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ausgabe #34. art_ist/s. evelyn schalk

art_ist/s. flammenwerfer an der projektionsfront

Hans Nevídal

 

„Platonischer Pyromane“ wurde er schon genannt und auch er selbst behauptet von sich, dass er gerne zündelt. Denn der Funke, den er überspringen sehen will, ist kein geringerer als jener des Widerstands gegen  Denkverweigerung. Da ist er Feuer und Flamme und riskiert schon mal, sich mit seinen Aktionen die Finger zu verbrennen - und mit Brandwunden kennt er sich aus.

Seine Projektionen zum 10. Mai fanden im Jahr 2000 zum ersten Mal und seither jedes Jahr statt und sollen bis 2033 fortgesetzt werden – jeweils an den Fassaden der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt bzw. alternierend in Leipzig. Abends, gegen 22 Uhr, zeitgleich zu jenen Stunden, in denen 1933 die Bücherverbrennungen der Nazis in 22 deutschen Städten als konzertierte Aktion über die massenwirksame Propagandabühne gingen – kultisch-rituelle Inszenierungen systematisch organisierter Vernichtung, rassistische, antisemitische, antimarxistische Auslöschung, die in den Flammen ihren Auftakt fand. Die institutionell durchgeplante „Aktion wider des undeutschen Geistes“, von der  „Deutschen Studentenschaft“ ausgerufen und unter Beteiligung von SA und SS umgesetzt, wurde von Polizei und, ja, Feuerwehr begleitet – und anschließend vielfach wiederholt: medial, im Rundfunk, in Propagandafilmen, vor den Wochenschauen in den Kinos loderten die Scheiterhaufen der Bücher.  „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen“, prophezeite Heinrich Heine bereits mehr als hundert Jahre zuvor und sollte auf das Brutalste bestätigt werden.

Anschlag auf Parallelideologien

Hans Nevídal projiziert ebenfalls Filme: Brandschutzfilme an Bibliotheksfassaden. Was auf den ersten Blick wie eine zynische Form des Gedenkens anmutet, das mit abgebrannten Streichhölzern spielt (zumal Nevídal den Anspruch des „terroristischen Anschlags mit den Mitteln der Kunst“ in den Raum wirft), erhellt sich bei genauerem Hinsehen als komplex-reflexive und gleichzeitig radikale öffentliche (Gegen)Aktion, die auch  (oder wohl gerade) heute wieder polarisiert – und damit umso notwendiger ist.

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Während Künstler und Projektionen in Leipzig auf Zustimmung stoßen und institutionelle Unterstützung erfahren, re(a)giert man in Frankfurt genau gegenteilig: Die dortige Nationalbibliothek – das Präfix „National“ wurde tat-sächlich bezeichnenderweise erst 2006 für die Häuser in Frankfurt, Leipzig und Berlin eingeführt, zuvor war da die Deutsche Bibliothek in Frankfurt und die Deutsche Bücherei in Leipzig – verweigerte die Zustimmung: Man sehe „sich nicht als geeigneter Ort dafür“. Nicht zuletzt den der Bibliothek gegenüberliegenden jüdischen Friedhof hatte Nevídal im Blick gehabt – die Geschichte der Bücherverbrennungen ist gleichzeitig eine des Antisemitismus –, als er seine Projektionen für die Wände jener Bücherei konzipierte, von deren Beständen ein großer Teil bei den „Säuberungsaktionen“ 67 Jahre zuvor auf einem von zwei Zuchtochsen gezogenem Mistwagen auf den Römerberg gebracht und dort vor einer johlenden Menge als „zersetzende Schriften“ verbrannt wurde.

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Die Mauern in den Köpfen sind also noch nicht zum Einsturz gebracht worden… Heißes Pflaster, diese Gedenksteine, wenn sie ihren machtpolitischen Ursprünglichkeiten um Ohren und Augen fliegen; Reinheit, Sauberkeit, Sicherheit – brandgefährliche SchlagWorte, die man sich auch 77 Jahre später weigert, durch den Nacktscanner der Geschichts- und Ideologieanalyse zu schicken. Hans Nevídal hingegen verfügt über den langen Atem der Zeichen- und Auseinandersetzung und pustet damit so kontinuierlich in die gut verschüttete Glut des Kontextes, dass er ihr keine Chance lässt, im heiligen Vergessen zur Ruhe zu kommen.

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Apropos heilig: Nevídal geht in seinen Bezugnahmen auch auf die historischen Verortungen der Bücherverbrennungen ein, verweist auf deren christliche Ursprünge wie etwa die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria, die gemeinhin als Werk cäsarischer Heerscharen verbucht wird. Dass die Vernichtung anschließend durch christliche Truppen vollendet wurde, bleibt oft unerwähnt, ebenso der Umstand, dass mit der späteren bestialischen Ermordung der Mathematikerin, Astronomin, Ingenieurin und Philosophin Hypatia, deren Geschichte Hollywood eben erst für sich entdeckt hat, die Zeit der christlichen Scheiterhaufen an- (oder besser: aus-)gebrochen war. Wo man Bücher verbrennt…

Alexandria, Bagdad – aktuelle Parallelen zu den brennenden Bibliotheken im Irak des Jahres 2003 drängen sich auf, die Brandstifter, jene der Bibliotheken und des Krieges selbst, wurden nie zur Verantwortung gezogen.

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Alles nur (k)ein Spiel

Aber vielleicht ist tatsächlich die an derselben Straßenkreuzung gelegene Tankstelle der ideale Tat-Ort? Für das heuer zum zweiten Mal parallel zu den Projektionen stattfindende Symposion auf jeden Fall. Während also Medienwissenschaftler Marc Ries vor den Benzinsäulen über Das brennende Bild reüssiert, züngelt an der Gebäudewand gegenüber Das Flammenmeer von Kuwait. Welche Ironie des – nun ja, wohl kaum Schicksal zu nennenden Umstandes, dass es in diesem und weiteren Filmen des Abends um die Versuche, brennende Bohrlöcher zu löschen, geht…

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Der Künstler betont, welchen Unterschied es mache, ob die Filme technische Aufnahmen darstellen oder etwa als Schulungsfilme für Feuerwehrleute konzipiert sind. So gab es über die Jahre hinweg eine Auswahl cineastischer HotSpots zu sehen: Castor-Behälter neben explodierendem Propangaswagen (aufgenommen zum Zweck der Materialforschung), Brandschutzfilme, wie sie in der DDR vor den Hauptfilmen in den Kinos liefen (Feuerlöscher statt Scheiterhaufen…), aber auch aus der Sowjetunion oder Japan (Die lustige Brandschutzfamilie) oder der Tribünenbrand in Bradford – aufgrund eines Mülleimers, der Feuer gefangen hatte, ging das gesamte Stadion in Flammen auf und während unten die ersten Zuschauer bereits versuchten zu fliehen, sah man oben noch lachend dem Spiel am Feld zu – bis nach nur sieben Minuten das gesamte Areal brannte. Später wurden Aufnahmen der Katastrophe mit Kriegsbildern zu einem Werbespot jener Firma verschnitten, die die Spieler Bradford Citys ausstattete, der dazugehörige Slogan lautete: „Die Welt braucht mehr zum Spielen“. .

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Achtung, Inhalt!

Zwischen Trauer und Zynismus oszillieren seine Arbeiten, so der ewig selbstkritische und –reflexive Hans Nevídal.

So hat er einmal auf einer Australien-Tour über Tage hinweg unzählige Fotos toter Tiere am Straßenrand gemacht, als er bemerkte wie zahlreich diese die Fahrbahn säumen. Diese warten immer noch auf ihre künstlerische Weiterverwertung, begleiten den Künstler, so wie ihn überhaupt seine Projekte oft über sehr lange Zeiträume hinweg beschäftigen, er sich mit ihnen auseinandersetzt, immer neue Perspektiven und Aspekte dazu findet und entwickelt, kurzum mit ihnen lebt und sie immer weiter verdichtet.

Als Experimentalgraphiker setzt sich Nevídal bereits seit geraumer Zeit mit sogenannten Hazmats, hazardous materials, Gefahrenzeichen aus aller Welt auseinander. Auch diese sammelt er und sie finden sich in zahlreichen Flyern, Ausstellungsankündigungen, Katalogbeiträgen und vielen weiteren stellen wieder, die als solche einen nicht unbeträchtlichen Teil seines künstlerischen Werks darstellen. Seine Drucksorten gleichen „bunten Schmetterlingen, so wie ich.“ Schmetterlinge in Neonfarben, flatternde Warnschilder, die sich auf Papier und Worte setzen und „Achtung, brennbar!“ zu rufen scheinen, erbarmungslos und unnachgiebig in den Augen flimmern und deren Schließung wahrnehmbar machen, aber die Zulassung verweigern.

 

Und auch hier, auf diesen Seiten wiederholen sich die von Hans Nevídal angefachten Brände. Mit dem von ihm äußerst positiv rezipierten Joseph Beuys teilt er das Ziel seiner künstlerisch-diskursiven Angriffe – galt diesem doch als Palast, „den wir zuerst erobern und dann würdig zu bewohnen haben“ kein geringerer, als “der Kopf des Menschen, unser Kopf.“

Hans Nevídal, geboren 1956 in Wien, Architekturstudium, Experimentalgraphiker mit Schwerpunkt soziale Beziehungen und experimentelle Druckprozesse, zahlreiche internationale  Ausstellungen und Kunstprojekte.

http://brandschutz.mur.at/

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