ausgabe #82. bericht. jo menhard
standpunkte
Straße, Datenverkehr und Öffentlichkeit
Liest Du diesen Text vielleicht gerade am Bildschirm zu Hause? Oder am Mobiltelefon unterwegs im Bus? Vielleicht direkt auf der Straße?
Die Straße gilt nach wie vor als der öffentliche Raum schlechthin. Der Raum, über den gesellschaftliche Machtverhältnisse ausgehandelt werden. Der Raum, der kontrolliert und in dem Fehlverhalten (wenn auch nur durch strafende Blicke) sanktioniert wird. Der Raum, in dem erkämpft und erstritten wird, wer sich diesen Raum wie zu Eigen machen kann und darf. Aber – zunehmend wird Öffentlichkeit unabhängig vom lokal Augenscheinlichen hergestellt, indem über das Internet Brücken zu Räumen geschlagen werden, die ohne dieses nicht zugänglich oder gar nicht existent wären. Wenn wir also von der Straße als einem öffentlichen Raum sprechen, muss wahrgenommen werden, dass dieser physische, gebaute Straßenraum unweigerlich mit dem virtuellen Raum verwoben ist.
Vielleicht würdest Du den Ort, an dem Du dich gerade befindest, nicht als einen besonders öffentlichen betrachten – vielleicht bist Du gerade alleine, hast alle Türen geschlossen und die Vorhänge zu, sodass dich zumindest niemand sehen kann. Aber – hast Du schon mal darüber nachgedacht, dass Dein Sein, an dem Ort, wo auch immer Du gerade bist, auf den Punkt gebracht werden könnte? Einen einzigen Punkt im Koordinatensystem, das die Erde umspannt? Ein Punkt, der zum Beispiel auf einer Karte mit Straßen, Gebäuden und Plätzen oder mit Flüssen und Bergen, dargestellt werden könnte? Ein Punkt, der sich zu anderen Punkten in Beziehung stellen und in Verhältnisse setzen lässt?
Wenn Du gerade ein Mobiltelefon bei dir hast, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Dein Standpunkt in diesem Moment zuverlässig mittels GPS- oder WLAN-Ortung bestimmt werden kann. Mit diversen Anwendungen, die sich auf Deinem Smartphone befinden, kannst Du ihn spielerisch ermitteln und dir auf einer Karte zeigen lassen. Durch die Standortpositionierung im gebauten Raum ergeben sich neue Möglichkeiten und Praktiken der Raumaneignung, aber auch der Steuerung und Kontrolle von Bewegung, denn Dein Standort ist letztlich nicht nur für dich sichtbar. Die Forscherin und Medienkünstlerin Carolyn Guertin fügt angesichts dieser zunehmenden Verfügbarkeit GPS-basierter Tools an, dass wir über die letzten Jahre nach dem Internet of data und dem Internet of things nun mit dem Internet of actions bzw. of bodies-in-motion konfrontiert seien. (1)
Für die Software ist Dein sich bewegender Körper vielleicht nur ein Punkt im Koordinatensystem der Erde, doch zweifellos sind unsere Körper, wie etwa die Medienkünstlerin Teri Rueb schreibt, zunehmend verwoben mit Tools und Technologien, wobei Kartographien im Zuge dessen gewichtigen Einfluss auf unser Bewusstsein, unsere Selbstwahrnehmung und Handlungsfähigkeit nehmen. (2) Es geht um die Vermessung und den Wunschtraum von einer möglichst genauen Abbildung von uns selbst, von unserem Alltag, von der Welt, in der wir leben. Und weiter um das Festhalten von Weltbildern, Vorstellungen und Ideologien in Kartographien, die über den virtuellen Raum hinaus unser Handeln im sozialen und gebauten Raum beeinflussen.
Beispielsweise übernehmen Smartphone-Anwendungen wie Swarm von Foursquare die Funktion eines Erinnerungsspeichers, für den sich durch den Raum bewegenden Körper, der das räumlich Erlebte in Chroniken von besuchten Orten sammelt und mit dem Spruch „Überall erinnern“ wirbt. Weiters werden die Orte, an denen wir uns aufhalten, mit denen unserer Freund*innen aus sozialen virtuellen Netzwerken verglichen oder wir werden auf mögliche Orte und Menschen, mögliche Erlebnisse und Begegnungen aufmerksam gemacht. (3) Wir sind mit Bewertungen alltäglicher Erfahrungen konfrontiert, swipen links und swipen rechts, um Bekanntschaften in unserer Nähe zu finden. Wir können uns schnellstmögliche Geh- und Fahrtrouten ausgeben lassen und uns anhand der Erfahrungen anderer Menschen, die wir persönlich nie getroffen und mit denen wir uns nie unterhalten haben, leichter Urteile bilden und Entscheidungen fällen. Unzählige Möglichkeiten erweitern den Erfahrungsraum und verändern Formen von Öffentlichkeit und den Umgang mit Daten.
Dass diese Daten von diversen Anwendungen gespeichert und veräußert werden, mag wenig verwundern, denn Standortdaten sind wertvoll. Sie zeigen, wo und wie sich Menschen aufhalten und fortbewegen, und geben – verknüpft mit weiteren Informationen, die wir von uns mitteilen – tiefe Einblicke in unseren Alltag. Bei einem Selbstversuch zeigte der Informatiker und Psychologe Jens-Martin Loebel, dass nur rudimentär aufgenommene Standortdaten einer Person in einem Zeitraum von drei bis vier Wochen ausreichen würden, um Vorhersagen über das zukünftige Verhalten einer Person mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 90 % treffen zu können. (4) Und das, ohne weitere Daten zu den Standortdaten hinzuzuziehen. Das Missbrauchspotenzial von gesammelten Daten ist dementsprechend hoch, wenn vielerlei Daten, die laut EU-Datenschutzverordnung zu den persönlich(st)en Daten zählen, unweigerlich und unbemerkt mit gesammelt werden: Name, Geburtsdatum, Foto, E-Mailadresse, Telefonnummer, Videoaufnahmen, Stimmerkennung, Interessen, Geschlecht, Daten zum Sexualleben, zu Überzeugungen, zu Mitgliedschaften usw.
Doch die Konsequenz soll dabei keineswegs der Verzicht und das Ignorieren der gewonnenen Möglichkeiten sein, sondern es muss nach Loebel etwa zum kritischeren Umgang mit Software angeregt werden, die unter anderem auch Standortdaten sammelt, mit weiteren Daten anreichert und verwertet. Darüber hinaus ist insbesondere das Datenschutzrecht so zu gestalten, dass der Missbrauch persönlicher Daten verhindert wird.
Der virtuelle Straßenverkehr und Datentransfer scheint zwar unübersichtlich und intransparent, aber auch er braucht Rahmenbedingungen zum Schutz der Verkehrsteilnehmer*innen. Letztlich brauchen alle öffentlichen Räume Ordnungen und Regeln, die Machtungleichheiten zu kompensieren und Persönlichkeitsrechte zu wahren versuchen. Das Einholen der Zustimmung zur Datenausbeutung ist nicht genug. Wir müssen entscheiden und auch verantworten dürfen, wohin unsere Daten fließen.
GPS Standpunkte?
Beim Mobiltelefon lassen sich die Standorte ihrer Nutzer*innen sehr präzise bestimmen. Hauptsächlich werden hierzu Mobilfunknetze, Bluetooth, WLAN oder GPS verwendet, wobei Letzteres die höchste Genauigkeit bietet, jedoch die WLAN-basierte Ortung – anders als die GPS-basierte – auch in Gebäuden treffgenau ist.
GPS (Globales Positionsbestimmungssystem) bezeichnet das ab den 1970er Jahren vom US-Verteidigungsministerium entwickelte Satellitennavigationssystem, welches Anfang der 2000er Jahre für die Zivilgesellschaft vollständig zugänglich gemacht wurde. Mittlerweile wird der Begriff für verschiedenste Satellitennavigationssysteme verwendet und ist neben dem Mobiltelefon in die Nutzung vielerlei elektronischer Geräte integriert.
Obwohl GPS grundsätzlich ein rein passives System ist und lediglich Standortinformationen liefert, erfolgt der Abgleich mit Karten durch Anwendungen, die eine Internetverbindung des Mobiltelefons benötigen und zudem meist proprietär sind. Daraus folgt, dass Standortinformationen zwangsweise an Unternehmen übertragen und von diesen verarbeitet und mit weiteren Daten angereichert werden können.
(1) Vgl. Carolyn Guertin: Mobile Bodies, Zones of Attention, and Tactical Media Interventions. In: Wolfgang Sützl und Theo Hug (Hg.):
Activist Media and Biopolitics. Critical Media Interventions in the Age of Biopower. Innsbruck: Innsbruck University Press 2012, S. 17-28,
hier S. 17.
(2) Vgl. Teri Rueb: This is (not) a map. In: Regine Buschauer / Katharine S. Willis (Hg.): Locative Media. Medialität und Räumlichkeit.
Multidisziplinäre Perspektiven zur Verortung von Medien. Bielefeld: transcript 2013, S. 137-150, hier S. 139.
(3) Informationen zur Applikation unter www.swarmapp.com
(4) Vgl. Jens-Martin Loebel: Geolokation mittels GPS–Überwachung im Selbstversuch. In: Regine Buschauer / Katharine S. Willis (Hg.):
Locative Media.. Medialität und Räumlichkeit.Multidisziplinäre Perspektiven zur Verortung von Medien. Bielefeld: transcript 2013, S. 151-166, hier S. 160.
Jo Menhard