoff oder sonstiges Material. Die individuelle Bedeutung aber kann je nach Lebenssituation eines Menschen extrem abweichen: lebensnotwendige Umhüllung, symbolhaftes Accessoire oder gar Werkzeug für politisches Engagement.  


Elisabeth Sarkleti

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