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ausgabe #65. proa. rado poggi

wir freidenker retten die welt!


Der Titel mag überzogen klingen, aber ziehen wir in Betracht, dass wir, im sog. westlichen Abendland wohl derzeit trotz allen Jammerns immer noch das komfortabelste Leben auf unserem Planeten führen, sind wir es in der Konsequenz, die auch die Verantwortung tragen, eben dies zu versuchen. Vielleicht ist es auch unsere einzige Überlebenschance. Lassen wir einmal alles wohl Bekannte der nun bereits einige Jahre andauernden Krise, welcher auch immer, außer acht. Andere schenken diesen bereits viel zu viel Aufmerksamkeit.

Ist es uns bewusst, das wir nicht in einer Krise der Finanzen, der Ökonomie als solche, sondern in einer Krise der Identität stecken? Eine Krise, die ursprünglicher nicht sein könnte. Börsen müssen schwanken, es liegt in ihrer Natur, Unternehmen, seien sie klein, mittel oder groß, müssen scheitern und machen so gleichzeitig auch Platz, für die Gründung anderer, neuer. Das ist der Lauf der Dinge, so war es immer, zumindest seit ich, mit meinen 40 Jahren, denken kann. Geht man weiter zurück, war es vielleicht anders, aber das ist nicht unser Thema, denn wir haben ja eben diese, gegenwärtigen Themen zu bewältigen. Es sind Fragen, die bereits unsere Väter und Mütter in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts stellten, die bis heute keine konsequente Antwort gefunden haben. Es sind Fragen zur Ökologie, der Nachhaltigkeit, Fragen zur Existenz des Menschen generell, welche wir bis heute verdrängten. Erfolgreich haben wir mittels unseres überschwänglichen Konsums verdrängt, was nicht augenscheinlich war, aber nun seit einigen Jahren ist. Weshalb wir es verweigern die vergangenen, bereits gut durchdachten Ansätze dieser Jahre neu aufzunehmen und versuchen kulturell gewachsene Paradigmen so zu verändern, ist mir nicht klar. Man findet sie in fast allem, was in jenen Jahren geschaffen wurde. Wir haben viele Kunstgeschichtler, Historiker und andere Geisteswissenschaftler, die wir zwar erzogen haben aber scheinbar gleichzeitig zu zahmen Denkern verkümmern ließen. Sie sollten frei denken, ja, aber gleichzeitig lernen, dies innerhalb der Normen zu tun, die unsere Gesellschaft vorgab. Gibt es denn noch wirkliche Freidenker, progressive, den Menschen liebende Köpfe? Es gibt sie, das ist sicher und das ist unser Glück. Man findet sie abseits von allem Landläufigen und vor allem abseits von dem, was uns zugetragen wird. Man muss sie suchen, um sie zu finden. Und wer sie sucht, ist bereits dort, wohin wir hoffentlich bald alle den Weg finden. Dort, wo man erneut versuchen möchte zu begreifen, weshalb wir grundsätzlich auf diesem Planet sind, was der Sinn des Lebens ist und vor allem wie man, alle, dieses Leben lebt.

Eben an diesem Punkt könnte man die Stärke der Kunst in allen ihren Ausprägungen verorten, welche die entscheidenden Fragen aufwirft und in die Debatte trägt. Sie kann, sei es mit Musik, Theater, Literatur oder auch den visuellen und bildenden Disziplinen, das Neue vorzeichnen, skizzieren. Sie müsste das tun und hätte es unaufhörlich tun müssen, nur gab es da ein Dilemma, weshalb wir heute auch in einer Krise stecken.

Auch als Künstler lebt man nicht von Luft und Liebe und da man als Kreativer angewiesen ist auf Freiraum, um der Kreativität auch Möglichkeit zu geben, sich zu entfalten, entfaltete sich eine Kunst des Schöngeistes, könnte man sagen, richtiger wäre es allerdings von einer Kunst der Verdrängung zu sprechen. Die Kunst, die sich in sich selber verloren hat, die Sklave des Fördertums wurde. Das ist die Kunst, die wir heute in der gegenwärtigen Generation von Künstlern vorfinden, die Kunst des Einzelnen, der sich zu behaupten versucht, im Kampf gegen die Konkurrenz. Was für einen Irrsinn wir doch als Theorem zu akzeptieren gezwungen wurden! Ein Förderer, der, sei er staatlich oder privat, keinen Mut hatte und bis heute nicht hat, die eigene Existenz in Frage stellen zu lassen - das ist der Vorwurf, den wir den Förderern machen müssen, lautstark! Er hat den Künstler, vielleicht im Ursprung ein Quell der Reflexionen über das Hier und Heute, bei dem Versuch des Spagats zwischen neuem, revolutionären und dem auf dem Markt funktionierendem zu einem Entertainer werden lassen, dessen Kunst sich messen muss mit Massenveranstaltungen und Super-Shows. Kunst als Geldanlage, kann man das denn überhaupt glauben? Der Revolutionär, der im gleichen Moment harmlos genug ist, um eben und gerade mal das täglich Brot zu verdienen. Es ist uns gelungen, einen politisch korrekten Revolutionär zu erschaffen, der heute nutzloser denn je ist. Ein Kunststück, ohne Frage. Der Künstler, der kompromisslos seiner Überzeugung folgt, seine Obsessionen akzeptiert und sie stur wie ein Priester propagiert, den findet man zwar auch heute, wie den freien Denker, aber erst dann, wenn man ihn bewusst sucht.

Hier ist der Ansatz und der Grund meines kurzen Aufsatzes. Sucht! - und wir, die wir bereits suchen, müssen beginnen, dieses in uns auf die eine oder andere Weise gewachsene Bewusstsein zu verbreiten, mittels Diskussionen, web-posts, kurz mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln! Nicht müde werden, nicht aufgeben!

Wir Künstler, Kunstproduzenten, Schreiberlinge und Denker müssen aufhören Kompromisse zu machen. Wer sonst kann den Anfang, kann Schule machen. Es wird hier und da weh tun, dieser Weg ist gezeichnet von Schmerz und Verzicht, vor allem für uns, die wir trotz allem immer noch von eigentlich allem mehr haben. Einen Trost allerdings gibt es: Wir Querdenker sind es gewohnt zu verzichten, uns sollte es daher auch leichter fallen solidarisch zu sein. Solidarisch im wirklichen Sinne, also teilen was wir haben und nicht im degenerierten, abendländischen Sinne weitergeben, was man zu viel hat.

Vergessen wir nicht, dass wir immer noch in einer Welt leben, in der alle paar Sekunden ein Kind an den Folgen von Unterernährung stirbt. Dafür sollten wir uns schämen. Wir, und ich spreche hier vom westlichen Abendland, also vor allem Europa und die USA, sollten uns bewusst machen, dass wir nicht notwendigerweise unerschütterlich sind, unser Wohlstand hängt an einem seidenen Faden und wird in Zukunft eng damit verbunden sein, wie wir unsere Verantwortung dem Rest der Welt gegenüber wahrnehmen. Der Rest der Welt hat keinen Grund, mit uns milde ins Gericht zu gehen, wir waren und sind immer noch unbarmherzig in unserem Denken und Handeln, arrogant könnte man sagen. Der Grund dafür ist keine uns innewohnende Bösartigkeit, sondern wohl eher die eigene Unfähigkeit auf die Gegenwart zu reagieren. Wir haben den Wohlstand nicht gepachtet, wir haben viel geschaffen, viele Probleme und Errungenschaften erfolgreich vorangetrieben, viele mussten darunter leiden, vielleicht war das auch der Preis dafür (das steht hier nicht zur Debatte), aber heute ist es anders, heute müssen wir die Welt und deren Kulturen mit einer partizipativen Philosophie integrieren, wie es im Ursprung die Idee eines vereinten Europas war. Dies muss die Aufgabe der sogenannten ersten Welt sein. Es scheint, betrachten wir die Weltgeschehnisse genauer, dass wir aus Verzweiflung, unseren Wohlstand zu verlieren, exponentiell Elend provozieren, gleichzeitig unsere Güter verkaufen und uns wieder, wenn auch nur kurz und kurzsichtig, in Sicherheit wägen. Hören wir auf uns gegenseitig anzulügen, bereits der Dümmste hat unsere dreckigen Tricks begriffen, ja, wendet diese sogar uns gegenüber an. Diese Spirale der Ungerechtigkeiten kann uns nirgends anders hinführen als zu einem „Point of no return“, unnötig und sicherlich nicht gewollt. Die Zeiten, des vermeintlich exklusiven, fortschrittlichen Abendlandes sind zu Ende. Unsere Insel des Wohlstands ist begehrt und heute auch erreichbar, wie wir unschwer an den Flüchtlingszahlen der letzten Jahre sehen. Wir leben nicht mehr so ruhig wie noch vor einigen Jahren, wir müssen uns die Ursachen dafür klar machen und auch ein klares mea culpa ist hier angebracht. Vor allem müssen wir akzeptieren, das wir unglaublich, ja unglaublich viele Menschen auf diesem Planeten sind, die alle die selben Rechte haben. Wo wir diese Rechte, in der Vergangenheit anderen vorenthalten haben, muss dies endlich geändert werden. Je eher wir das begreifen, desto besser. Dem Elend, das wir in Vergangenheit schufen, um unseren Fortschritt zu bewerkstelligen, kann nur begegnet werden, indem wir beginnen das Prinzip der Teilhabe zu leben. Wir haben die Fähigkeit, denke ich, diesen entscheidenden Moment in der Geschichte erfolgreich zu meistern, allerdings, ich wiederhole mich, müssen wir bei uns selber damit beginnen. Andere Menschen in anderen Teilen der Welt haben das selbe Recht auf ein Leben. Dieses nun, das Leben selbst also, in diesen neuen Dimensionen zu definieren, muss unsere Aufgabe sein. Denn unsere existentiellen Ängste können wir nur gemeinsam bewältigen, jeder hat diese Angst, rationell gedacht, aber unnötigerweise.

Ich lade hier alle dazu ein, wirkliche Progressisten zu werden, vergessen wir die Spaltungen der Vergangenheit, echter Humanismus ist das einzige, was uns retten kann. Die Welt muss neu gedacht werden, das neue Paradigma muss das Alte sein: Libertè, Fraternitè et Egalitè, global!


Rado Poggi

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