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ausgabe #41. kolumne. evelyn schalk

art_ist/s. widerstandsrollen und –realitäten

Bernhard Dechant

„Ich befinde mich offiziell im politischen Widerstand.“ Ein Statement, das eine Haltung ist und „ungeahnte Freiheiten“ zur Folge hat. Ein Statement, das Handeln bedeutet, Verantwortung und Konsequenz.

Er hat unter Peymann sein Debüt an der Burg gegeben, Helmut Dietls Förderungsangebot in den Wind geschlagen und stattdessen Jahre später bei Schlingensief seine Regie-Kenntnisse professionalisiert.

Er hat Bootsflüchtlinge auf Lampedusa getroffen und für seine Orestes-Verkörperungen tosenden Applaus nicht nur vom Publikum, sondern auch vom Feuilleton erhalten.

Und er hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, vom österreichischen Boulevard ins Visier genommen zu werden, dass dabei nichts und niemand im persönlichen Umfeld verschont bleibt.

Ach ja, einen Namen macht er sich zwar gerade mit seinen energiegeladenen Engagements, hat aber trotzdem bereits einen: Bernhard Dechant, 35, ist weder in Österreich noch in Deutschland ein Unbekannter in der, je nach Einschätzung zusehends zum Einheitsbrei verkommenden oder immer unübersichtlicher werdenden Theaterbranche. Vier Jahre war er fixes Ensemble-Mitglied im Theaterhaus Jena, seine eigenen Regie-Arbeiten liefen in Berlin, Jena, München, Wien etc.
In Graz stand er diese Saison in „Boat People“ auf der Probebühne des Schauspielhauses – einer Produktion, die im Rahmen der Kooperation „Emergency Entrance“, an der sechs europäische Theater sowie ein israelisches beteiligt sind und das sich der ambitionierten Aufgabe der Auseinandersetzung mit der „Festung Europa“ auf der Bühne – aber eben nicht nur dort – verschrieben hat. Die Grazer Besetzung reiste für einige Tage nach Lampedusa, um sich vor Ort über die tatsächliche Lage kundig zu machen, Eindrücke zu sammeln, – und zwar mit eigenen Augen, anstatt aus interessensgesteuerten Berichten. Das entspricht auch der Herangehensweise von Dechant – selbst hinschauen, statt sich mit vorgekauten „Informationen“ abspeisen zu lassen. Tatsächlich kam während des Aufenthalts der GrazerInnen ein Flüchtlingsboot mit über 800 Menschen an Bord an und wurde von Polizei, Rettungskräften und NGOs in Empfang genommen.

Boulevard in Uniform

Auch einige Filmsequenzen sollten vor Ort gedreht und danach ggf. auf der Bühne zum Einsatz gebracht werden, darunter eine Szene mit Dechant in Gaddafi-Uniform – um auf die Scheinmoral des Westens aufmerksam zu machen, der Libyens Herrscher jahrzehntelang hofierte und Flüchtlingslager auf libyschem Gebiet finanzierte, um schließlich eine 180-Grad-Wende zu vollführen. Beim Interview mit dem Vize-Bürgermeister, der zuvor sein Einverständnis gegeben hatte, war also Dechant als Gaddafi anwesend – und wurde beim Verlassen von dessen Büro prompt von „Privatpolizisten aufgehalten, Ausweise wurden kontrolliert, immer mehr Leute kamen dazu“, aber letztlich verlief die Sache problemlos, alles war genehmigt, man wurde nicht weiter behelligt. Eine zweite geplante Sequenz, in der Gaddafi am Strand aus dem Meer steigen und in der EU um Asyl ansuchen sollte, wurde wieder verworfen. Kurz darauf erschienen in der italienischen Yellow Press Artikel, die von einem Gaddafi auf Lampedusa berichteten, der die Menschen zu Tode erschrecke und ein Österreicher dahinterstecke, der nun in Haft sei. Drei Tage später hatte die Kronen Zeitung die Geschichte aufgegriffen, man mutmaßte, wer der Betreffende sei, nicht einmal das Außenministerium wisse bescheid und weitere haarsträubende Meldungen. „Immer wieder fiel mir dabei ein, was der Vize-Bürgermeister von Lampedusa zu uns gesagt hatte, nämlich dass nicht die Migration ihr Problem sei, sondern diese Terrorpresse, die von Tbc, Leichenteilen und Ausnahmezustand auf der Insel schwadronierte – was definitiv nicht stimmt, es war dort sehr ruhig, sogar so eine Rettung wie wir sie sahen, läuft ganz ruhig, zivilisiert und sehr routiniert ab.“ Man beschloss, keinen weiteren Skandal zu provozieren, obwohl man mittels Videomaterial sämtliche Spekulationen hätte entkräften können. Doch es ging weiter, die Krone hatte Dechants Personalien herausgefunden und bombardierte den Schauspieler sowie dessen gesamte Familie mit Anrufen und Statementforderungen, nicht einmal der gerade im Krankenhaus befindliche Vater Dechants blieb verschont. Drei Tage lang schrieb sich der Boulevard die Finger wund, am vierten musste die Krone eine Gegendarstellung veröffentlichen. Drei Tage, während derer den betreffenden Journalisten längst klar war, wie es wirklich abgelaufen war, Dechant selbst hatte die Redaktion kontaktiert, die Sache richtig gestellt. Drei Tage, innerhalb derer sich der Schauspieler wüste Beschimpfungen, Postings u.ä.m. gefallen lassen musste, drei Tage zittern um die Premiere. „Es bestätigt wirklich alles“ so Dechant, „ wenn man das so am eigenen Leib mitkriegt, dass Null von dem wahr ist, dann liest man danach nochmal anders, dann ist es wirklich ganz aus, jetzt glaub ich diesen Massenmedien gar kein Wort mehr.“ Und setzt hinzu: „Ich guck mir die Dinge lieber selbst an, das hab ich schon immer gemacht.“

art_ist/s. foto

BOAT PEOPLE Im Rahmen des internationalen Theaterprojekts
EMERGENCY ENTRANCE


Kunst und Information und Handeln und…

„Boat People“ geht vom theatralischen Auftakt, der sich an herrschenden Klischeebildern abarbeitet in einen Zitat-Leseteil, von diesem wiederum in die Vorführung der auf Lampedusa gedrehten Filmsequenzen über um in einer Publikumsdiskussion zu münden – hat also mehr dokumentarischen als theatralischen Charakter und Methode. Auf die Frage, ob man angesichts der Situation an sowas wie die künstlerische Grenze kommt, an der man zweifelt, wie man mit dem Material umgehen, mit den Erfahrungen fertig werden soll bzw. ob diese noch künstlerisch verarbeitbar seien, antwortet Dechant: „Ich glaube, wir sind mit dem Theater sowieso längst an dieser Grenze und finde das auch gut so und ganz wichtig.“ Er plädiert für eine weitere Öffnung des Theaterraumes, gleichzeitig ortet er „ein starkes Wollen bei den Leuten, Informationen von jemandem zu bekommen, der nicht Politiker oder Teil der Massenmedien ist.“ Eine Einschätzung, die sich beim Besuch von „Boat People“ bestätigt, fast alle bleiben während der anschließenden Diskussion im Saal, die angeregt und intensiv ausfällt.

Doch damit ist es nicht getan: „Das muss sich die ganze Kunst überlegen, wenn sie‘s nicht tut, wird es sie eben nicht mehr lange geben.“

Offene Räume, Aufklärungsgedanken, die nicht von engagierter Kunstpraxis trennbar sind, im besten Brecht’schen Sinne, jedoch mit äußerst zeitgemäßer Methodik.

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Foto: www.bernhard-dechant.at / Robert Gärtner



Die Bretter, die die Weltrettung bedeuten

Demgemäß sind auch die eigenen Projekte von Bernhard Dechant äußerst kritisch angelegt, haben zusehends immer mehr mit Information über wirtschaftliche Zusammenhänge zu tun. Oft geht er dabei selbst an die Grenzen, jene der zumutbaren Wahrheiten.

IWF-Forderungen, wie sie auch an Österreich ergehen, die besagen, man habe die Weltwirtschaftskrise zwar eh gut überstanden, trotzdem müsse man sparen, und das heiße a) privatisieren, b) weg mit Kunstsubventionen und c) Beschneiden des Sozialsystems versetzen ihn in Rage – und die ist keineswegs gespielt.

„Bei der ersten Aufklärung wurden Staat und Kirche getrennt, jetzt brauchen wir eine zweite, um Wirtschaft und Staat zu trennen“ so Dechant, „denn der Staat muss die Möglichkeit haben, sich darum zu kümmern, was für ein Volk gut ist – aber das Volk besteht nicht nur aus der Wirtschaft!.

Sein erstes eigenes Stück hieß „Aktion Sorgenkind“, dafür hatte man zum Thema Geld recherchiert, von den Ursprüngen vor Christus bis ins Hier und Jetzt. „Ab den 1970er Jahren ist zu sehen, was im Zuge der Entwicklung unter dem Motto ‚Wir gewinnen den Kalten Krieg nicht mit Waffen, sondern wir gewinnen ihn durch unserer Wirtschaft‘ losgelassen worden ist.“ Die Handlung von „Aktion Sorgenkind“ entwickelt sich anhand von Motiven aus Hauffs Märchen „Das kalte Herz“, es geht um Widerstand und Isolation und „zeigt auf, weshalb Menschen ihr lebendiges pochendes Herz gegen ein kaltes steinernes eintauschen, sobald das Versprechen, in der Mitte der Gesellschaft ihren Platz zu finden greifbar wird.“ Dechants Herangehensweise ist alles andere als konventionell, oft satirisch, manchmal ins Zynische kippend, was nicht weniger als die Hilflosigkeit des ersten Blicks offenbart angesichts der herrschenden Zustände, aber sich gleichzeitig nicht mit diesen abfindet, sondern wütend aber zielstrebig Veränderung einfordern – „Der Anspruch an diese Zeilen ist kein geringerer als die Welt zu retten“, heißt es im Begleittext zu „Aktion Sorgenkind“. Alles zu wollen, nicht vor Utopien zurückzuscheuen, diese im Gegenteil als notwendig zu betrachten und für ihre Umsetzung keine einfachen Rezepte, wohl aber reflektierte, vielschichtige Auseinandersetzungen parat zu haben – das zeichnet Dechants Regie- wie Rollenarbeiten aus.

Von Helden, Irren und Erlösern

Die Plakate von „Kinski mein bester Freund“, auf denen selbiger einträchtig neben Obama zu sehen ist, finden sich in Wien an jeder Straßenecke und haben mittlerweile schon sowas wie Kultstatus. Eine entsprechende Portion augenzwinkernder Größenwahn gehört schon dazu, mit Kinski in bühnenvertrauten Dialog zu treten – doch das ungerührte Beharren des Einzelnen gegen eine scheinbar kollektive Opposition (das Stück nimmt auf die Kinski-Lesung im Doku-Film „Jesus Christus Erlöser“ bezug, während derer nicht nur beinah das gesamte Publikum protestierend den Saal verließ, die Polizei einschritt und den Abend abbrach, um Kinski schließlich für einen verbliebenen, doch umso interessierteren ZuhörerInnenrest die Lesung von vorn beginnen und auch zu Ende bringen zu lassen) ist es, das Dechant fasziniert – die Sollbruchstellen des einsamen Helden, die wirksame Unbeirrtheit, die schließlich etwas ganz Besonderes schafft. Geben und Nehmen des Schauspielers, das Stück ist mittlerweile in Wien einmal monatlich zu sehen und der Text verändert sich noch immer laufend. Die Reflexion „über das, was in den 1970er Jahren zerbrochen ist; Kinski als erste Ich-AG, der Ur-Ego-Kapitalist, gleichzeitig der Abgleich mit der christlichen Lehre, die ersten Fake-Biographien, mit denen er dann merkte, man kann als Irrer auch super leben. Das wird ihm ja nach wie vor vorgeworfen.“ Gleichzeitig ist es eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Position, der eigenen Rolle bzw. Realität.

Foto:  www.bernhard-dechant.at


Für seine eigenen Projekte führt Dechant Regie, textet, inszeniert, filmt und was sonst noch alles. Sein Engagement sieht er mittlerweile als Aufgabe, während ihm die „klassischen“ jedoch um nichts weniger ausdrucksstark verkörperten Bühnenrollen nach wie vor Spaß machen und fürs Jahreseinkommen sorgen. Dass das der Schauspielausbildung vorangegangene Psychologie-Studium die Fähigkeit, sich in Menschen hineinzuversetzen, befördert hat, liegt auf der Hand.

Seine Position des politischen Widerstands lässt ihn auch über entsprechend radikale Theateraktionen nachdenken, „künstlerische Terrorakte“, wobei es ihm nicht ums Provozieren um der Provokation willen geht, sondern vielmehr um das Anstoßen von Diskussionen und brisante Thematiken kritisch zur Sprache zu bringen. „Es geht mir nicht ums Provozieren, sondern ums Denken.“

Spiel und Realität sind nicht mehr zu trennen, alles ist real, vor allem die Folgen – und sie müssen es sein.

Derzeit probt Bernhard Dechant in Jena für „Gotham City III“, ein Fortsetzungsstück, bei dem die ganze Stadt Bühne ist – und für Wien plant er die eine oder andere subversive Theateraktion, seine Gaddafi-Erfahrungen dürften dabei keine unwesentliche Rolle spielen.

Evelyn Schalk

 

Die Homepage von Bernhard Dechant ist unter http://www.bernhard-dechant.at/ abrufbar.

 

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